Koalitionsziel sorgt für Ärger

Bekommen sollen sie all jene Menschen, die bei geringem Verdienst mindestens 35 Jahre in die Rentenkasse der gesetzlichen Rentenversicherung (DRV) eingezahlt haben: Eine so genannte "Grundrente", die mindestens "zehn Prozent über der Grundsicherung“ liegt. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) aber erregte in letzter Zeit Aufsehen mit dem Entwurf einer „Respekt-Rente“, die weit umfänglicher die Rentenleistungen für jene Menschen aufwerten will, die den Anspruch erfüllen. Zudem wurde ein konkreter Gesetzentwurf für die erste Jahreshälfte 2019 angekündigt (der Versicherungsbote berichtete).

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Allein: Der Ärger ließ nicht lange auf sich warten. Denn nachdem die Pläne aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) bekannt wurden, kritisierten sowohl die CDU als auch die CSU insbesondere Heils Vorstoß, die neue Rentenleistung ganz ohne Bedürftigkeitsprüfung zu zahlen. Und auf den Vorstoß folgte nun der Gegenstoß: Die CSU legte einen eigenen Entwurf für die Grundrente vor, etikettiert als „Rentenschutzschirm“, wie die Zeit berichtet. Die Grundrente könnte sich demnach zum Wahlkampfthema entwickeln, das durch die CDU dankbar aufgegriffen wird: Im September und Oktober stehen wichtige Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen an.

CSU-Vorschlag: Heils Pläne auf die Kritik umgemünzt

In welchem Verhältnis aber steht der neue Gegen-Vorstoß eines „Rentenschutzschirms“ der CSU zu den Plänen des Bundesministeriums? Es scheint, die CSU hat sehr aufmerksam die Pläne des Arbeitsministers ausgewertet und einen wichtigen Baustein aus Heils Plänen in einen eigenen Vorschlag umgemünzt. Machte doch ein Eckpunktepapier zu den Plänen des Arbeitsministers, das im Februar dieses Jahres für eine Studie des Münchener ifo-Instituts herangezogen wurde, deutlich: Ein wesentliches Element der geplanten „Respekt-Rente“ wurde in der Diskussion häufig übersehen. Ist doch nicht nur eine Verdoppelung der Entgeltpunkte für jene Rentner geplant, die bei geringem Verdienst mindestens 35 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt haben. Richten soll es außerdem ein Freibetrag für die Grundsicherung. Das hat seinen guten Grund: Viele Rentnerinnen und Rentner würden, trotz Aufwertung ihrer Lebensleistung durch die „Respekt-Rente“, unterhalb des Grundsicherungsniveaus aus Regelbedarf und Kosten für Unterkunft und Heizung liegen und hätten demnach ohne einen Freibetrag für die Grundsicherung letztendlich kein Plus durch Heils Rentenreform in der Tasche. Das zeigten die Berechnungen des ifo-Instituts. Besonders jene, die in der Rhetorik des Arbeitsministers besonders von der Respekt-Rente profitieren sollen, erhalten letztendlich einzig aufgrund des Freibetrags mehr – Menschen mit geringem Verdienst und 35 Beitragsjahren (der Versicherungsbote berichtete).

Nun setzt die CSU ganz auf Freibeträge für die Grundsicherung und hat für ihren Entwurf alles gestrichen, was an Heils Rentenplänen als teuer und kostenintensiv kritisiert wurde. Aufgrund neu zu schaffender Freibeträge sollen Bezieherinnen und Bezieher von Grundsicherung im Alter bis zu 212 Euro pro Monat von ihrer gesetzlichen Rente behalten dürfen. Das berichtet die Zeit unter Berufung auf ein Papier, das der Deutschen Presse-Agentur vorgelegt wurde. Insgesamt sollen rund 175.000 Menschen von den höheren Freibeträgen profitieren. Die Partei rechnet mit zusätzlichen Kosten von rund 445 Millionen Euro im Jahr.

Ein zusätzlicher Freibetrag des "Rentenschutzschirms" ist außerdem für Bezieherinnen der Mütterrente geplant – die CSU nutzt ihren Gegenentwurf demnach auch, um sich als Familienpartei zu profilieren. Kosten für diesen weiteren Freibetrag werden auf rund 50 bis 60 Millionen Euro geschätzt. Außerdem sollen Rentnerinnen und Rentner zukünftig bis zu 15.000 Euro Schonvermögen behalten dürfen.

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Jedoch weicht die CSU bei einem wichtigen Punkt nicht von den Plänen des Bundesarbeitsministers ab: Auch der Vorschlag der CSU hält streng an der Mindestbedingung von 35 Beitragsjahren für Nutznießer des neuen „Schutzschirmes“ fest – insbesondere die Freibeträge sollen erneut nur jenen Rentnerinnen und Rentnern vorbehalten sein, die mindestens 35 Beitragsjahre in der gesetzlichen Rentenversicherung vorweisen können.

CDU gibt dem Gegenstoß "Rentenschutzschirm" Schwung

Mit dem eigenen Vorschlag reagiert die CSU auf einen wesentlichen Knackpunkt, der innerhalb der großen Koalition für Streit sorgt. Hatte doch die CSU, aber auch die CDU an den Plänen des Arbeitsministers kritisiert, dass die neue Respekt-Rente ohne Bedürftigkeitsprüfung gezahlt werden soll – die Respekt-Rente soll auch dann gewährt werden, wenn zum Beispiel eine Absicherung des Rentenempfängers durch den jeweiligen Ehepartner, durch Ansprüche aus einer Hinterbliebenenrente oder durch vorhandenes Vermögen besteht. Der Bundesarbeitsminister verteidigte dieses Vorhaben. Mit Blick auf jene Menschen, die lange bei niedrigen Lohn in die Rentenkasse einzahlten, äußerte Heil: „Ich fände es respektlos, wenn wir diese Menschen nach einem Arbeitsleben zwingen würden, beim Amt ihre Vermögensverhältnisse darzulegen“. Eine Information allerdings fällt durch diese Äußerung unter den Tisch: Darlegen müssten auch bei Umsetzung von Heils Entwurf all jene ihre Vermögensverhältnisse, die weiterhin auf Grundsicherungsleistungen angewiesen sind und einzig von Freibeträgen zur Grundsicherung profitieren. Sind doch geplante Freibeträge an die Grundsicherung gebunden. Folglich bleibt der Gang zum Sozialamt vielen Respekt-Rentnern nicht erspart, wie das ifo-Institut pointierend herausstellt.

Der Entwurf der CSU rüttelt an dieser Tatsache notwendiger Bedürfnisprüfungen für Bezieherinnen und Bezieher von Grundsicherung nicht, wohl aber an Leistungen für Nicht-Bedürftige durch die neue Rente. Denn aus Sicht der Koalitionspartner ist eine Zahlung ohne soziale Notwendigkeit schlicht eine Verschwendung von Geldern. So beanstandete der Vorsitzende der CSU im Bundestag, Alexander Dobrindt, laut Zeit: "Mit dem Vorschlag der SPD, bei der Grundrente keine Bedürftigkeitsprüfung durchzuführen, würden wir zukünftig zusätzlich zehnmal so viel Geld in neue Sozialausgaben stecken wie in die Forschung an künstlicher Intelligenz“. Aus Sicht des Politikers wäre das „keine Politik, die unseren Wohlstand für die Zukunft sichert.“

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Hubertus Heil hingegen sieht es selbstverständlich anders: „Die CSU-Ideen würden nur einem Bruchteil helfen und den Großteil derjenigen, die sich eine Grundrente verdient haben, außen vor lassen“, wird der Arbeitsminister in der Zeit zitiert. Aber Heil hat die Rechnung auch ohne den zweiten Koalitionspartner gemacht, denn dieser springt den Bayern sofort bei. "Der Vorschlag der CSU ist gut und richtig", äußerte zum Beispiel Peter Weiß in seiner Doppelfunktion als Politiker der CDU sowie als sozialpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion. Und folgt man einem Bericht der Süddeutschen, bemüht Weiß hierbei ein Argument der Gerechtigkeitsdebatte, das die CDU gern insbesondere für ihre mittelständlerische Wählerschaft reserviert: Die Kostenlast für den Steuerzahler. So äußerte Weiß zudem: "Eine Grundrente ganz ohne Vermögensprüfung ist für die Union nicht vorstellbar. Das widerspricht dem Gerechtigkeitsempfinden derjenigen, die die Grundrente mit ihren Steuern finanzieren". Die Auseinandersetzung legt nahe: Die Parteien laufen sich für den Wahlkampf der wichtigen Landtagswahlen warm und umwerben mögliche Wähler mit Argumenten zur sozialen Gerechtigkeit, wobei die CSU der CDU vorarbeitet. Denn keineswegs geht es beim Thema "Grundrente" nur um Rentenzahlungen. Das Thema ist wie gemacht für eine Gerechtigkeitsdebatte mit Blick auf das eigene Wahl-Klientel.

Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit beider Entwürfe

Es gibt aber einen Einwand, der dazu taugen könnte, beide Entwürfe – sowohl den Entwurf des SPD-Ministers als auch den Entwurf der CSU – in Frage zu stellen. Denn sind Freibeträge auf die Grundsicherung überhaupt verfassungsgemäß, sobald sie nicht jeder nutzen kann, sondern nur Rentnerinnen und Rentner mit einer Mindestzahl an Beitragsjahren? Aus Sicht des ehemaligen Geschäftsführers des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger, Franz Ruland, sind sie es nicht. Nach seiner Meinung verstoßen derartige Entwürfe schlicht gegen das Grundgesetz, sobald sie umgesetzt würden.

Die Verfassungswidrigkeit der Vorschläge ist demnach auch ein wesentlicher Grund für eine Prognose, die Franz Ruland in der Süddeutschen „wider die Grundrente“ stellt und die nun auch für den Vorschlag der CSU relevant werden könnte: Derartige Vorschläge werden aus seiner Sicht schlicht scheitern.

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