Welche Erwartungen haben ältere Menschen für den Fall, dass sie pflegebedürftig werden? Dies wollte eine aktuelle Umfrage „55plus – Pflege im Alter“ ergründen. Im Auftrag der privaten Süddeutschen Krankenversicherung (SDK) und der Betriebskrankenkasse mhplus wurden 1.000 Bundesbürger der Generation „55plus“ befragt, wie sie sich ihre Betreuungs- und Wohnsituation wünschen. Ergebnisse zeigen: In Zeiten, in denen sozialstaatliche Errungenschaften fest im Denken der Menschen etabliert sind und „Patchwork-Arrangements“ zur Normalität gehören, ändert sich vor allem die Erwartungshaltung gegenüber der eigenen Familie.

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74 Prozent wollen nicht von Kindern betreut werden

So wollen 74 Prozent der Befragten im Pflegefall nicht von ihren Kindern betreut werden. Keineswegs ist mit dieser Antwort nur der Wunsch verbunden, den eigenen Kindern nicht zur Last zu fallen. Denn auch die Frage, welche Wohnformen bei Pflegebedürftigkeit in Frage kämen, offenbart: Veränderte Rollenbilder für die Familie gehen einher mit dem Wunsch nach größerer Unabhängigkeit im Alter. Bei möglichen Mehrfachnennungen mit 79 Prozent "Top-Antwort" und demzufolge – zunächst noch wenig überraschend – beliebteste Wohnform auch im Falle der Pflegebedürftigkeit: „In meinem eigenen Zuhause“. Der bisherige Lebensmittelpunkt soll demnach weiterhin Lebensmittelpunkt bleiben.

Falls diese Möglichkeit aber nicht bestehen sollte, wird dennoch ein hohes Maß an Unabhängigkeit während der Pflegebedürftigkeit angestrebt, wie die Beliebtheit alternativer Wohnformen gegenüber dem Pflegeheim zeigt. In diesem Kontext gewinnt das betreute Wohnen immer größere Bedeutung in der Wahrnehmung älterer Generationen: 57 Prozent der Befragten können sich vorstellen, in einer „eigenen, altersgerechten Wohnung mit Betreuungsservice“ zu wohnen. Und 33 Prozent entscheiden sich für die „Senioren-Wohngemeinschaft“, außerdem 29 Prozent für ein „Mehrgenerationenhaus“. Eigene Lebensentwürfe sind den Menschen somit wichtig – und diese führen nach Vorstellung heutiger älterer Generationen eher in eine Wohngemeinschaft mit anderen älteren Menschen als in die Wohnung der eigenen Kinder. Mehr noch: Diese Entwürfe können sogar ins Ausland führen. Ein Leben weit weg von Kindern und Enkelkindern im Ausland hält immerhin jeder fünfte Befragte für denkbar, wie die Studienmacher bei Präsentation der Studie herausstellen.

Bei möglicher Mehrfachnennung geben jedoch nur 13 Prozent der Befragten an, sie könnten sich vorstellen, in einem Alters- beziehungsweise Pflegeheim zu leben. Eine veränderte Erwartungshaltung gegenüber den Kindern hat also keineswegs dazu geführt, dass sich mehr ältere Menschen mit dem Leben im Heim abfinden wollen – Pflegeheime sind auch laut SDK-Umfrage unbeliebt wie eh und je.

Generation will Kindern finanziell nicht zur Last fallen

Welche Unterstützung aber erwarten Teilnehmende der Umfrage von ihren Kindern im Pflegefall? Hier zeigt sich ein Widerspruch zumindest für einen Teil der Befragten, der nahelegt: Die Befragten wollen im Notfall dann doch eher bei den Kindern unterkommen als in einer ungewünschten Wohnform. Denn obwohl für nur 13 Prozent der Befragten überhaupt die Wohnung der Kinder als Wohnform „in Frage kommt“, erwarten mit 23 Prozent doch mehr der Befragten, dass die eigenen Kinder sie aufnehmen. Auch gaben 26 Prozent der Befragten die Erwartungshaltung an, durch die eigenen Kinder gepflegt zu werden. Zumindest ein Teil der Älteren also weicht von traditionellen Vorstellungen der "Solidargemeinschaft Familie" nicht ab.

Was die Mehrzahl aller Antworten für diese Frage aber zeigt: Viele Ältere erwarten zwar Hilfe bei finanziellen Angelegenheiten, jedoch keine Übernahme der Pflegekosten. 79 Prozent der Befragten gehen davon aus: Die Kinder regeln die Finanzen, sobald man es selbst nicht mehr kann. Nur 18 Prozent der Befragten hingegen erwarten, dass die eigenen Kinder auch die Pflegekosten übernehmen.

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Eine solche Haltung spiegelt sich auch im Vorsorgeverhalten, wie die Studienmacher pointierend herausstellen: Bei Befragten mit eigenen Kindern würde immerhin jeder Dritte vorsorgen und Geld zurücklegen für einen möglichen Pflegefall. Bei den kinderlosen Befragten der Ü55-Generation hingegen legt nur jeder Vierte Geld zurück. Ein Motiv der Vorsorge ist demnach, den eigenen Kindern nicht durch Pflegekosten zur Last zu fallen.

Bei Pflegebedürftigkeit drohen Kindern hohe Kosten

Ob das Geld freilich für eine langjährige Pflege reicht und die Befragten wirklich ausreichend finanziell für die Pflege vorsorgen, ist aus der Studie nicht ersichtlich. Eine weitere Studie vom März diesen Jahres, durchgeführt im Auftrag der Postbank, weckt Sorge: Zwei Drittel der Bundesbürger unterschätzen demnach den Eigenanteil an den Pflegekosten im Alter. Und knapp 43 Prozent der Deutschen glaubt sogar, dass die gesetzliche Pflegeversicherung die Kosten für einen vollstationären Pflegeplatz in voller Höhe übernimmt (der Versicherungsbote berichtete).

Die gesetzliche Pflegeversicherung ist jedoch keine Vollkaskoversicherung. Vielmehr wurde schon mit Einführung dieser zusätzlichen Säule der gesetzlichen Sozialversicherung in 1995 durch das Pflege-Versicherungsgesetz (PflegeVG) stets der ergänzende Charakter der Pflegeversicherung herausgestellt. Für erwachsene Kinder von Pflegebedürftigen drohen hierdurch hohe Kosten – anders nämlich als viele der Ü55-Umfrageteilnehmer erwartet der Gesetzgeber weiterhin, dass die Familie Kosten für die Unterbringung, Verpflegung sowie die Pflege übernimmt. Definiert doch Paragraph 1601 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB): „Verwandte in gerader Linie sind verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren“.

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Zwar steht zunächst der Ehepartner für den Unterhalt ein. Reicht aber dessen Einkommen nicht aus oder ist der Partner gar schon verstorben (was nicht selten ist), ermitteln die Sozialämter die unterhaltspflichtigen Verwandten und nehmen diese folglich in die Unterhaltspflicht. Und das sind in der Regel die leiblichen Kinder. Abhängig von der eigenen Leistungsfähigkeit müssen also auch Kinder für ihre Eltern „haften“ und durch Unterhaltszahlungen zum Lebensbedarf der Eltern beitragen. Richtwerte hierzu gibt die sogenannte „Düsseldorfer Tabelle“ vor, eine von den Familiensenaten des Oberlandesgerichts (OLG) Düsseldorf ausgearbeitete Richtlinie.

Somit müssen alleinstehende volljährige Kinder in 2019 hälftig als Unterhalt an ihre pflegebedürftigen Eltern zahlen, was an Einkommen über 1.800 (einschließlich 480 Euro Warmmiete) hinausreicht. Für die mit einer unterhaltspflichtigen Person zusammenlebenden Ehepartner ist zudem ein notwendiger Selbstbehalt von 1.440 Euro vorgesehen (einschließlich 380 Euro Warmmiete). Bei „Vorteilen des Zusammenlebens“ – in der Regel trifft dies für das Zusammenleben in einer Lebenspartnerschaft zu – sind es jedoch nicht 50 Prozent, sondern 45 Prozent des über den notwendigen Selbstbehalt hinausgehenden Einkommens, das behalten werden darf: Somit muss bei Ehepaaren ab einem Betrag von 3.240 mit einem Prozentsatz von 55 Prozent des darüber hinausgehenden Einkommens für den Elternunterhalt eingestanden werden (der Versicherungsbote berichtete).

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