Am 09. und 10. September 2019 traf sich die Versicherungsbranche in Köln auf dem „Zukunftsforum Assekuranz“. Zu jenen Experten, die auf dem Forum Vorträge hielten, zählte auch Matthias Beenken – Professor des Fachbereichs Wirtschaft der Fachhochschule Dortmund, Lehrgebiet Versicherungswirtschaft, sowie Fachjournalist mit Schwerpunkt Versicherungen. Der Branchendienst VWheute nutzte die Gelegenheit, um den Vertriebsexperten zum umstrittenen Provisionsdeckel in der Lebensversicherung zu interviewen. Und Beenken sparte nicht mit Kritik. Zwar könne er nicht sagen, wann der Deckel kommt und wie er genau kommt. Jedoch: Beenken geht „davon aus, dass es in irgendeiner Form einen Deckel geben wird“. Diese Annahme kann sich auf jüngste Informationen aus dem Bundesministeriums der Finanzen (BMF) stützen (der Versicherungsbote berichtete).

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Die Auswirkungen der Gesetzreform aber sieht der Experte kritisch: In der Breite würde „die normale, freiwillige Vorsorge durch klassische Lebens- und Rentenversicherungen weiter leiden“. In diesem Kontext verweist Beenken darauf, dass es „immer noch etwa ein Drittel bis 40 Prozent an Versicherungsvermittlern“ gibt, die „nicht so viel umsetzen und nicht so viel Gewinn machen, dass sie ohne weiteres auf Provisionseinnahmen verzichten“ könnten.

Zwar würde der Provisionsdeckel jene Vermittler kaum berühren, die Schwerpunkte in der Sachversicherung oder der betrieblichen Altersvorsorge haben – eine Tatsache, die dem Versicherungsboten auch durch Hans-Georg Jenssen vom Bundesverband Deutscher Versicherungsmakler (BDVM) bestätigt wurde. Anders jedoch sehen Auswirkungen bei Vermittlern mit Schwerpunkt Leben aus – und zwar besonders dann, wenn sie unterhalb bestimmter „Professionalitäts-Schwellen“ liegen, wie es Beenken formuliert. Denn diese Vermittler können die wegfallenden Provisionen nicht kompensieren.

Beenken: "Da rollt ein großes Problem auf uns zu!"

Wie aber verändert sich durch solche Auswirkungen die Vermittler-Landschaft? Beenken erwartet, dass sich das Geschäft nun noch mehr auf Unternehmen sowie auf die betriebliche Altersvorsorge fokussieren wird. Andererseits hingegen wird das Geschäft in der Tendenz weggehen "von dem kleinen Mann, von der kleinen Frau“, was aus Sicht des Experten unter dem Aspekt der Gerechtigkeit diskutiert werden müsste. Hätten sich doch ausgerechnet diese Menschen einst „darauf verlassen, dass sie alles mit Zinsen auffangen können, was sie später im Alter mal haben wollen“. Diese Möglichkeit des Vorsorgens aber entfällt durch den Niedrigzins komplett, weswegen Beenken auch von einem "großen Problem" ausgeht, das aufgrund niedriger Zinsen "auf uns zurollt".

Reduzierung der Abschlusskosten: Warum werden Versicherer verschont?

Im Kontext der Niedrigzins-Situation spart Beenken nicht mit weiterer Kritik und zielt hierbei mehrfach auf den Gesetzgeber:

  • So würde das Problem niedriger Zinsen nicht kleiner dadurch, dass „man jetzt ständig mit dem Finger auf Versicherungsunternehmen und Versicherungsvermittler zeigt und sagt, da seien angeblich nur irgendwelche hohen Provisionen schuld.“ In einer solchen Sichtweise erscheinen Versicherungsunternehmen und Vermittler geradezu als Sündenböcke einer Situation, die bewertet werden muss aus dem Kontext wirtschaftlicher Verwerfungen und eines damit einhergehenden Niedrigzins-Umfelds.
  • Aber Beenken kritisiert auch, wie der Gesetzgeber die Abschlusskosten reduzieren will. Ging es dem Gesetzgeber mit dem Lebensversicherungsreformgesetz (LVRG) vom 1. August 2014 doch um eine Senkung der gesamten Abschlusskosten, damit Lebensversicherer in Zeiten des Niedrigzins weiter ihren Verpflichtungen nachkommen können. Diese Kosten jedoch beinhalten nicht nur Posten für Vermittler-Provisionen und -Courtagen, sondern auch Betriebs- und Verwaltungskosten, die durch den Abschluss von Versicherungsverträgen verursacht werden. Und obwohl bei derartigen weiteren Kosten keine Entwicklung im Sinne des Gesetzgebers zu erkennen ist, wird das Problem durch die Politik ignoriert.

Beenken kritisiert: Schaue man sich die Gesamt-Abschlusskosten an, sehe man „dort (bei den Versicherern) eigentlich seit Jahren keine besonders positive Entwicklung. Das heißt also: Die Abschluss- und Vertriebskosten sind konstant. Die Verwaltungskosten sind konstant“. Und das, obwohl „viel über Digitalisierung, über kosteneffizientere Modelle gesprochen wird“. Beenken fragt demzufolge auch skeptisch: Wann kommt diese Entwicklung „mal in den Kostenquoten der Versicherer“ an?

Branchenmonitor Lebensversicherung bestätigt: Bei den Versicherern tut sich nichts

Beenken wirft dem Gesetzgeber also vor, die Versicherer bei den Abschlusskosten zu schonen. Ein Verdacht, der sich durch Blick auf die Quoten verschärft. Zahlen hierfür liefert unter anderem der „Branchenmonitor Lebensversicherung 2015-2017“ der V.E.R.S. Leipzig GmbH und des Marktforschers YouGov – dieser Monitor veranschaulicht Tendenzen für den Zeitraum nach Einführung des Lebensversicherungsreformgesetzes. Bei den Abschlussaufwendungen brutto in Prozent der verdienten Bruttoprämien ergeben sich – über den Durchschnitt aller 50 Versicherer hinweg – folgende Quoten im Jahresvergleich: In 2015 lag die Abschlusskostenquote bei 9,25 Prozent, in 2016 bei 9,20 Prozent und in 2017 bei 9,21 Prozent. Keine Reduzierung also, sondern eher Stillstand.

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Besser sind auch nicht die Werte der Abschlussaufwendungen brutto in Prozent der Beitragssumme des Neugeschäfts. Für den Durchschnitt aller 50 Versicherer sind hier folgende Quoten angegeben: In 2015 lag die Abschlusskostenquote bei 5,19 Prozent, in 2016 bei nur leicht geringeren 4,96 Prozent, in 2017 stieg die Quote wieder auf 5,05 Prozent. Warum der Gesetzgeber demnach nicht weitere Kosten für die Abschlüsse von Lebensversicherungsverträgen in den Regulierungs-Fokus nimmt, lässt sich aufgrund solcher Werte nur schwer erklären.

Lösungen aus dem Niedrigzins-Vorsorgedilemma: Opt-Out-Modelle und Kalkulations-Reform

Beenken nennt im Interview mehrere Gründe, die daran zweifeln lassen, ob der nun angedachte Provisionsdeckel in der Lebensversicherung der „richtige Ansatz“ ist. Deutlich aber fordert Beenken: Der Staat muss Lösungen finden für ein Vorsorge-Problem, das durch ein Wegfallen verschiedener Möglichkeiten des Zins-Sparens immer prekärer wird. Welche Gegenvorschläge aber unterbreitet der Experte gegen die Deckel-Pläne der Regierung?

Als erste Lösung schlägt Beenken vor, „stärker in so genannte Opt-out-Modelle zu gehen“, also „in Pflichtversicherungen“, die mit dem Arbeitsverhältnis verbunden sind. Bei diesen Modellen schließt zum Beispiel jeder Beschäftigte automatisch mit Beginn eines Beschäftigungsverhältnisses eine Betriebsrente ab, solange er nicht explizit widerspricht.

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Einige europäische Länder – als Beispiel genannt seien die Niederlande – können aufgrund solcher (auch als „quasi-obligatorisch“ bezeichneter) Betriebsrenten besser die Anpassungslasten des demografischen Wandels abfedern als das deutsche System und bieten sich demnach immer stärker auch als Ergänzung der umlagefinanzierten Rente an (hierzu wird das Print-Magazin 02/2019 des Versicherungsboten einen ausführlicheren Bericht enthalten). Vermittler und Makler freilich befürchten: Durch solche Lösungen könnten wichtige Marktsegmente der privaten Versicherungswirtschaft im Leben-Bereich wegfallen (der Versicherungsbote berichtete).

Kalkulationsregulierung: Reduzieren auf den Netto-Tarif

Ein zweiter Gegenvorschlag aber hat es in sich; wird von Beenken sogar als „radikaler Vorschlag“ bezeichnet – denn er soll neue gesetzliche Kalkulationsgrundlagen für Lebensversicherer schaffen. Freilich hat es zugleich die Komplexität des Sachverhalts hinter dem Vorschlag in sich. Der Versicherungsbote wird sich deswegen um weitere Informationen bemühen.

Denn Beenken rät, Kalkulationsvorschriften der Lebensversicherer zu ändern, die das „Gleichbehandlungs-Gebot“ und damit Paragraph 138 des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) betreffen: Unter Zugrundelegung angemessener versicherungsmathematischer Annahmen müssen Prämien laut Paragraph derart kalkuliert werden, dass das Lebensversicherungsunternehmen allen aus den Verträgen entstehenden Verpflichtungen nachkommen kann. Absatz 2 des Paragraphen fordert zudem: „Bei gleichen Voraussetzungen dürfen Prämien und Leistungen nur nach gleichen Grundsätzen bemessen werden.“ Die Regel beugt einer Ungleichbehandlung der Versicherungsnehmer vor.

Auch die Vertriebskosten müssen unter diesen Prämissen in die Kalkulation einbezogen werden – denn sie zählen zu den Verpflichtungen aus den Verträgen. Beenken möchte jedoch gesetzliche Vorgaben derart ändern, dass das Gleichbehandlungs-Gebot „reduziert wird auf den sogenannten Nettotarif, und dass man die Kalkulation der Vertriebskosten sozusagen frei lässt.“ Im Nettotarif sind Courtagen und Vertriebskosten nicht bedacht.

Ziel einer solchen Reduktion der Kalkulationsvorschriften ist eine größere Freiheit bei Modellen der Vertriebsvergütung. Beenken äußert: Man solle in Zukunft „frei entscheiden können, ob man mit Provision oder eben mit Honorar oder mit Mischmodellen arbeitet“. Denn dadurch hätte man „den Wettbewerb nur um das Produkt selber, aber nicht so sehr um den Vertrieb“.

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Bei Entscheidungen zu den Vertriebskosten jedoch soll der Kunde durch die Reform neue Entscheidungsmacht bekommen. Soll es doch nun nur noch am Kunden liegen, zu entscheiden: „Möchte er Beratung, wie viel Beratung, und was darf es dann auch kosten.“

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