Hat ein Versicherungsvertreter auch Provisionsansprüche für Erhöhungen der Versicherungssummen dynamischer Lebensversicherungsverträge, obwohl der Handelsvertretervertrag zwischen ihm und einem Unternehmen beendet ist? Das Urteil des Bundesgerichtshofs (VII ZR 69/18) verkündet zunächst für diese Frage Erfreuliches aus Sicht des Vermittlers. Wäre da nicht die Sache mit einem Pferdefuß, den das Revisionsurteil den Versicherungsvertretern ebenfalls anheftet: Wie viele Vermittler von der Rechtssprechung im Nachhinein tatsächlich profitieren, ist demnach noch völlig unklar.

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Die rechtlichen Grundlagen

Wann hat ein Handels- sowie auch ein Versicherungsvertreter Anspruch auf Provision? Diese Frage beantworten zwei wichtige Paragraphen des Handelsgesetzbuchs (HGB). So ist in Paragraph 87 Absatz 1 Handelsgesetzbuch definiert: Ein Handelsvertreter hat Anspruch auf Provision für alle während des Vertragsverhältnisses abgeschlossenen Geschäfte, die auf seine Tätigkeit zurückzuführen sind oder mit Dritten abgeschlossen werden. Eine Bedingung, die freilich auch für Versicherungsvertreter gültig ist. Definiert Paragraph 92 Absatz 1 HGB Versicherungsvertreter doch als Handelsvertreter, die damit betraut sind, Versicherungsverträge zu vermitteln oder abzuschließen.

Jedoch regelt Paragraph 87 auch Tatbestände für Provisionsansprüche, die ein Versicherungsvertreter nicht geltend machen kann. So definiert Paragraph 87 Absatz 2 HGB zum Beispiel Provisionsansprüche, wenn dem Handelsvertreter ein bestimmter Bezirk oder ein bestimmter Kundenkreis zugewiesen ist. In diesen Fällen können auch Provisionsansprüche für den Handelsvertreter entstehen, ohne dass er am Zustandekommen eines Geschäfts mitwirkte. Ein Versicherungsvertreter jedoch hat derartige Ansprüche nicht.

Als maßgebender Paragraph für den Versicherungsvertreter nämlich definiert Paragraph 92 Absatz 3 einschränkend und deutlich: In Abweichung von § 87 Abs. 1 Satz 1 hat ein Versicherungsvertreter Anspruch auf Provision nur für Geschäfte, die auf seine Tätigkeit zurückzuführen sind. Paragraph 87 Abs. 2 gilt daher explizit nicht für Versicherungsvertreter. Eine Einschränkung, die für den Rechtsstreit vor dem Bundesgerichtshof indirekt bedeutend war.

Für das Urteil grundlegend nämlich ist die Frage: Sind spätere Erhöhungen der Versicherungssumme bei dynamischen Lebensversicherungsverträgen auf die Tätigkeit des Versicherungsvertreters bei Abschluss des Versicherungsvertrags zurückzuführen? Und wenn ja: Können auch Ansprüche auf spätere Erhöhungen der Versicherungssumme gegenüber einem Unternehmen geltend gemacht werden, obwohl das gegenseitige Handelsvertreter-Verhältnis zwischen Vertreter und Unternehmen bereits aufgelöst wurde – zum Beispiel, da der Vertrag auslief?

Der Rechtsstreit

Der Bundesgerichtshof fällte sein Urteil vom 20. Dezember 2018 (VII ZR 69/18) als Revisionsinstanz. Geklagt hatte ein Versicherungsvertreter, der für das beklagte Unternehmen Lebensversicherungsverträge vermittelte, und zwar in der Funkion eines Untervertreters. Vertraglich verbunden war der Vertreter über einen Beratungsvertrag beziehungsweise – im Wortlaut des Urteils – über einen Consultantvertrag mit dem beklagten Unternehmen. Der Vertreter sollte also eine beratende Dienstleistung erbringen für den Kunden. Dafür erwarb er unter anderem Anspruch auf Provisionszahlungen vom Unternehmen zu Bedingungen, die im Consultantvertrag festgeschrieben waren.

Streitgegenstand: Provisionsansprüche für dynamische Lebensversicherungen

Streitgegenständlich für das Gerichtsverfahren waren letztendlich Provisionsansprüche auf Verträge sogenannter dynamischer Lebensversicherungen. Von vorn herein wird für dynamische Lebensversicherungen per Vertrag geregelt: Schrittweise erhöhen sich die Beiträge, schrittweise erhöhen sich im Gegenzug die Versicherungsleistungen. Bedingung: Der Kunde widerspricht nicht der Erhöhung von Beiträgen und Gegenleistung. Provisionen für den Versicherungsvertreter werden bei diesen Lebensversicherungsverträgen auch auf Erhöhungen der Versicherungssumme fällig – das Urteil des BGH wählt hierfür den Begriff Dynamikprovisionen. Wie verhält es sich aber, wenn der Vertrag eines Versicherungsvertreters ausläuft?

Consultantvertrag war beendet

Ein zentrales Problem der Auseinandersetzung: Der Consultantvertrag zwischen dem Versicherungsvertreter und dem Unternehmen datierte auf den 18. April 2008 und lief am 30. November 2013 aus. Was aber ist mit Provisionsansprüchen aufgrund der Dynamik nach Ende des Vertragsverhältnisses? Was ist also mit jenen dynamischen Lebensversicherungen, die der Versicherungsvertreter selbst vermittelt hatte und die nun – nach Ende des Vertragsverhältnisses zwischen Unternehmen und Vertreter – auch nach 2013 noch Dynamikprovision abwerfen?

Der Versicherungsvertreter meinte: Trotz Auslaufen des Vertrags, der ihn an das Unternehmen band, stehen ihm weiterhin Provisionen aus den Erhöhungen der von ihm vermittelten Lebensversicherungsverträge zu. In einem ersten Schritt forderte der Versicherungsvertreter das Unternehmen folglich auf, derartige Einnahmen aus Dynamikprovisionen für von ihm vermittelte Verträge offenzulegen. Da das Unternehmen sich weigerte, klagte der Mann – erst auf Offenlegung der Dynamikprovisionen, dann über eine Stufenklage auf Zahlung des sich aus den Abrechnungen für ihn ergebenden Betrags nebst Zinsen. Das zuständige Landgericht (LG) Frankfurt am Main gab der Klage statt. Das beklagte Unternehmen freilich, das den Vertreter beschäftigt hatte, wollte sich damit nicht abfinden – und startete den Weg durch die Instanzen.

Revision des Unternehmens: Arg angeschlagen zum Erfolg

Das beklagte Unternehmen ging nun erfolglos beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main in Berufung und legte letztendlich gegen das Berufungsurteil Revision vor dem Bundesgerichtshof ein. Die Revision hat nun mit BGH-Urteil vom 20. Dezember 2018 Erfolg, ohne dass grundlegende juristische Einwände des beklagten Unternehmens erfolgreich waren. Denn viele Urteilsgründe des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main, die das Unternehmen über die Revision anfechten wollte, hielten einer rechtlichen Nachprüfung durch den Bundesgerichtshof stand. Jedoch: eben nicht im vollen Umfang. So errang das Unternehmen letztendlich einen Erfolg, obwohl es bei Entscheidungsgründen des Revisionsgerichts mehr Gegentreffer kassierte als Treffer landete.

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Was jedenfalls kaum im Sinne des beklagten Unternehmens war: Der BGH erklärte grundsätzlich, dass Erhöhungen der Versicherungssumme dynamischer Lebensversicherungen auf die Vermittlungstätigkeit bei Abschluss des Versicherungsvertrags zurückgehen. Diese Erhöhungen sind somit dem Versicherungsvertreter über Dynamikprovisionen entsprechend zu vergüten. Ausgewählte Punkte des Urteils, die der Bundesgerichtshof für seine Entscheidung anführte, sollen im Folgenden kurz vorgestellt werden.

Entscheidungsgründe des Gerichts: Vermittler-Erfolg mit Pferdefuß

Zunächst seien jene Gründe vorgestellt, die ganz im Sinne des Versicherungsvertreters waren. So entspricht es laut BGH der Eigenart des Vertragstyps dynamischer Lebensversicherungen, die eintretenden Erhöhungen bereits mit Abschluss des Versicherungsvertrags als vereinbart anzusehen. Das trifft dann zu, sobald die Versicherungssumme sich nach dem Inhalt des Versicherungsvertrags in regelmäßigen Zeitabständen erhöht, solange der Versicherungsnehmer nicht widerspricht. Gemäß den Vertragsbedingungen zwischen Vertreter und Unternehmen bei Vermittlung der Verträge sind für die Erhöhungen demgemäß Provisionen an den Versicherungsvertreter zu zahlen – und zwar selbst dann, wenn zwischen dem Versicherungsvertreter und dem Unternehmen keine vertragliche Verbindung mehr besteht.

Verzichtvereinbarung tilgt Ansprüche

Ein wichtiger Einwand ist jedoch zu beachten: Der Anspruch regelt sich über Bedingungen des einstigen Consultantvertrags zwischen Vertreter und Unternehmen. Und diese Bedingungen dürfen keine alternativen Regelungen festschreiben. Denn nur ohne ausschließende Klauseln besteht tatsächlich Anspruch auf Dynamikprovisionen auch nach Ende des Vertragsverhältnisses. So darf zum Beispiel der Consultantvertrag keine explizite Verzichtvereinbarung enthalten. Liegen hingegen Verzichtsklauseln vor, würde auch kein Anspruch auf Dynamikprovisionen nach Vertragsende bestehen.

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Anspruch nur ohne Widerspruch des Kunden

Wichtig für Ansprüche auf Dynamikprovisionen ist zudem: Erhöhungen der dynamischen Lebensversicherung müssen wirksam werden. Das ist dann der Fall, wenn der Kunde nicht von seinem Widerspruchsrecht Gebrauch macht. Aus diesem Grund versuchte das beklagte Unternehmen einen Trick: Es wollte darauf beharren, dass die Beweislast für dynamische Erhöhungen bei dem Versicherungsvertreter liegt. Darauf aber ließ sich der BGH nicht ein.

Beweislast liegt nicht beim Versicherungsvertreter

Entgegen der Auffassung des beklagten Unternehmens trifft den Versicherungsvertreter nicht die Beweislast dafür, dass es nach Beendigung des Consultantvertrags tatsächlich zu Erhöhungen der Versicherungssumme in den jeweiligen Lebensversicherungsverträgen gekommen ist. Vielmehr muss das Unternehmen beweisen, wenn das Gegenteil eintrat. Würde nämlich ein Kunde tatsächlich von seinem Widerspruchsrecht Gebrauch machen, würde ein günstiger Umstand für das Unternehmen eintreten. Nach allgemeinen beweisrechtlichen Grundsätzen ist damit aber auch das Unternehmen in der Beweispflicht.

Ausgleichsanspruch berührt nicht Anspruch auf Dynamikprovisionen

Wichtig ist auch: Für Dynamikprovisionen trifft nicht der Ausgleichsanspruch nach Paragraph 89b Absatz 5 HGB zu, sofern nicht ein Verzicht auf diese Provisionen im Voraus vereinbart wurde. Das beklagte Unternehmen versuchte jedoch, unter Berufung auf diesen Ausgleichsanspruch den Schaden zu begrenzen – ein solcher Anspruch hätte zwar einen Ausgleich für den Versicherungsvertreter bedeutet, jedoch dessen Ansprüche zugleich auf höchstens drei Jahresprovisionen oder Jahresvergütungen begrenzt. Bestehen aber aufgrund der Vermittlung dynamischer Lebensversicherungen auch nach Ende des Vertragsverhältnisses Ansprüche auf Provisionen, können diese Ansprüche nicht durch den Ausgleichsanspruch ausgehebelt werden.

Ein großes "Aber" des Urteils als Pferdefuß

All diese Bedingungen sprechen nun also dafür: Dem klagenden Versicherungsvertreter stehen Provisionsansprüche für nach Beendigung des Vertrags eintretende Erhöhungen der Versicherungssumme zu. Erfolg also auf ganzer Linie für den Versicherungsvertreter sowie für seine Zunft? Nicht ganz, denn das Urteil enthält ein großes „Aber“, dass sich leicht zur Tücke für Provisionsforderungen ausweiten kann. Und zwar aus folgendem Grund:

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat einen Vortrag des beklagten Unternehmens nicht für sein Urteil in Erwägung gezogen, wonach dem beklagten Versicherungsvertreter eine Praxis des Unternehmens vertraut war. Demnach wären die Bestände ausgeschiedener Vertreter auf die unter Vertrag stehenden Consultants des Unternehmens übergegangen – und mit den Verträgen wären auch die Dynamikprovisionen an die weiterhin für das Unternehmen tätigen Vertreter übergeben worden. Der klagende Versicherungsvertreter hätte diese Praxis nicht nur gekannt, sondern auch mitgetragen. Ist dies aber der Fall und sind beide Parteien davon ausgegangen, dass bei Vertragsende kein Anspruch mehr auf Dynamikprovisionen besteht, dann würden dem Versicherungsvertreter auch keine Dynamikprovisionen nach Vertragsende zustehen.

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Ob es sich tatsächlich so verhält, muss nun erneut das Oberlandesgericht Frankfurt am Main entscheiden. Denn die Nichtberücksichtigung dieses Einwands führte zum Erfolg der Revision vor dem BGH und damit zur Zurückweisung des Urteils an das Oberlandesgericht. Der Pferdefuß dieses zunächst erfreulich erscheinenden Urteils für Versicherungsvertreter könnte nun darin bestehen, dass bei aller Deutlichkeit zu Dynamikprovisionen doch ein Tatbestand als Hintertürchen für die provisionspflichtigen Unternehmen bleibt. Denn sobald ein Unternehmen glaubhaft machen kann, in Kenntnis gängiger Praxis hätte ein ausscheidender Versicherungsvertreter dem Übergang der Provisionen an andere Vertreter zugestimmt, wird es schwer, Ansprüche auf Dynamikprovisionen einzufordern.

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