Wenn in Baden-Württemberg das neue Schuljahr begann, wurden die Lehrer seit 1974 zu Versicherungsvermittlern. Sie teilten im Auftrag des Kultusministeriums eine Kombi-Versicherung an ihre Schüler aus, die eine Mischung aus Haftpflicht-, Unfall- und Sachversicherung darstellte. Ganze ein Euro kostete die Police im Schuljahr, doch der Nutzen war umstritten. Nachdem jahrzehntelang niemand Anstoß an der Praxis nahm, berichtete der „Spiegel“ im Januar 2018 über die Verträge — nach zahlreicher Kritik soll die Schülerzusatzversicherung zum Schuljahresende eingestellt werden (der Versicherungsbote berichtete).

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Doch nun sieht es so aus, als könnte die Zusatzversicherung doch erhalten bleiben. Nachdem das Bundesland Baden-Württemberg aus den Gruppenversicherungs-Verträgen ausgestiegen ist, haben die beiden Produktgeber nun ein neues Angebot an Kommunen und Schulen unterbreitet, so berichtet die „Stuttgarter Zeitung“ am Montag. Bereitgestellt werden die Tarife von zwei öffentlichen Versicherern: der Württembergischen Gemeindeversicherung (WGV) und der Badischen Versicherung (BGV). Die Versicherung solle pauschal abgeschlossen werden und ohne Rahmenvereinbarung mit dem Bundesland, berichtet das Regionalblatt.

Neue Schüler wären automatisch versichert

Die neuen Verträge sollen vor allem die umstrittene Vertriebspraxis für den sogenannten Versicherungsausweis für Schülerversicherungen beenden. Die Verträge wurden zu Beginn des Schuljahres von den Lehrern ausgeteilt – an alle 1,5 Millionen Schüler des Bundeslandes. Die Schüler sollten die Formulare von den Eltern unterschreiben lassen und auch das Geld beim Lehrer abgeben. Über die Schulbehörden fanden die Anträge dann den Weg zu den öffentlichen Versicherern.

Das Problem: Die Lehrer sind nicht für den Vertrieb von Versicherungen qualifiziert, denn wer in Deutschland Policen vertreiben will, muss Zulassung und Sachkunde nachweisen. Auch würden die Schüler durch die Praxis unter Druck gesetzt, so ein Kritikpunkt. Es entstehe der Eindruck, es handle sich um eine Pflichtversicherung.

Bei den neuen Verträgen aber müssten die Lehrer nicht tätig werden, da die neue Gruppenverträge über Städte und Gemeinden finanziert werden sollen. Das heißt, jeder Schüler einer Schule wäre automatisch versichert. Allerdings müssten die Kommunen auch die Beiträge stemmen. Der Beitrag soll gleich bleiben: ein Euro pro Schüler. Macht in Summe Beitragskosten von insgesamt 1,5 Millionen Euro. Ein weiterer Vorteil des neuen Modells wäre, dass nun nicht mehr 1,5 Millionen Bestätigungen und Miniversicherungs-Verträge betreut werden müssten. Es könnten also Personalkosten gespart werden.

…was nützt es?

Doch gab es nicht auch Kritik am Inhalt der Schülerzusatzversicherung? Zur Erinnerung: Der Haftpflicht-Baustein greift nur in der Schule, bei Praktika, Klassenfahrten und auf dem Weg dorthin. Doch viele Schüler sind über ihre Eltern bereits abgesichert, wenn diese einen Haftpflichtvertrag haben. Auch der Unfallschutz ist fragwürdig. Zum einen sind die Kinder in der Schule auch über die gesetzliche Unfallversicherung geschützt. Zum anderen sind die Invaliditätssummen sehr gering: 50.000 Euro beträgt die Grundsumme bei voller Invalidität. Der „Bund der Versicherten“ (BdV) hat der Schülerversicherung folglich 2018 den Negativpreis „Versicherungskäse des Jahres“ verliehen — für ein besonders nutzloses Produkt.

Hier aber widerspricht Norbert Brugger, Bildungsdezernent des Städtetags. „Schulen setzen auf die Versicherung“, sagt er der Stuttgarter Zeitung. Und verweist auf ein Problem: Etwa jeder fünfte Haushalt in Deutschland hat keinerlei privaten Haftpflicht-Schutz. Bei vielen Schulpraktika und in Schullandheimen werde aber von den Schülern eine Haftpflicht verlangt. Schulleiter befürchten, dass Schullandheim-Aufenthalte künftig schwerer zu organisieren sind, wenn die Lehrer erst bei jedem mitreisenden Schüler nach einer Versicherung fragen müssen. Und unter Umständen die Kinder nicht mitfahren können, wenn die Eltern nicht vorgesorgt haben.

Auf einen anderen Aspekt haben vereinzelt Versicherungsvermittler der Region auf den Social-Media-Kanälen des Versicherungsboten hingewiesen, als wir bereits über die Police berichteten. So beinhaltet die Police auch einen Baustein für Sachschäden. Geht in der Schule die Brille kaputt, die Zahnspange oder ein Kleidungsstück, erstatten die beteiligten Versicherer bis zu 300 Euro. Das sei nicht viel, könne aber für Familien mit kleinem Geldbeutel in solchen Fällen eine willkommene Hilfe sein, kommentierte ein Makler bei „Facebook“.

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Nun stellt sich die Frage, wie es mit den Policen weitergehen soll. In den neuen Verträgen würden die Leistungen noch einmal angehoben, berichtet die "Stuttgarter". Vor allem die Großstädte seien bereit, die Kosten zu tragen. Dem entgegen verweise der Städtetag auf die Verantwortung der Eltern, die Kinder entsprechend abzusichern. Hier könnte die Police im Gegenteil ein falsches Sicherheitsgefühl suggerieren: dass nämlich die Kinder bereits abgesichert sind. Aber in der Freizeit greift weder der Haftpflicht- noch der Unfallschutz.

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