Matthias Beenken: Die Aussage in der Begründung ist in der Tat wenig hilfreich. Aber die Umsetzung ist, glaube ich, nicht schwer: Vermittler ohne Mitarbeiter brauchen sich keine Gedanken über die Einrichtung einer „Funktion“ zu machen – der Inhaber oder die Inhaberin ist für alles selbst zuständig. Sind Mitarbeiter hingegen vorhanden, die mehr als nur die Ablage im Büro machen, dann würde ich empfehlen, einen solchen Mitarbeiter per Stellenbeschreibung mit der Aufgabe „Beschwerdemanagement“ zu betrauen und auf der Homepage namentlich zu nennen.

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Alle Vermittler sollten einen Prozess festlegen, der sicherstellt, dass jede – egal, auf welchem Kanal geäußerte – Beschwerde erfasst und der weitere Umgang damit dokumentiert wird. Das sollte in jedem gut geführten kaufmännischen Betrieb, der zudem von der Erbringung von Dienstleistungen lebt, eine Selbstverständlichkeit sein: Beschwert sich ein Kunde, kümmere man sich darum. Nur dass dieses „Kümmern“ auch aufgeschrieben werden soll. Da reicht es wahrscheinlich, in einer Art Logbuch zu notieren, wer sich wann und warum beschwert hat, wie die Beschwerde weiter behandelt und beantwortet oder an wen sie weitergeleitet wurde, und ob sie erledigt werden konnte. Bei einer Weiterleitung – meist wird das an den Versicherer sein – sollte eine Wiedervorlage angelegt und im Bedarfsfall die Erledigung angemahnt werden.

Sehen Sie die Rechtssicherheit durch die neue Verordnung gestärkt? Und gibt es Punkte, in denen die VersVermV neue Unsicherheiten schafft?

Es gibt in der ganzen IDD-Umsetzung sehr viele Unsicherheiten, die teils schon von der Richtlinie verursacht wurden, teils aber auch vom deutschen Gesetzgeber. Wie schon bei der Umsetzung der Vermittlerrichtlinie, wird es auch diesmal viele Jahre dauern, bis die Rechtssprechung die eine oder andere Rechtsfrage geklärt hat. Besonders schwierig sind immer unbestimmte Rechtsbegriffe, die in jedem Einzelfall ausgelegt werden müssen.

Paragraph 19 der neuen VersVermV regelt die Vergütung. So darf die Zuwendung nicht die Verpflichtung des Gewerbetreibenden beeinträchtigen, im besten Interesse des Versicherungsnehmers ehrlich, redlich und professionell zu handeln. Erwarten Sie, dass bestimmte Vergütungsformen nun eingestellt werden, die diese Bedingung nicht erfüllen? Welche Formen der Vergütung werden durch die neue Verordnung in Frage gestellt?

Da finde ich die Delegierte Verordnung (EU) 2017/2359 zu Informations- und Wohlverhaltenspflichten beim Vertrieb von Versicherungsanlageprodukten sehr aufschlussreich. Die gilt übrigens unmittelbar für jeden Versicherer und jeden Vermittler – ich erlebe derzeit in Veranstaltungen, dass nahezu niemand diese Verordnung überhaupt nur einmal gelesen hat. Das ist fahrlässig!

Auch wenn sich die Verordnung nur mit Versicherungsanlageprodukten befasst, sind deren Regeln doch auf alle Versicherungen übertragbar, weil es sonst zu neuen Interessenkonflikten kommen kann, wenn nur diese eine Produktkategorie konfliktfrei, andere hingegen weiter konfliktreich angereizt und vertrieben werden. Besonders empfehlen kann ich den Artikel 8 dieser Verordnung, der mehrere recht konkret beschriebene Sachverhalte benennt, die das Risiko des Fehlanreizes erhöhen. Danach dürften insbesondere Geschäftspläne und Wettbewerbe nicht mehr vorkommen, in denen ausschließlich einzelne Produkte gepusht werden, die aber in bestimmten Bedarfssituationen eines Kunden gar nicht optimal sein werden. Auch Produkte, bei denen 50 Prozent und mehr der Prämie als Provision kalkuliert sind, sollten dann wohl nicht mehr vertrieben werden. Ebenso wenig Lebens- und Krankenversicherungen ausschließlich gegen Abschlussprovision und nicht auch wenigstens in Teilen gegen eine laufende Provision. Sehr problematisch scheinen schließlich Staffelvergütungen und ähnliche Modelle zu sein, bei denen eine erhebliche Mehrvergütung durch Überspringen eines Schwellenwertes erzielt wird. Vor allem das Alles-oder-nichts-Prinzip dabei ist kritisch, wenn also zum Beispiel ein einziger zusätzlicher Euro Neugeschäftsprämie entscheidet, ob es eine Zusatzvergütung auf das Gesamtneugeschäft gibt.

Paragraph 18 VersVermV geht auf die „Vermeidung und Offenlegung von Interessenkonflikten“ ein. In einem Artikel, in dem Sie Ratschläge zur neuen Verordnung gaben, schrieben Sie dazu: “Der beste Schutz vor dem Vorwurf, sich von Interessenkonflikten beeinflussen zu lassen, ist eine gute Beratung und eine dazu passende Beratungsdokumentation.“ Sehen Sie das Ziel durch die neue VersVermV erreicht, gute Beratung zu stärken? Und sehen Sie auch verpasste Chancen oder sogar Regelungen, die das Gegenteil bewirken könnten?

Mit Beratung hat die VersVermV eher wenig zu tun. Das ist ein Thema des VVG und damit von Regeln, die schon im IDD-Umsetzungsgesetz Anfang 2018 angepackt worden sind. Wirklich gelungen sind diese Regeln allerdings nicht. Der Gesetzgeber hat vergeblich versucht, die IDD-Regeln in eine andersartige Struktur des VVG mit Gewalt hineinzusetzen, anstatt die Struktur der §§ 6 und 61 VVG zu ändern. Nun sind die Verwirrung und die Chance groß, in gutem Glauben an deutsches Recht gegen das höherrangige Europarecht zu verstoßen. Das kann man in der eben erwähnten Untersuchung des Fernabsatzes von 67rockwell gut erkennen – viele Versicherer und auch viele Vermittler verleiten die Kunden leichtfertig zum Verzicht auf alle ihre Rechte, selbst da, wo die Richtlinie keine Wahl gelassen hat: Wer Versicherungen vertreibt, muss der Frage nachgehen, ob die Versicherung zum Wunsch und zum Bedarf des Kunden passt. Hier ist eine große Chance verpasst worden, und die Gerichte werden nun wieder als Reparaturbetrieb missbraucht werden.

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Die Fragen stellte Sven Wenig

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