Wenn Patienten die Schlichtungsstelle der Ärztekammer anrufen, weil sie vermuten Opfer eines Behandlungsfehlers geworden zu sein, dann ist damit bereits die Verjährung des Falles ausgesetzt. Dies hat der Bundesgerichtshof (BGH) in einem am Montag veröffentlichten Urteil entschieden. Damit musste die Berufshaftpflicht eines behandelnden Arztes eine Niederlage vor Gericht akzeptieren. Der Versicherer hatte argumentiert, der Fall sei bereits verjährt, da er selbst einer Schlichtung nicht zugestimmt habe.

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Arzt erkannte Borreliose nicht

Im konkreten Rechtsstreit war ein Mann 2007 im Wald von einer Zecke gebissen worden, ohne dies zu bemerken. Aufgrund starker Schmerzen am Knie suchte der Mann einen Orthopäden auf. Doch der Mediziner erkannte nicht die wirkliche Ursache für die Beschwerden: eine Entzündung, die durch Borreliose-Erreger verursacht wurde. Diese Ursache wurde erst ein Jahr später erkannt, als der Patient ein anderes Schmerzzentrum aufsuchte. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Entzündung bereits eine Arthritis ausgelöst.

Erst recht spät beantragte der Mann ein Schlichtungsverfahren vor der Norddeutschen Ärztekammer, um Schadensersatz zu erstreiten. Dies geschah im Dezember 2011 – kurz vor Ablauf der dreijährigen Verjährungsfrist, die im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) geregelt ist. Die Frist beginnt, wenn der Patient Kenntnis von einem Schaden erlangt, der mit einer fehlerhaften Behandlung zusammenhängt, z.B. durch Hinweis eines nachbehandelnden Arztes.

Der Berufshaftpflicht-Versicherer aber verweigerte eine Schadenszahlung. Der beklagte Arzt habe erst im Februar 2012 einem Schlichtungsverfahren zugestimmt – und zu diesem Zeitpunkt seien Schadensersatz-Ansprüche eben schon verjährt gewesen.

BGH entscheidet im Sinne des Patienten

Der 6. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes, zuständig für Arzthaftungsfragen, entschied jedoch zu Gunsten des Patienten. Ein Antrag auf Schlichtung stoppe automatisch die Verjährung von Schadenersatzansprüchen, entschieden die Karlsruher Richter und kippten damit die Entscheidungen der Vorinstanzen. Auch wenn die Haftpflichtversicherung des Arztes oder der Arzt selbst einem Verfahren nicht zustimme, sei dies für die Hemmung des Verjährungslaufes nicht entscheidend.

Dabei ging es auch um die Frage, ob die Zustimmung zu einem Schlichtungsverfahren einvernehmlich zwischen zwei Parteien erfolgt. Dies nämlich ist laut BGH Voraussetzung dafür, dass die Verjährung gehemmt wird. Ein solches Einvernehmen liegt laut Einführungsgesetz zur Zivilprozessordnung (§ 15a Abs. 3 Satz 2 EGZPO) vor, „wenn der Verbraucher eine branchengebundene Gütestelle, eine Gütestelle der Industrie- und Handelskammer, der Handwerkskammer oder Innung angerufen hat“.

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Der Stuttgarter Rechtsanwalt Hans-Peter Hermann, spezialisiert auf Medizinrecht, begrüßte das Urteil in einem Rechtstipp auf anwalt.de. "Damit hat der BGH einige „Fallstricke“ beseitigt, die immer wieder Patienten und deren Rechtsanwälte in pure Verzweiflung gestürzt haben, weil sie vor dem Verlauf eines lang dauernden Begutachtungsverfahren befürchten mussten, dass die sich aus dem Behandlungsfehler-Sachverhalt ergebenden Ansprüche und Forderungen verjähren", so Herrmann.

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