Er zählt zu den größten Verlierern der Koalitionsgespräche zwischen Union und SPD: der Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach. Seit Jahren schon trommelt der SPD-Fraktionsvize für eine Bürgerversicherung, wonach private Krankenversicherer nur zu denselben Bedingungen Neuverträge anbieten dürfen wie die gesetzlichen Krankenkassen.

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Doch von der Idee einer Bürgerversicherung ist im Koalitionspapier nicht viel geblieben, CDU und CSU schmetterten die Pläne ab. Eine Kommission soll nun untersuchen, ob wenigstens die Honorare der Kassenärzte ein wenig raufgesetzt werden können. Die hohen Unterschiede bei der Arztvergütung zwischen PKV und GKV werden als wichtigster Grund gesehen, weshalb Kassenpatienten länger auf einen Facharzt-Termin warten müssen. Die SPD spricht gern von einer "Zwei-Klassen-Medizin".

PKV werde zur Beamtenversicherung

Markenzeichen Fliege und Brille: der SPD-Gesundheitsökonom Karl Lauterbach. Foto: spdfraktion.deIn einem Interview mit der „Welt am Sonntag“ erneuert nun Karl Lauterbach seine Kritik an der privaten Krankenvollversicherung. Und versucht, die Branche an einem wunden Punkt zu treffen. Gern betonen die privaten Krankenversicherer, wie unabhängig sie von den Zuwendungen des Staates sind - im Gegensatz zu den Krankenkassen, die unter anderem mit Steuermitteln gepäppelt werden. Doch dies stellt Lauterbach indirekt in Frage.

Die PKV werde immer mehr zur Beamtenversicherung, zitiert „WamS“ den Gesundheitswissenschaftler. „Bei den gut verdienenden Angestellten gewinnt die PKV schon heute kaum mehr Mitglieder. Das Risiko, dort gefangen zu sein, ist zu groß“, sagt Lauterbach. Und verweist darauf, dass die Krankenkassen auch für Selbstständige attraktiver werden könnten: "Im Koalitionsvertrag haben wir endlich die GKV-Einstiegsbeiträge für Existenzgründer halbiert, weil diese bislang zu hoch waren".

Mehr als 40 Prozent der Vollversicherten sind Beamte oder Pensionäre

Tatsächlich ist keine Personengruppe so prominent in der PKV-Vollversicherung vertreten wie Staatsdiener. 42,2 Prozent aller Vollversicherten sind entweder Beamte (24,7 Prozent) oder Pensionäre (17,5 Prozent), so zeigt eine Analyse des Wissenschaftlichen Instituts der privaten Krankenversicherung (WIP). Die Forscher haben sich die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe des Statistischen Bundesamtes aus dem Jahr 2008 zur Brust genommen und nach der sozialen Stellung der PKV-Versicherten ausgewertet. Neuere Zahlen liegen aktuell nicht vor.

Soziale Stellung der PKV-Versicherten im Jahr 2008. Durch Auf- und Abrunden können sich Rundungsdifferenzen ergeben. Quelle: WIP 2012

Selbstständige bilden laut Studie die drittgrößte Gruppe unter den erwerbstätigen Privatversicherten mit einem Anteil von 15,7 Prozent, gefolgt von den Arbeitnehmern mit 11,6 Prozent. 7,5 Prozent der Privatversicherten sind Rentner, 2,9 Prozent Studenten und 0,2 Prozent Arbeitslose. Weitere 10,3 Prozent lassen sich den „sonstigen Nichterwerbstätigen“ zurechnen - etwa Hausfrauen und Kinder.

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Auffallend ist darüber hinaus, dass immerhin jeder zweite Privatversicherte als nicht erwerbstätig gilt. Nur für etwa 49,2 Prozent aller PKV-Versicherten ist die eigene Erwerbstätigkeit die Haupteinnahmequelle. Neben Rentnern, Pensionären und Kindern zählen etwa auch Hausfrauen und Sozialleistungsempfänger zu der Gruppe der Nichterwerbstätigen.

Reformdruck - 20,2 Milliarden Euro an Beihilfen pro Jahr erwartet

Dass so viele Beamte privatversichert sind, erhöht auch den Reformdruck im Gesundheitssystem zu Ungunsten der privaten Krankenversicherer. Zwar sind diese gut aufgestellt: Sie haben 220 Milliarden Euro an Rücklagen angespart, können zudem Teuerungen im Gesundheitssystem an die Versicherten weitergeben, indem sie die Prämien raufsetzen. Trotzdem wird der Steuerzahler künftig deutlich mehr in das System der privaten Krankenversicherung pumpen müssen: wenn auch indirekt über das Beihilfe-System.

Der Hintergrund: Über die sogenannte Beihilfe übernimmt der Staat bei privatversicherten Beamten die Hälfte der Arzt- oder Krankenhauskosten, bei Pensionären sind es sogar 70 Prozent - je nach Familiensituation sowie Bundes- und Landesrecht. Gezahlt werden die Beihilfen aus Steuergeldern. Und diese Ausgaben könnten in den kommenden Jahren deutlich zulegen. Schon jetzt zahlen Bund und Länder zusammen 12 Milliarden Euro an Beihilfen - laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung könnten sich diese Ausgaben bis 2030 auf über 20,2 Milliarden Euro erhöhen.

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Lauterbach hofft auf einheitliche Honorarordnung durch GroKo-Kommission

Es ist auch dieser Reformdruck auf Seiten der Politik, der Lauterbach weiter auf eine Bürgerversicherung hoffen lässt. „Ich bin sicher, dass die Bürgerversicherung langfristig kommt“, sagt der Sozialdemokrat der "Welt am Sonntag". Er setzt sogar darauf, dass die -nun von der Großen Koalition eingesetzte- Kommission diesen Prozess beschleunigt:

„Ich denke, dass die Kommission eine gemeinsame Honorarordnung für GKV und PKV vorbereitet, sodass es für Ärzte in Zukunft bei Therapie und Terminvergabe keine Rolle mehr spielt, wie ein Patient versichert ist“ sagt er. Dann müssten gesetzlich Versicherte nicht länger auf Facharzt-Termine warten als Privatpatienten. Eine einheitliche Honorarordnung gebe es in jedem Land Europas, betont Lauterbach. "„Daher bin ich zuversichtlich, dass wir das hinbekommen werden.“

Versicherungspflichtgrenze erschwert Angestellten den Wechsel in die PKV

Der PKV-Verband verweist in einer Stellungnahme darauf, dass das Problem der vielen Beamten in der privaten Krankenversicherung auch durch die Politik verschärft werde. Stichwort Versicherungspflichtgrenze: Sie gibt an, ab welchem Bruttolohn ein Arbeitnehmer in die private Krankenversicherung wechseln darf. Wer mehr verdient, kann sich privat versichern, sofern er auch im Folgejahr voraussichtlich einen entsprechend hohen Bruttolohn erzielt. Und diese Grenze wurde in den Jahren immer stärker angehoben, ein Wechsel in die PKV dadurch erschwert.

„In der Vollversicherung verzeichnete die PKV im Jahr 2017 zwar ein leichtes Minus von 0,2 Prozent. Betrachtet man allerdings allein das 2. Halbjahr, zeigte sich schon wieder eine positiver Trend", erklärt ein Sprecher des PKV-Verbandes gegenüber dem Versicherungsboten. "Erschwerend ist es natürlich, dass die regelmäßige Erhöhung der gesetzlichen Einkommensgrenze den Kreis der Versicherten mit Wahlfreiheiten immer mehr einschränkt: Wer heute als Arbeitnehmer zur PKV wechseln will, muss 8.550 Euro mehr verdienen als noch vor fünf Jahren."

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Zudem habe die Entwicklung des Arbeitsmarktes die Versichertenzahl beeinflusst. "Wie schon in den Vorjahren haben 2017 wieder tausende Selbstständige das Rekordwachstum bei den Arbeitsplätzen zum Wechsel in eine Festanstellung genutzt. Dadurch wurden sie sozialversicherungspflichtig und mussten automatisch in die GKV wechseln – ob sie nun wollten oder nicht“, positioniert sich der PKV-Sprecher.

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