Für viele Rentner in den Großstädten könnten steigende Mieten zur Armutsfalle werden. Rund 271.000 Senioren der Generation Ü65 bekommen aktuell Wohngeld - damit stellen sie die Hälfte aller Wohngeldempfänger. Zuerst berichtete am Samstag „Zeit Online“ über das Thema und beruft sich auf Zahlen des Statistischen Bundesamtes.

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Im Schnitt werden den Senioren 104 Euro im Monat als Mietzuschuss ausgezahlt. Darüber hinaus bestehe eine hohe Dunkelziffer, weil viele Ältere gar nicht wüssten, dass sie Anrecht auf Wohngeld haben oder den Gang zum Sozialamt scheuen würden.

In Großstädten zahlen Senioren durchschnittlich 630 Euro für die Miete

Im Jahr 2016 haben Rentner in der Großstadt im Schnitt 630 Euro für die Miete ausgegeben, so habe eine Umfrage von TNS Emnid ergeben, heißt es weiter im Bericht. Dabei profitieren aber viele Rentner noch davon, dass sie teils Jahrzehnte in ihrer Wohnung leben, folglich noch von früheren Bestandsmieten profitieren. So wohne ein Drittel der Ruheständler bereits seit 30 Jahren in der Wohnung, ein weiteres Drittel 30 bis 50 Jahre und jeder Zehnte gar länger.

Ein Problem droht hierbei zu werden, dass es zu wenig altersgerechten Wohnraum gibt: barrierefreien Wohnraum mit Fahrstuhl, ausreichend großen Türen für Rollstühle oder Rollatoren, ohne steile Treppen und mit behindertengerechten sanitären Einrichtungen. "Nur fünf Prozent aller Älteren leben in altersgerechten Wohnungen", sagt Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbandes VdK, der Deutschen Presseagentur (dpa).

Es fehlt an altersgerechtem Wohnraum

Schon jetzt fehlen 700.000 seniorengerechte Wohnungen in Deutschland, berichtet „Zeit Online“ mit Berufung auf das Pestel Institut, bis 2030 könnten es drei Millionen sein. Die Zahl der Senioren wird von heute knapp 18 Millionen bis zum Jahr 2040 auf etwa 24 Millionen steigen, so das Ergebnis einer Studie, die das Pestel-Institut am Montag vorgestellt hat. Weil die Menschen dank brüchiger Erwerbsbiographien und dem sinkenden Rentenniveau auch von weniger Rente leben müssten, drohe auch die Zahl der Menschen zu explodieren, die auf zusätzliche Grundsicherung angewiesen seien: von heute drei Prozent auf dann über 25 Prozent. Jeder vierte Rentner wäre folglich von Altersarmut betroffen.

Doch der seniorengerechte Umbau der eigenen Wohnung könnte sich für Ältere wiederum als Kostenfalle entpuppen. Jedes Jahr können Vermieter über die Modernisierungsumlage elf Prozent der Investitionskosten auf die Kaltmiete aufschlagen, so erlaubt es der Gesetzgeber. Und zwar nicht, bis die tatsächlichen Kosten ausgeglichen sind: sondern unbegrenzt. Das betrifft auch den altersgerechten Umbau. Viele Senioren müssen folglich dreistellige Mieterhöhungen in kurzer Zeit dulden - und sind im schlimmsten Fall zum Auszug gezwungen.

Einfach Umziehen ist keine Option

Auch der Umzug in eine kleinere Wohnung kann die Probleme vieler Großstadt-Rentner nicht lösen, etwa nach dem Tod des Ehepartners. Dann nämlich sehen sie sich plötzlich mit den explodierenden Neumieten konfrontiert und müssen schon deshalb mehr zahlen. Beispiel München: die durchschnittlichen Erstbezugsmieten nach dem Mietspiegel lagen 2018 laut „Süddeutscher Zeitung“, je nach Stadtteil, zwischen 15,10 Euro und 24,40 Euro pro Quadratmeter.

München mag ein Extrembeispiel sein. Aber in Städten wie Hamburg, Stuttgart oder Berlin sieht es nur wenig besser aus. In der Hauptstadt verlangt sogar der öffentliche Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) für neu errichtete Wohnungen im Schnitt 10,44 Euro Miete pro Quadratmeter im Erstbezug, obwohl er die Aufgabe hat, soziales Wohnen zu fördern. Der Verband rechtfertigt die saftigen Preise damit, dass private Vermieter und Wohngesellschaften im Schnitt deutlich mehr verlangen, teils über 15 Euro pro Quadratmeter. Armen Rentnern, die eine neue Wohnung suchen, hilft das kaum.

Die Tücken des Landlebens

Aufs Land zu ziehen, wo die Mieten oft billiger sind, ist für viele Senioren ebenfalls keine Option. Zum einen werden sie so aus ihrem sozialen Umfeld herausgerissen: es drohen Einsamkeit und fehlende Beschäftigung. Zum anderen wurde in vielen Regionen der öffentliche Nahverkehr derart zurückgefahren, dass ganze Orte und Dörfer nahezu vom Nahverkehr abgeschnitten sind und nur noch selten am Tag Bus oder Bahn Halt machen - wenn überhaupt. Gerade für Senioren, die mobil bleiben wollen, ein großes Ärgernis.

Seit der Bahnreform im Jahr 1994 hat allein die Deutsche Bahn 5.400 Kilometer an Strecken stillgelegt, so geht aus Zahlen der Bundesregierung hervor, das ist rund ein Sechstel des Netzes: oft wegen fehlender Auslastung. Aber auch ein Grund, weshalb für viele Menschen das Leben in ländlichen Regionen wenig attraktiv scheint, wenn sie nicht mehr das Auto nutzen können oder wollen. Dass dies ein Fehler gewesen sein könnte, dämmert langsam auch der Politik. Beispiel Baden-Württemberg: Hier will Verkehrsminister Winfried Hermann (Bündnis 90/ die Grünen) vier stillgelegte Bahnstrecken bis 2024 wieder herrichten, zum Beispiel ein Teilstück von Wiesbaden nach Bad Schwalbach. 100 Millionen Euro nimmt das Bundesland hierfür in die Hand.

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Alte Menschen "hängen oft an der Wohnung, in der sie Jahrzehnte gelebt haben, an der Umgebung, wo sie verankert sind", sagt Ulrich Ropertz vom Deutschen Mieterbund der Nachrichtenagentur dpa. "Mehr öffentliche Förderung für altersgerechte Wohnungen ist alternativlos". Das sei auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. VdK-Präsidentin Bentele fordert darüber hinaus, die Mittel für den sozialen Wohnungsbau deutlich aufzustocken und "mit Auflagen zum Um- und Neubau von barrierefreiem und bezahlbarem Wohnraum" zu verbinden.

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