Eine Petition im Bundestag fordert eine Reform des wettbewerbsrechtlichen Abmahnwesens. Der derzeitige Rahmen begünstige „einen missbräuchlichen Einsatz von Abmahnungen aus Gewinninteresse durch Abmahnvereine und spezialisierte Rechtsanwälte“, heißt es im Text der Petition. „Die existenzielle wirtschaftliche Bedrohung durch die drohenden hohen Geldforderungen führt zu einem Klima der Verunsicherung und Angst und drängt viele abgemahnte Unternehmen dazu, ihr Gewerbe aufzugeben.“

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Existentielles Risiko: Schon ein fehlendes Komma reicht aus

Neu sind die Vorwürfe nicht. Initiatorin ist laut „Spiegel“ die Bonner Kleinunternehmerin Vera Dietrich. Sie betrieb einen Onlineshop für selbst designte Schals - bis sie selbst ins Fadenkreuz der Abmahnindustrie geriet und plötzlich mit horrenden Mahngebühren konfrontiert wurde. Sie hat daraufhin hingeworfen und ihre Webseite eingestellt. „Das finanzielle Risiko auch für meine Familie war mir einfach zu hoch“, sagt Dietrich den „Spiegel“.

Doch kampflos aufgeben wollte Dietrich nicht. Im März startete die Unternehmerin ihre Petition im Bundestag. Erfolgreich: Etwa 21.230 Menschen haben bereits unterzeichnet. Dietrich greift damit eine Initiative der Industrie- und Handelskammern auf, die sich mit einem Verbändepapier ebenfalls gegen „Abmahnmissbrauch“ positionieren. Dabei durchkämmen die Juristen die Webseiten von Online-Shops und nutzen jeden noch so kleinen Formfehler, um gegen den Betreiber vorzugehen. Teils werden sie auch von großen Wettbewerbern beauftragt, die unliebsame Konkurrenz ausschalten wollen.

Beinahe jeder zweite Online-Shop wurde laut Studie abgemahnt

Tatsächlich sind in den letzten Jahren wiederholt Anwaltsvereine in Erscheinung getreten, die sich auf das Geschäft mit Abmahnungen spezialisiert haben. Das zeigen auch Studien. Der Online-Anbieter „Trusted Shops“ hat im Jahr 2017 eine Umfrage unter 1.530 Händlern durchgeführt. Das Ergebnis: 680 von ihnen waren in den letzten zwölf Monaten von mindestens einer Abmahnung betroffen und mussten im Schnitt 4.700 Euro dafür zahlen. Oft reiche ein fehlendes Komma im Impressum der Webseite aus, damit sich die Shopbetreiber mit Forderungen von mehreren zehntausend Euro konfrontiert sehen, berichtet der „Spiegel“.

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“Jedes zweite Unternehmen fühlt sich nach einer aktuellen Befragung von Trusted Shops durch Abmahnungen in seiner Existenz bedroht“, heißt es nun auch im Petitionstext mit Bezug auf die Studie. „Viele beenden deshalb – dies ist auch die Erfahrung der IHK´s - das Gewerbe. Hier werden aus Gewinninteresse Existenzen und Lebensträume vernichtet und es entsteht ein erheblicher gesamtwirtschaftlicher Schaden.“ Gerade Kleinunternehmer und Existenzgründer seien betroffen. Sie könnten die Kosten für einen Rechtsstreit oft nicht aufbringen, würden die - teils lebenslang geltenden - Abmahnungen deshalb akzeptieren und in die Knie gezwungen, wenn neue Forderungen auf sie zukommen.

Strengere Regeln für Anwälte und ihre Vereine gefordert

Sowohl die Petition als auch die Industrie- und Handelskammern wenden sich mit ihren Vorstößen nicht grundsätzlich gegen Abmahnungen. Das deutsche System der außergerichtlichen Streitbeilegung sei "im Grundsatz ein Erfolgsmodell", heißt es im Statement der IHKen, dabei nehme auch die Abmahnung eine wichtige Funktion ein. Sie erlaube es, "Konflikte unbürokratisch und ohne ein Einschreiten von Behörden oder Gerichten zu lösen".

Dennoch werde das Modell "durch unseriöse Marktteilnehmer" zu oft missbraucht, dem müsse Einhalt geboten werden. Selbst wenn sich die Webseiten-Betreiber ernsthaft um Rechtskonformität bemühen würden, führe die "Vielzahl an einzuhaltenden Formvorschriften und Informationspflichten" dazu, dass sie wiederholt abgemahnt werden, gibt der Petitionstext zu bedenken.

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Die IHKen haben konkrete Vorschläge unterbreitet, damit sich die Situation bessert. So soll der Gesetzgeber unter anderem die Abmahn- und Klagebefugnis konkretisieren (Aktivlegitimation). Fortan sollen nur noch Vereine klagen dürfen, die sich nach vorheriger Prüfung durch das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz in eine Liste eintragen lassen und regelmäßig geprüft werden. Auch solle im Gesetz definiert werden, wann ein Rechtsmissbrauch vorliege.

Die finanziellen Anreize, das Abmahngeschäft aus reinem Gewinninteresse zu betreiben, müssten zudem verringert werden, fordern die Kammern darüber hinaus. So solle die erste Abmahnung nicht mehr kostenfrei sein wie bisher. Auch seien verfahrensrechtliche Änderungen notwendig, "die ein Kräftegleichgewicht herstellen und den abgemahnten Unternehmen ermöglichen sollen, sich auch bei finanzieller und personeller Überlegenheit des Abmahners gegen Abmahnmissbrauch verteidigen zu können". Der konkrete Maßnahmenkatalog findet sich im Positionspapier des DIHK.

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Relevant ist die Petition auch für Versicherungsvermittler. Wenn am 25.05.2018 die Übergangsfrist zur Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) endet, könnte auch eine neue Abmahnwelle auf Vermittler zukommen, warnt aktuell der Leipziger Maklerpool Invers. Dass im Bundestag kein Know-how für derartige Themen vorhanden wäre, kann jedenfalls als widerlegt gelten. 115 Juristen sitzen derzeit in Deutschlands Parlament, die meisten davon Rechtsanwälte: Kein Beruf ist nach Recherchen der "Süddeutschen" derart oft vertreten.

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