Versicherungsbote: Frau Prof. Dr. Zimmermann, Sie forschen zu Frauen im Versicherungsvertrieb. Im Maklervertrieb liegt die Frauenquote bei gerade einmal 13 Prozent, in der Ausschließlichkeit sieht es kaum besser aus. Was sind die Gründe dafür, dass sich Frauen so selten für eine Tätigkeit als Versicherungsvermittlerin entscheiden?

Gabriele Zimmermann: Es gibt eine Vielzahl von Gründen, warum sich Frauen selten für die Tätigkeit als Versicherungsvermittlerin entscheiden. Die beiden wichtigsten Gründe sind das erfolgsabhängige Gehalt und die schlechte Vereinbarkeit von Familie mit dieser Tätigkeit.
Das beides gehört zudem zusammen; denn gerade junge Frauen stellen sich die Frage: „Wer bezahlt meine Miete, wenn ich einmal Kinder bekomme und eine Zeit lang nicht arbeiten kann?“ Es ist also weniger das fehlende Selbstbewusstsein, die erforderlichen Ziele nicht zu erreichen, sondern die Schwierigkeit der Vereinbarkeit von Familie und dem Vertriebsjob.

Ein weiterer Grund, weshalb sich Frauen gegen eine Tätigkeit als Vermittlerin entscheiden ist der vorherrschende Konkurrenzkampf zwischen den jeweiligen Vermittlern; Frauen bevorzugen ein harmonisches Arbeitsklima. Und last but not least ist auch die männerdominierte Kultur eine Barriere.

Versicherungsbote: Im Versicherungsvertrieb herrscht ein hoher Erfolgsdruck. Lange und unregelmäßige Arbeitszeiten, weite Fahrten zu den Kunden und der Zwang, oft auch am Abend Mails und Anrufe zu beantworten, sind für Vermittler und Vermittlerinnen an der Tagesordnung. Das dürfte auch die Familienplanung erschweren?

Zimmermann: Diese Aspekte erschweren eben nicht nur die Familienplanung, sondern verhindern oftmals, dass sich Frauen, die eigentlich für eine Tätigkeit als Vermittlerin geeignet sind, gegen diesen Beruf entscheiden. Was die Arbeitszeiten und –orte der Vermittlertätigkeit anbetrifft, wird sich in den nächsten Jahren aber einiges ändern. Das Kundenverhalten ist durch die verstärkte Nutzung von digitalen Medien im Wandel und die Kunden sind bereit frauenfreundlichere Beratungszeiten und -orte zu akzeptieren. Die Vereinbarkeit der Vermittlertätigkeit mit Familie wird also einfacher werden, insbesondere dann, wenn man sich schon einen Kundenstamm aufgebaut hat.

Die Digitalisierung wird die Maklertätigkeit als Mutter vereinfachen

Versicherungsbote: Speziell für Versicherungsmaklerinnen sehe ich ein weiteres Problem: Wenn sie ihre Tätigkeit für die Kindererziehung unterbrechen, können sie wichtige Aufgaben als Sachverwalterinnen ihrer Kunden -Bestandspflege, die regelmäßige Überprüfung des Versicherungsschutzes etc.- nur eingeschränkt wahrnehmen bzw. müssen diese an eine Vertretung delegieren. Wie meistern Vermittlerinnen die Elternzeit und andere Unterbrechungen der Erwerbsbiographie?

Zimmermann: Das ist sicherlich eine Herausforderung. Aber die durchgängige Berufstätigkeit von Frauen, auch in Führungspositionen, nimmt in Deutschland immer mehr zu. Frauen sind ausgezeichnete „Multitasker“ und organisieren es immer besser, eine anspruchsvolle berufliche Tätigkeit mit Familie zu kombinieren. Positiv ist, dass die Gesellschaft in Deutschland die Berufstätigkeit von Frauen immer mehr unterstützt. Die staatlichen Kinderbetreuungsmöglichkeiten sind auch in Westdeutschland ausgebaut worden, die Unternehmen bieten vielfältige Möglichkeiten, Familie und Beruf zu vereinen.

Und wie eben bereits beschrieben werden sich die Arbeitsbedingungen für die Vermittlertätigkeit ändern; die virtuellere Beratung wird es einfacher machen, die Maklertätigkeit auch als Mutter erfolgreich auszuüben.

Versicherungsbote:...inwiefern trägt das schlechte Image der Versicherungsbranche dazu bei, dass der Vermittlerberuf für Frauen eher unattraktiv ist?

Zimmermann: Sicherlich ist auch das ein Grund, warum sich Frauen gegen eine Tätigkeit als Versicherungsvermittlerin entscheiden. Für viele Kunden ist dieser Beruf immer noch stark mit Vorurteilen belastet. Die Ablehnung bzw. Zurückweisung und Überzeugungsarbeit, die oft als Vertriebsmitarbeiter geleistet werden muss, schreckt viele Frauen ab. Schließlich möchte frau mit ihren guten bis sehr guten Qualifikationen eine Tätigkeit mit hohem Ansehen durchführen.

Versicherungsbote: Viele Frauen entscheiden sich für eine Tätigkeit im Innendienst von Versicherungen. 2012 betrug der Frauenanteil hier 55 Prozent. Warum übt gerade der Innendienst so eine hohe Anziehungskraft auf Frauen aus?

Zimmermann: Da sind wir wieder bei dem Thema des variablen Gehalts und der damit schwierigen Vereinbarkeit von Familie und Beruf – und eben bei den weiteren Barrieren, die wir eingangs besprochen haben.

Versicherungsbote: In den Medien wird die Versicherungsbranche stark von Männern repräsentiert. Wenn wir uns um Interviews mit Vorständen oder Entscheidern bemühen, werden uns mehrheitlich männliche Gesprächspartner vermittelt. Trägt die Außendarstellung der Versicherungsbranche dazu bei, dass sie eher als Tätigkeitsfeld für Männer wahrgenommen wird?

Zimmermann: Sicherlich fehlen den Frauen die weiblichen Vorbilder, insbesondere im Vertrieb. Und Studien zeigen, dass Frauen gerne Vorbilder haben, wenn es um ihre berufliche Karriere geht. Positiv ist, dass der Anteil von Frauen in Führungspositionen in der Versicherungsbranche insgesamt seit Jahren steigt. Im Jahr 2014 lag der Anteil der Frauen in Führung bei 25% im Innendienst, bei allerdings nur 4 % im Außendienst im Jahr 2013. (Flexible Personalstatistik des AGV).
Der Anteil der Frauen in Vorstandspositionen ist in der Versicherungsbranche mittlerweile sogar höher als in anderen Branchen – aber eben nicht bei den Vertriebsvorständen. Das wird aber auch noch kommen!

"Es braucht mehr Aufklärung zu den Chancen des Vertriebs"

Versicherungsbote: Bemühen sich die Versicherungsunternehmen genug, um den Vertrieb für Frauen attraktiver zu machen? Angesichts des Nachwuchsmangels wäre dies dringend geboten – der durchschnittliche Vermittler ist ca. 50 Jahre alt.

Zimmermann: Also zunächst einmal gilt es festzuhalten, dass Frauen für die Tätigkeit in der Vermittlung eine Bereicherung sind. Frauen haben die für den Vertrieb erforderlichen Fähigkeiten; sie gelten als äußerst kommunikativ, loyal und besitzen die Fähigkeit, (aktiv) zuzuhören. Im Vergleich zu Männern verfügen Frauen über eine stärker ausgeprägte emotionale Intelligenz. Dadurch fällt es ihnen besonders leicht, eine Beziehungsebene zum Kunden aufzubauen. Das bestätigt auch meine Studie, bei der ich 2000 Versicherungskunden befragt habe. Frauen werden von den Kunden als einfühlsamer, vertrauenswürdiger, zuverlässiger und ehrlicher wahrgenommen als ihre männlichen Kollegen.

Vor diesem Hintergrund bemühen sich die Versicherungsunternehmen, die Tätigkeit für Frauen attraktiver zu machen. In vielen Unternehmen steht dieses Thema auf der Agenda des Vertriebsvorstandes, die Personalleiter der Vertriebe haben das Thema schon seit Jahren auf Ihrer Prioritätenliste ganz oben. Maßnahmen, die dazu beitragen, dass der Vertrieb für Frauen attraktiver wird, sind die verstärkte Rekruitierung von Frauen und die besondere Berücksichtigung bei Beförderungen, um mehr weibliche Rollenmodelle zu etablieren. Mentoringprogramme und Netzwerke werden flankierend eingesetzt. Und Modelle der Teilzeitbeschäftigung werden angeboten, um die Vereinbarkeit mit Familie zu unterstützen. Meine Erfahrung mit den Studentinnen des Studiengangs „Versicherungswesen“ zeigt aber noch etwas anderes: es braucht viel mehr Aufklärung zu den Arbeitsbedingungen und Chancen, die der Versicherungsvertrieb bietet.

Versicherungsbote: Bitte nennen Sie uns abschließend Gründe, warum die Vermittlertätigkeit trotz aller Widerstände auch für Frauen attraktiv sein kann.

Zimmermann: Eine Position im Vertrieb bringt viele abwechslungsreiche Aufgaben mit sich. Ein Vertriebsmitarbeiter ist nicht nur Verkäufer, sondern auch Berater. Er steht in vielseitigem Kontakt mit Kunden und soll eine umfassende Beratung auf Basis der Kundenbedürfnisse durchführen. Diese beiden Aspekte sind für Frauen sehr attraktiv.

Darüber hinaus sind die Aufstiegschancen bei guten Leistungen für Frauen derzeit besonders gut; das gilt insbesondere für den Vertrieb, da der Frauenanteil dort derzeit gering ist. Und Weiterbildung wird im Vertrieb groß geschrieben, was den lernbegierigen Frauen gefällt. Soweit entspricht die Tätigkeit im Vertrieb auch einigen Wünschen der Frauen, wenn es um ihre Berufstätigkeit geht.

Versicherungsbote: Vielen Dank für das Gespräch! (Die Fragen stellte Mirko Wenig)

Steckbrief: Prof. Dr. Gabriele Zimmermann ist am Institut für Versicherungswesen der Technischen Hochschule Köln Professorin für Personalführung, Organisationsentwicklung und Versicherungsvertrieb. Ihre Forschungsschwerpunkte sind die Themen Change Management in Versicherungsunternehmen, Frauen in Führung und Frauen im Versicherungsvertrieb. Sie arbeitete acht Jahre in zwei DAX Unternehmen in leitenden Funktionen der Führungskräfteentwicklung und des Change Managements. Seit 16 Jahren ist sie Executive Coach und berät Führungskräfte in Fragen der Führung und des Change Managements.

Auswahl Veröffentlichungen:
„Frauen im Vertrieb - gut organisiert und empathisch“, Versicherungsmagazin 2013
Studie „Frauen im Versicherungsvertrieb – was sagen die Privatkunden dazu?“
2014
Buch „Change Management in Versicherungsunternehmen“ im Springer Gabler Verlag, 2015