Was es bedeuten kann in diesem Land auf Hartz IV angewiesen zu sein, musste der Verfasser dieser Zeilen am eigenen Leib erfahren. Als ich nach Abschluss meines Studiums 2009 nicht gleich einen Job fand und ALG II beantragte, wollte eine Jobbetreuerin mich im Wachgewerbe unterbringen. Beim Erstgespräch fragte sie nicht etwa die Qualifikationen ab, die ich im Studium erworben hatte, sondern ob ich eine Waffe führen dürfe, einen Führerschein für große Nutzfahrzeuge besitze und körperliche Beeinträchtigungen, die langes Stehen verhindern. Der Grund war, dass ich im Gespräch angegeben hatte, während meines Studiums pauschalweise als Museumswärter gejobbt zu haben, um mir etwas nebenbei zu verdienen. Als ich sie fragte, ob sie etwa eine Karriere als Türsteher für mich plane, antwortete sie: „Wenn wir Sie in diesem Job unterbringen können, dann ist das unser Ziel!“

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Hartz IV bedeutet nicht nur, dass man mit sehr wenig Geld auskommen muss: Ob der Satz tatsächlich den Bedarf des Lebens deckt, ist immer wieder Thema politischer Debatten. Es bedeutet im Zweifel auch ständigen Druck durch die Jobbetreuer. Es bedeutet, an Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmen zu müssen, auch wenn sie die Intelligenz des Betroffenen beleidigen: eine Freundin, studierte Psychologin, wurde zu einem Bewerbertraining geschickt, in dem sie erfuhr, dass man nicht betrunken zum Vorstellungsgespräch erscheinen solle und beim Eintreten grüßen. Und dass Betroffene auch weniger attraktive Jobs annehmen müssen, wenn sie vom Jobcenter vorgeschlagen werden: zumindest, wenn die Bezüge nicht unter das Existenzminimum gekürzt werden sollen. Hartz IV wurde zum Inbegriff für die Abstiegsängste der Deutschen.

Privatversicherung gegen Hartz IV?

Aufhorchen lässt nun das junge Start-up Ewa aus der früheren Industriemetropole Essen, das für genau diese Abstiegsängste eine Lösung entwickelt hat. Denn wenn alles gut geht und sich ausreichend Geldgeber finden, könnte das Unternehmen bald eine Art Privatversicherung gegen Hartz IV anbieten. Für Menschen freilich, die schon eine Weile in Lohn und Brot stehen. Über das Projekt berichtet aktuell das Portal finanzen.net.

Hinter Ewa stehen die drei Jungunternehmer Angelo Buscemi, Marcel Brassat und Malte Säger. Und es mag kein Zufall sein, dass sie in der Ruhr-Region beheimatet sind: hier, wo erst vor wenigen Jahrzehnten Kohleschacht um Kohleschacht schloss und zehntausende Bergbau-Kumpel in die Massenarbeitslosigkeit entließ. Laut finanzen.net haben die Macher nun die drohenden Szenarien der fortschreitenden Digitalisierung im Kopf. Auch qualifizierte Menschen könnten dann massenhaft ihre Arbeit verlieren, wenn sie durch Bots und Algorithmen ersetzt werden: in der Verwaltung, in Industrieberufen, auch in der Versicherungswirtschaft. So zumindest prognostizieren es McKinsey und andere Beraterfirmen.

Und so soll das Modell funktionieren: Flattert dem Versicherten eine betriebsbedingte Kündigung des Arbeitgebers ins Haus, greift der Schutz. Allerdings wird nicht sofort ein Betrag ausgezahlt, sondern erst, wenn der Kunde nach einem Jahr kein Arbeitslosengeld I mehr erhält. Für die folgenden zwei Jahre wird ihm dann eine Grundsicherung überwiesen, deren Höhe er frei wählen kann. Allerdings markiert das erhaltene Arbeitslosengeld I auch den monatlichen Höchstbetrag der privaten Grundsicherung.

Der Clou ist nun aber, dass auch im ersten Jahr des ALG I-Bezuges Leistungen erbracht werden. Nicht in Form von Geld. Stattdessen kann der Versicherte an Weiterbildungen und Jobtrainings teilnehmen, wenn er das wünscht. Umlernen für die digitale Wende.

Schutz wäre voraussichtlich sehr teuer

Mit seiner Idee steht Ewa noch ganz am Anfang. Das Unternehmen sucht derzeit nach Kapitalgebern, wie Unternehmensgründer Malte Sänger gegenüber finanzen.net berichtet. Für Ewa werde ein strategischer Partner benötigt, mit dem die Police in den nächsten zwölf Monaten auf den Markt gebracht werden soll.

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Klar sein dürfte, dass sich die Idee eher an den gut verdienenden Mittelstand als Zielgruppe richtet. Die Police dürfte recht teuer sein: folglich für Menschen mit schlecht bezahlten Jobs, die wohl am ehesten digitale Konkurrenten fürchten müssen, kaum zu stemmen. Das zeigen auch ähnliche Projekte der Vergangenheit. 1996 hatte die Volksfürsorge eine ähnliche Versicherung entwickelt und fand auch andere Versicherer als Nachahmer. Die Policen waren ein Flop: für Arbeitnehmer schlicht zu teuer.

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