Eine „konsequente Kundenorientierung“ strebe die Allianz an, so Heinemann als Fazit. Das klingt zunächst nach einer abgelutschten Marketingphrase, was es tatsächlich auch ist. Doch der Allianz-Vorstand machte in seinem Vortrag deutlich, dass damit viele strategische Entscheidungen verknüpft sind, auch Irrwege, weil der Kunde sich eben doch nicht so verhält, wie es in den Hinterzimmern von PR-Agenturen und Versicherern gemutmaßt wird, sondern sich selbst auf die Reise begibt, ein Abenteurer ist. Und kaum glaubt man, den Kunden zu kennen, ist er schon woanders, hat andere Vorlieben entwickelt, geht fremd und ist verschwunden.

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Der Kunde begibt sich selbst auf die Reise

Das versuchte Heinemann am „One-2-many“-Ansatz zu erläutern. Früher ging der Vermittler zum Kunden, war quasi das Medium, durch das der Versicherer sprach, und die eigene Marke wurde durch Werbung bekannt gemacht wie etwa dem bekannten TV-Spot der 80er, bei dem ein gut geföhnter Mann in Italien in den Tomatenstand brettert.

Nun aber begibt sich der Kunde selbst auf die Reise, recherchiert im Internet, erst bei Google, dann bei Check24 und Verivox, informiert sich in Online-Foren und bei Freunden, springt und switcht. Die Möglichkeit, im Netz zu bewerten, gibt dem Kunden auch eine ganz neue Macht, selbst daran mitzuwirken, welche Versicherung andere Kunden abschließen. Von „Costumer Journey“ spricht man, auch das kein neues Konzept, und „diese Reise ist nicht mehr gesteuert, sondern der Kunde definiert sie selbst“, so Heinemann.

Bei all der neuen Macht lässt sich der Kunde auch gern täuschen. Logarithmen erlauben es, dem Kunden den Eindruck zu vermitteln, dass man mit ihm persönlich kommuniziert und mit seinen individuellen Bedürfnissen anspricht, obwohl sich doch dahinter nur die technische Auswertung des eigenen Nutzungsverhaltens verbirgt. Onlinegiganten wie Google, Amazon oder Facebook schaffen es perfekt, diese Illusion der direkten Ansprache zu erzeugen: sie locken mit passgenauen Ergebnissen, „Mein Buch, meine Reise, mein Partner“, so als würde da am anderen Ende jemand sitzen, der einen ganz genau kennt und versteht.

"Ändert sich denn jetzt alles?"

Auch die Allianz will an diesen technischen Möglichkeiten partizipieren, und doch nicht alles neu machen. „Ändert sich denn jetzt alles?“, fragt Heinemann. Und verneint. Denn auch die Versicherungswirtschaft habe Stärken, wobei Empathie und der persönliche Faktor entscheidend seien: „Die Kunden sind früher nicht zum Vertreter gegangen, weil das bequem war, sondern weil sie einen persönlichen Ansprechpartner suchten“, sagte Heinemann. Deshalb ziele die Strategie der Allianz auf den Hybrid-Kunden, der sowohl online wie offline aktiv ist. Online will der Versicherer möglichst viele Kontaktpunkte bieten, aber auch in der Fläche mit den eigenen Agenturen präsent sein, denn wenn der Kunde abends zu einer Agentur gehe, weil er Rat sucht, aber diese ist geschlossen, geht er im Zweifel zum Wettbewerber, dessen Agenturbüro noch offen ist.

Selbst in der Autoversicherung, jenem Bereich, der am meisten online abgeschlossen wird, seien in den letzten Jahren vor allem die RoPo-Abschlüsse gestiegen ("Research Online, Purchase Offline"), erklärt Heinemann. Also jene, bei denen der Verbraucher erst im Netz recherchiert und dann doch persönlich zu einem Vermittler geht. Er glaube deshalb auch nicht, dass das gesamte Geschäft ins Netz abwandere, im Gegenteil: die Direktversicherer haben eher Marktanteile abgegeben. Gemäß den Ausführungen könnte man sagen: weil sie nicht genug empathiefähig sind.

Allianz bei Facebook funktioniert nicht ohne Agenturen

Eine sympathische Erkenntnis ist hierbei, dass die traditionellen Agenturen wichtig sind, um die digitale Strategie der Allianz zu stützen. Heinemann erläuterte das am Facebook-Auftritt des Versicherers. Zunächst hatte die Allianz eine einzige Facebook-Seite, die ganz nach der Corporate-Idee betrieben wurde: eine Mischung aus Unternehmens-News und Verbrauchertipps. „Komplett irrelevant“ sei diese Seite gewesen, so Heinemann, immerhin 200.000 Likes sammelte man ein, aber um den Kunden abzuholen und anzusprechen, brachte sie wenig.

Da erkannte die Allianz, dass sie ihre Agenturen braucht, um bei Facebook auch in die Weite zu wirken. Jeder Agentur wird es nun gestattet, ihren eigenen Facebook-Auftritt zu pflegen. Die Accounts können mit Inhalt bestückt werden, den die Allianz zur Verfügung stellt, aber auch mit eigenen und persönlichen Inhalten: Jeder Vermittler kann sich mit seinen Hobbys und Vorlieben präsentieren, seinen Themen, seinen Spleens.

So wurde ein ganzes Netz an Anknüpfungspunkten geschaffen: Profile mit ganz unterschiedlichen Themen und Arten der Ansprache, die weit besser die Marke Allianz präsentieren als die eigene Corporate-Seite. Heinemann verdeutlichte dies am Facebook-Profil eines Kölner Vermittlers. Dieser ist Hunde-Freak, auf dem Profilfoto der Agentur umarmt er einen Hund, viele seiner Fotos zeigen die Familienhunde, und er tauscht sich oft und gern mit anderen Hundehaltern aus. So wurde er zu einem kleinen Star der Hundeversicherung, vermittelt jährlich 4.000 Verträge allein in diesem Segment, und zwar bundesweit. Es ist der persönliche Faktor, der auch hier den Ausschlag gibt.

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Es gehe darum, "das richtige Alte zu bewahren und das richtige Neue dazuzupacken", so Heinemann. Jede Agentur erhalte zum Beispiel ihre eigene Webseite und könne die Online-Instrumente der Allianz-Webseite nutzen. Weil die Allianz aber auch Innovationen nicht gegen sich laufen haben will, hat sie eine Art Versuchslabor geschaffen, ausgestattet mit Milliarden: Allianz X, die Start-ups mit allerlei Zukunftsideen päppelt und nicht ganz selbstlos auch bindet. Drei Beispiele: Bima bietet Mikroversicherungen für Schwellenländer an, mit Kleinunternehmern als Zielgruppe, deren Einkommen geradeso zum Überleben reicht. Und der digitale Versicherer Lemonade bastelt an Tarifen ohne Schaden-Kosten-Quote.

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