Dauerthema von Rechtsstreitigkeiten: Stornohaftung freier Vertreter

Ein Dauerthema von Rechtsstreitigkeiten in der Branche: Stornohaftung und Provisionsrückforderungen, nachdem ein Vertragsverhältnis zwischen einem Versicherungsvertreter und einem Unternehmen endete. Denn Paragraph 87a Handelsgesetzbuch (HGB) gibt vor: Sobald feststeht, dass ein Dritter nicht leistet, entfällt der Anspruch auf Provision. Bereits empfangene Provisionen sind zurückzugewähren. Gemäß Absatz 3 des Paragraphen gilt dies jedoch nur dann, wenn der Unternehmer das Geschäft auch so fortführt, wie es abgeschlossen ist. Ansonsten nämlich hat der Vertreter dennoch Anspruch auf Provision. Der Paragraph begründet demnach für Unternehmen die Pflicht zur Nachbearbeitung der Verträge und zur Weiterbetreuung im Sinne des Vertreters.

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Drohen Stornierungen, muss das Unternehmen handeln

Hierzu zählt auch die Pflicht, bei einer drohenden Stornierung notleidender Verträge tätig zu werden, wie die ständige Rechtsprechung zeigt (siehe zum Beispiel ein Urteil des Bundesgerichtshofs vom 28.06.2012, VII ZR 130/11). Das Unternehmen muss durch geeignete Maßnahmen versuchen, eine Stornierung der Verträge abzuwenden. Kommt es trotz dieser Maßnahmen dennoch zur Stornierung der Verträge, darf das Unternehmen vorfinanzierte Provisionen zurückfordern.

Genügt aber der Hinweis auf standardisierte Maßnahmen in einem Unternehmen, um Stornobekämpfungsmaßnahmen zu beweisen? Hierzu fällte das Amtsgerichts (AG) Bad Schwalbach am 12. April diesen Jahres ein Urteil – Az. 3 C 777/17 (2) – das dem Versicherungsboten vorliegt. Zwar ist der Rechtsstreit noch nicht abgeschlossen: Die DVAG legte Berufung ein. Das Berufungsverfahren findet am Landgericht Wiesbaden statt (Az. 9 S 10/19). Trotz dieses Einwands eines noch offenen Verfahrens aber lohnt es aus Sicht des Versicherungsboten, sich das Urteil anzusehen, da die Urteilsgründe die hohe Beweislast bei Provisionsrückforderungen durch ein Unternehmen veranschaulichen.

Provisionskonto des Vertreters: Im dicken Minus

Geklagt hatte die Deutsche Vermögensberatung (DVAG), und zwar gegen einen Versicherungsvertreter, mit dem sie zuvor durch einen Vermögensberatervertrag verbunden war. Zur Verrechnung gegenseitiger Ansprüche und auch zum Erfassen gewährter Provisionsvorschüsse führte die DVAG – wie üblich – ein Vertreterkonto. In diesem wurden der Bestand der Versicherungsverträge, die Provisionsansprüche, jedoch auch Rückbelastungen aufgrund vorzeitig stornierter Verträge erfasst.

Nachdem dieses Vertragsverhältnis zwischen Vertreter und DVAG beendet wurde und der Vertreter nicht mehr für die DVAG arbeitete, kündigten einstige Kunden des Vertreters ihre Versicherungsverträge. Die DVAG hatte aus ihrer Sicht kräftig vorfinanziert und errechnete ein Sollsaldo in Höhe von 6.947 Euro. Provisionen in dieser Höhe sollten nun vom Vertreter zurückgezahlt werden. Der Vertreter verweigerte eine Rückzahlung jedoch. Also klagte der Konzern vor dem Amtsgericht, um das Minus des Vertreterkontos auszugleichen.

Wie gründlich das Provisionskonto durch die Deutsche Vermögensberatung geführt wurde, war freilich strittig: Der beklagte Vertreter behauptete, nach Auslaufen des Vertrags hätte keine regelmäßige Verrechnung von gegenseitigen Geldansprüchen mehr stattgefunden. Stattdessen hätte die DVAG nur noch zu Ungunsten des Beklagten die negativen Buchungen berücksichtigt. Zumal zahlreiche Kleinstbeträge die Berechnungen undurchsichtig und daher nicht nachvollziehbar machen würden. Das Gericht ging dieser Behauptung jedoch in seiner Urteilsbegründung nicht weiter nach. Ein anderer Tatbestand wurde für das Urteil entscheidender – und dieser betraf die Nachbearbeitung jener Verträge, die der Vertreter vermittelt hatte.

Kam die DVAG ihrer Nachbearbeitungspflicht nach?

Begründete doch der Versicherungsvertreter die verweigerte Rückzahlung vorfinanzierter Provisionen auch damit, der klagende Konzern sei seiner Nachbearbeitungspflicht nicht nachgekommen und hätte nicht genügend gegen die drohende Stornierung der Verträge unternommen. Ein Vorwurf, den sich der Konzern nicht gefallen lassen wollte. Denn aus Sicht der DVAG handelt es sich bei dieser Behauptung um ein „einfaches Bestreiten“ im Sinne einer einfachen Taktik. Dieses Bestreiten sei „unerheblich“. Müsste der Vertreter doch aufgrund seiner früheren Tätigkeit für die Klägerin wissen, dass stets automatisierte schriftliche Nachbearbeitungsverfahren zur Anwendung kommen:

In allen drohenden Stornofällen und damit auch den streitgegenständlichen Stornofällen würde demnach ein kombiniertes Erinnerungs-, Mahn- und Kündigungsverfahren durchgeführt und würden entsprechende Schreiben versendet, bevor es zur Stornierung und Rückbelastung von Provisionen kommt.

Aus Sicht der DVAG ist folglich auch offenkundig: Für die streitgegenständlichen Verträge wurden Schreiben versendet, um die Stornierungsgefahr abzuwenden. Dass mit diesen Schreiben jedoch nichts erreicht wurde, hat nach Darlegung des Konzerns einen einfachen Grund: Die Kunden hätten aufgrund finanzieller Probleme die Verträge gekündigt – was dem Finanzkonzern somit nicht angelastet werden kann.

Gericht: ein Einfach-Bestreiten des Vertreters zulässig

Das wiederum wollte der beklagte Vertreter so nicht stehen lassen. Aus seiner Sicht nämlich haben die Kunden schlicht nur deswegen gekündigt, da er die Verträge nicht mehr betreuen konnte und die Betreuung nicht mehr in der gleichen Qualität stattfand. Auch bestritt der Vertreter sogar, dass überhaupt Schreiben an die Kunden versendet wurden. Zum Bestreiten hat er laut Darlegung des Gerichts auch sein gutes Recht: Sind doch „Umstände außerhalb der eigenen Wahrnehmung“ des Vertreters betroffen, weswegen ein bloßes Bestreiten "zulässig" ist.

Rückforderung von Provisionen: Beweislast liegt beim Unternehmen

Mehr noch: Anders als vom klagenden Konzern angenommen, ist ein solches Bestreiten auch keineswegs „unerheblich“. Denn die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass eine ordnungsgemäße Nachbearbeitung der notleidenden Verträge stattfand, obliegt einzig dem Unternehmen. Und hierfür reicht es keineswegs, auf standardisierte Vorgänge innerhalb eines Unternehmens oder auf allgemeine Stornobekämpfungsmaßnahmen im Unternehmen zu verweisen. Vielmehr müssen Maßnahmen für jeden streitgegenständlichen Fall nachgewiesen werden.

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Die Etablierung allgemeiner Maßnahmen im Unternehmen nämlich beweist noch nicht, dass die Maßnahmen auch tatsächlich für jene streitgegenständlichen Vertragsverhältnisse durchgeführt wurden, in denen es zu Stornierungen kam. Auf einen solchen Beweis aber kommt es nach Darlegung des Gerichts an, wenn Provisionen zurückgefordert werden: Für jeden einzelnen der gekündigten Verträge ist nachzuweisen, dass geeignete Maßnahmen getroffen wurden, um eine Stornierung abzuwenden. Da die DVAG aber einen solchen Beweis schuldig blieb, ist sie beweisfällig geblieben. Laut Urteil des Gerichts ist die Klage demnach abzuweisen – der Vertreter muss nach jetzigem Stand des Verfahrens nicht die Provisionen zurückzahlen.

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