Seit 2017 müssen die Lebensversicherer der EU-Staaten jedes Jahr über ihre Finanzlage, die Risiken sowie die Geschäftsentwicklung informieren. Mittel hierzu sind die sogenannten SFCR-Berichte (für „Solvency and Financial Condition Report“, oder auf deutsch: Bericht zur Solvenz- und Finanzlage). Nicht nur die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) erhält Einblick in die Dokumente der deutschen Anbieter, sondern die Versicherer müssen sie auch auf ihrer Webseite veröffentlichen. Schließlich sollen die Kundinnen und Kunden auch erfahren, wo ihre Altersvorsorge langfristig in sicheren Händen ist — solange sie die für Laien schwer lesbaren Dokumente verstehen. Stichtag in diesem Jahr war der 23. April 2019.

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Seit bereits drei Jahren wertet auch Henning Kühl die Berichte aus, Chefaktuar beim Zweitmarkt-Anbieter Policen Direkt. Er will damit den Sparerinnen und Sparern eine Orientierung geben, um sich im Dschungel der bis zu 160 Seiten umfassenden Berichte zurechtzufinden. Oder wie ein - anonym bleiben wollender - Versicherungsvorstand dem Versicherungsboten am Telefon verriet: „Glauben Sie mir, ich verstehe bei weitem auch nicht alles, was da drin steht“. Bereits gestern haben wir berichtet, wer aktuell die finanzschwächsten Versicherer der Branche sind. Nun soll noch ein Blick auf die Branchenprimusse gerichtet werden.

Europa vor Dialog und Ergo Direkt

Von besonderem Interesse mit Blick auf die Finanzstabilität ist die sogenannte Netto-Solvenzquote bzw. SCR-Quote. Zum Hintergrund: Bis zum Jahr 2032 dürfen die Versicherer mit erleichterten Bedingungen rechnen, um nachzuweisen, wie finanzstark sie sind. Diese Maßnahmen müssen bei der BaFin angemeldet werden. Während die Finanzaufsicht also auf die Bruttoquoten schaut, bildet die Nettoquote ab, wie die Versicherer ohne diese Erleichterungen dastehen würden.

Branchenprimus in diesem Jahr ist hierbei die Europa Leben. Der Kölner Direktversicherer aus dem Continentale Versicherungsbund weist eine stolze Netto-Quote von 996 Prozent auf. Damit verteidigen die Domstädter ihre Spitzenposition aus dem Vorjahr und konnten gar noch eine bessere Solvenz nachweisen (912 Prozent). Einen Überblick über die Solvenzquoten aller Versicherer hat Policen Direkt auf seiner Webseite bereitgestellt.

Auf Rang zwei der Solvenz-Spitzenreiter kann sich mit der Generali-Tochter Dialog Leben ein echter Maklerversicherer platzieren. Sie erreicht eine Netto-Quote von 769 Prozent und legt ebenfalls deutlich zu (Vorjahr 646 Prozent). Den dritten Rang erringt hingegen erneut ein Direktversicherer: die Ergo Leben mit einer Netto-SCR-Quote von 703 Prozent, muss aber gegenüber dem Vorjahr leichte Verluste erdulden (723 Prozent).

Süddeutsche Leben mit den meisten Zuwächsen

Und wer hat seine Solvenz 2018 am meisten verbessert? Die stärksten Zuwächse im Vergleich zum Vorjahr konnten die Süddeutsche Leben (um 345,45 Prozent auf nun 98 Prozent), die Öffentliche Leben Oldenburg (um 203,23 Prozent auf nun 94 Prozent) sowie die HDI Leben (um 55,65 Prozent auf nun 112 Prozent) erzielen.

Im Schnitt aller 84 Anbieter haben die Lebensversicherer laut Policen Direkt ihre Solvenz um 9,57 Prozent steigern können. Das resultiert aber auch aus einer Gesetzesänderung. Die Anbieter müssen nun deutlich weniger Geld der Zinszusatzreserve (ZZR) zuführen: ein Sicherheitspuffer, damit die Gesellschaften auch in schwierigen Zeiten die vergleichsweise hohen Garantien aus Altverträgen bedienen können.

Bei diesem Finanzpuffer hat die Bundesregierung die Gesellschaften deutlich entlastet und die Kapitalanforderungen entschärft. Die deutschen Lebensversicherer haben im Jahr 2018 rund sechs Milliarden Euro in die Zusatzreserve gesteckt: Nach der alten Rechenformel wären es laut Deutscher Aktuarvereinigung (DAV) bis zu 18 Milliarden gewesen (der Versicherungsbote berichtete).

Mehr Optionen auch im Neugeschäft

Aktuar Henning Kühl hebt hervor, dass solvenzstarke Versicherer auch im Neugeschäft mehr Optionen haben. Sie können ihren Kunden "höhere Leistungen anbieten, zum Beispiel in Form von Überschüssen oder Garantien im Neugeschäft", heißt es auf der Studien-Webseite. Hier gilt einschränkend zu sagen, dass es sich bei den Erstplatzierten oft um kleinere Konzerntöchter größerer Versicherungsgruppen handelt. Inwieweit sich eine finanzielle Krise der Firmenmütter auch auf diese Versicherer auswirken würde, wäre zumindest zu diskutieren.

Die BaFin schreibt aktuell eine Brutto-Solvenzquote von mindestens 100 Prozent vor: Das bedeutet stark vereinfacht, dass die Anbieter alle Garantien ihrer Kunden auch bedienen können, wenn extreme Krisenszenarien wie ein Börsencrash oder Massenstorno auftreten beziehungsweise gar eine Kettenreaktion mehrerer Krisen-Faktoren.

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Versicherer, die mit erleichterten Übergangsmaßnahmen rechnen wollen, müssen sie beantragen. Zugleich müssen diese Versicherer der Behörde Maßnahmen nachweisen, um ihre Finanzstabilität zu verbessern. Die Finanzaufsicht prüft den Erfolg und kann sogar die Einstellung des Geschäftsbetriebes anordnen, wenn dauerhaft keine Besserung in Sicht ist. Positiv: die erforderliche Brutto-Solvenzquote erfüllen aktuell alle 84 deutschen Gesellschaften. Die verschärfte Netto-Quote, welche ab 2032 uneingeschränkt gilt, sind aktuell für zwölf Versicherer eine zu hohe Hürde (der Versicherungsbote berichtete).

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