Für die einen ist es ein ärgerliches Relikt aus längst vergangenen Zeiten, für die anderen notwendig, um die Beratungsqualität im Versicherungsvertrieb zu sichern: das Provisionsabgabeverbot. Es verhindert, dass Vermittler ihre Provisionen mit dem Kunden teilen dürfen. Bis auf wenige Ausnahmen ist dieses Verbot auch mit dem IDD-Umsetzungsgesetz wieder in Kraft getreten. Es ist auch der Lobby der Vermittlerverbände zu verdanken, dass es so kam. Der Bundesverband deutscher Versicherungskaufleute (BVK) hat sich zum Beispiel vehement dafür eingesetzt und wertet es als eigenen Erfolg, dass das Verbot bestehen blieb.

Anzeige

Nun macht sich ein Start-up daran, das Provisionsabgabeverbot zu kippen: oder will es zumindest versuchen. Tippgeber UG heißt das Unternehmen und betreibt die Webseite kinder-privat-versichern.de. Wie das Unternehmen in einem Pressetext berichtet, wurde es von einem Wettbewerber verklagt - eben deshalb, weil es offensiv damit wirbt, Kunden an den Provisionen zu beteiligen.

Doch den Rechtsstreit wollen die beiden Geschäftspartner Christoph Hübner und Markus Herrmann bis zuletzt durchfechten. Und das heißt: notfalls bis vor den Bundesgerichtshof. Das Verfahren läuft vor dem Landgericht Hamburg unter dem Aktenzeichen 315 O 303/18 sowie vor dem Landgericht Köln mit dem Aktenzeichen 84 O 186/18.

Kritik an pauschalen Provisionen

Das Start-up vermittelt private Krankenversicherungen für Kinder. Und kritisiert, dass Vermittler oft ihre Provision für solche Tarife pauschal ausgeschüttet bekommen. Denn jedes Kind muss in Deutschland krankenversichert werden - bei Privatversicherten passiert das oft über die Versicherung eines Elternteils. Pauschal würden fünf bis acht Monatsbeiträge an Vermittler fließen, wenn ein frisch geborenes Kind krankenversichert werde - unabhängig davon, ob tatsächlich eine Beratung der Eltern stattgefunden hat.

Diese Praxis wollen sich die beiden Geschäftspartner, die als Mehrfachagenten tätig sind, zu Nutze machen. „Wir wollen, dass Eltern ihren Vermittlern die unangenehme Frage nach der Provision stellen“, erklärt Geschäftsführer Christoph Huebner. „Aus unserer Sicht ist es fair, wenn Geld nur abhängig vom tatsächlichen Beratungsaufwand verdient wird – und nicht pauschal fünf bis acht Monatsbeiträge bezahlt werden. Denn diese Provision wird immer ausgeschüttet, auch wenn der Vermittler vielleicht von der Entbindung noch nicht einmal wusste und die Eltern direkt bei der Gesellschaft angerufen haben. Diese Provision ist für die Eltern unvermeidbar.“

Tippgeber - ebenfalls ein umstrittenes Modell

Um Provisionen teilen zu können, bedienen sich die beiden Unternehmer des Tippgeber-Modells. Dabei werden die Eltern nicht als Versicherungsnehmer vergütet, sondern eben als sogenannte Tippgeber. Das ist grob vereinfacht jemand, der den Kontakt zwischen dem Kunden und Vermittler hergestellt hat.

„Es ist gerade in Deutschland mal wieder und bis auf Weiteres nicht erlaubt, Versicherungsnehmer direkt an der Abschlussprovision zu beteiligen“, heißt es auf der Webseite. „Bitte haben Sie daher Verständnis dafür, dass wir das Tippgeber-Cashback nur an die Personen ausbezahlen können, die uns den Kontakt zu dem Elternteil vermittelt haben, der später Versicherungsnehmer des Kindervertrages wird. Selbstverständlich kann auch die Mutter eines Kindes unsere Expertise an den Vater empfehlen“, erklärt Hübner. „Dafür bezahlen wir dann mit vier Monatsbeiträgen gut die Hälfte unserer Abschlussprovision.“ Mit anderen Worten: 50 Prozent erhält der von den Eltern benannte Tippgeber, 50 Prozent behalten die Portalbetreiber ein.

Das Tippgeber-Modell ist selbst höchst umstritten. Zum einen fehlt eine genaue Definition, was ein Tippgeber eigentlich ist und darf. Ein Tippgeber braucht - anders als ein Vermittler - keine Gewerbeerlaubnis, keine Mindestqualifikation und keine Gewerbehaftpflicht, wenn er eine Versicherung empfiehlt. Nach Regeln der Gewerbeordnung ist nur die Vermittlung eines Vertragsabschlusses, also die Abschlussvermittlung, beziehungsweise die Beratung zu den Produkten erlaubnispflichtig. Auch das IDD-Umsetzungsgesetz sieht hier keine genauere Bestimmung vor.

Gerade für die private Krankenversicherung sind Tippgeber aber ein wichtiger Umsatzbringer. So hat zum Beispiel der digitale Krankenversicherer Ottonova mit dem KV Werk einen Dienstleister angeworben, um künftig auch Tippgeber einzusammeln (der Versicherungsbote berichtete). Und bei Beihilfe-Tarifen hat sich ein System etabliert, bei dem Lehrer, Polizisten, Juristen und Beamte als Tippgeber agieren, um junge Berufseinsteiger anzusprechen. Freilich nicht, ohne sich das anständig vom Versicherer vergüten zu lassen.

Anzeige

Mitunter agieren die Tippgeber in einer juristischen Grauzone. Ein Vermittler berichtete dem Versicherungsboten zum Beispiel von einer Veranstaltung in Berlin, bei der hochrangige Polizisten Polizeianwärter zu einer Informationsveranstaltung eingeladen haben - um dort für einen ganz bestimmten Versicherer zu werben. Im Jahr 2014 sorgte darüber hinaus der Tippgeber-Skandal für Schlagzeilen. Der Vorwurf: Angestellte der Debeka hätten jahrelang Adressen von Lehrern und anderen Beamten gekauft, um deren Kollegen eine private Krankenversicherung zu vermitteln. Der Versicherer musste schließlich ein Ordnungsgeld von 1,3 Millionen Euro zahlen (der Versicherungsbote berichtete).

"Mehr zur Jahresarbeitsentgeltgrenze finden Sie bei Wikipedia“

Obwohl die beiden Unternehmer eine wichtige Schwachstelle des Provisionsmodells benennen: Im Zweifel werden Provisionen auch bei schlechter Beratung bezahlt oder sogar wenn gar keine Beratung stattfindet, so erlaubt ein Besuch ihrer Webseite die Frage, wie gewissenhaft und umfassend sie selbst beraten. Genau hierfür sollen im Idealfall die Provisionen fließen: Dass sich ein Vermittler Zeit dafür nimmt, den Bedarf eines Versicherungsnehmers und den passenden Vertrag zu ermitteln. Sowie später den Kunden weiterhin zu betreuen, etwa bei der Regulierung eines Schadens oder wenn der Vertrag angepasst werden muss. Im Zweifel eine umfassende und aufwendige Recherche.

Zusatztarife von lediglich zwei Anbietern empfohlen

Dass bei einer Online-Beratung hingegen durchaus Tücken lauern können, zeigt sich, wenn man die Seite kinder-privat-versichern.de aufruft und dort die einzelnen Ratschläge anschaut. Wer zum Beispiel eine private Zusatzversicherung für das gesetzlich versicherte Kind abschließen will, dem werden beim Klick auf „Unsere Tarifempfehlungen“ nur Policen der Allianz und Signal Iduna empfohlen. Kein Wunder: Es dürfte sich um jene beiden Anbieter handeln, mit denen die beiden Mehrfach-Vertreter kooperieren.

Anzeige

Hier stellt sich die Frage, warum das Insurtech als Mehrfachvertreter tätig ist. Vergleichbare Portale und InsurTechs sind in der Regel als Versicherungsmakler registriert - sie halten folglich eine größere Auswahl an Anbietern und Tarifen bereit. “Wenn Sie für Ihr Kind bei der medizinischen Behandlung keine Kompromisse eingehen wollen, empfehlen wir Ihnen, sich auch mit den Tarifen der Allianz und der Signal Iduna zu befassen“, heißt es auf der Webseite. Gilt das selbst dann, wenn das Kind bereits bei einem Wettbewerber einen guten und passenden Schutz gefunden hat? Hier hat man das Gefühl, dass das Eigeninteresse der Mehrfachvertreter auch die Ratschläge auf der Webseite prägen.

Ein weiteres Beispiel zur Beratungsqualität: Wer den „digitalen Berater“ des InsurTechs anklickt, wird auch gefragt, ob ein privat versichertes Elternteil mit seinem Einkommen über der Jahresarbeitsentgeltgrenze liegt. Ist denkbar, dass die Abschlusswilligen gar nicht genau wissen, was die Konsequenzen sind? Sie werden auf eine fundierte Quelle verwiesen: „Mehr zur Jahresarbeitsentgeltgrenze (JAEG) bzw. Versicherungspflichtgrenze (2017: 57.600 Euro pro Jahr) finden Sie bei Wikipedia“.

Seite 1/2/

Anzeige