Hier geraten die Vermittler nun in die Versuchung, eben nicht bedarfsgerecht zu beraten, gibt Gerd Kemnitz zu bedenken. Er identifiziert zwei Ausweichmanöver. Entweder wird das Bedürfnis nach Absicherung der Arbeitskraft erst gar nicht aufgezeigt, weil der Vermittler im Grunde weiß, sein Kunde wird nur schwer und teuer einen Schutz bekommen. Also wird der Blick auf ein anderes Problem gelenkt, um Alternativprodukte zu vermitteln. Wer seinem Kunden das Risiko aufzeigt, an einer schweren Krankheit zu erkranken, kann dann zum Beispiel sogenannte Dread-Disease-Versicherungen verkaufen. Bei diesen erbringt der Versicherer eine Leistung, wenn der Versicherungsnehmer an einer jener Krankheiten erkrankt, die genau im Vertrag definiert sind. Die Einstiegshürden für solch einen Vertrag sind niedriger, auch wenn sie teils ebenfalls recht teuer sind.

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“Häufig orientieren sich Vermittler nicht am Bedürfnis des Verbrauchers, sondern an den Vermittlungschancen“, kritisiert der Makler. „Dadurch wird das Gespräch verkaufsorientiert. Der Vermittler hebt genau ein Produkt als Alternative hervor, obwohl dieses das Bedürfnis nur extrem eingeschränkt stillt“. Ohne im Detail darauf einzugehen, seien hier nur die wichtigsten Nachteile genannt, weshalb Dread Disease zur Absicherung der Arbeitskraft kaum taugt: Psychische Krankheiten sind oft gar nicht versichert oder nur mit einer sehr niedrigen Summe. Genau diese sind mit 37 Prozent aller neuen BU-Fälle aber häufigste Ursache, weshalb jemand seinen Beruf aufgeben muss.

Was hat eine Grundfähigkeits-Police mit der Arbeitskraft zu tun?

Das zweite Manöver von Anbietern und Vermittlern besteht darin, das Bedürfnis nach Absicherung der Arbeitskraft sehr wohl aufzuzeigen: Aber dann eine Police zu empfehlen, die den Bedarf nicht oder nicht ausreichend deckt, ohne über deren Schwächen aufzuklären. Kemnitz verdeutlicht dies an einer Werbung der HUK-Coburg für eine Grundfähigkeits-Police. Darin wird darauf hingewiesen, dass jeder vierte Deutsche seinen Beruf nicht bis zur Rente ausüben kann, damit die Existenz bedroht ist. „Denn was macht ein Tischler, der nur noch eine Hand bewegen kann? Oder eine Krankenschwester, die nicht mehr schwer heben kann? Im schlimmsten Fall stehen sie alle ohne Einkommen da. Eine günstige Absicherung der Grundfähigkeiten ist deshalb für alle Berufsgruppen unerlässlich“, schreibt die HUK.

Aus Sicht von Kemnitz ist das schlicht Verbrauchertäuschung. Die Grundfähigkeitsversicherung zahlt eben nicht, wenn jemand berufsunfähig wird, sondern nur dann, wenn bestimmte Grundfähigkeiten (wie Sehen, Hören, Gehen, Sprechen oder Denken) verloren gehen. Die Kriterien für den Leistungsfall sind zudem sehr streng. Für den Sehverlust definieren zum Beispiel viele Anbieter ein Restsehvermögen von 5 Prozent: Man muss schon ziemlich blind sein, um die Leistung zu erhalten. Wenn die Krankenschwester zehn Prozent Restsehkraft auf beiden Augen hat, wird sie ihren Beruf ganz sicher nicht mehr ausüben können: die Grundfähigkeits-Police zahlt dann aber noch lange nicht.

"Es ist nicht Ihre Aufgabe, schlechte Produkte schönzureden!"

„Warum zeigt der Versicherer nicht einfach auf, wie viele Personen vor Erreichen des Rentenalters den Verlust einer versicherten Grundfähigkeit erleiden?“, fragt Kemnitz. Hier könnte man spöttisch anmerken: Weil dann die Zielgruppe und das Interesse an dem Produkt deutlich schrumpfen würden.

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Gerd Kemnitz empfiehlt Vermittlern, hier nicht am Bedarf vorbeizuberaten. „Es ist nicht Ihre Aufgabe, schlechte Produkte schönzureden“, schreibt er auf der Webseite an Kolleginnen und Kollegen adressiert. Das bedeutet auch ein erhebliches Haftungsrisiko, Stichwort: Falschberatung. Es gebe mehrere Notlösungen, wenn der Vertrag tatsächlich zu teuer ist, argumentiert Kemnitz: zum Beispiel eine Berufsunfähigkeitsversicherung mit reduzierter BU-Rente oder eine Erwerbsunfähigkeitsversicherung. Aber: "Eine bedarfsgerechte Beratung muss auch die Nachteile der Alternativen und Notlösungen aufzeigen und darf diese keinesfalls kleinreden."

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