Emanuel Issagholian von der Gothaer Versicherung Versicherungsbote: Laut 5. Sozialgesetzbuch §13 kann sich jeder GKV-Versicherte im ambulanten Bereich wie ein Privatpatient behandeln lassen. Können Sie dies bitte noch einmal erklären – und auch die Vorteile für GKV-Kunden beschreiben?

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Emanuel Issagholian: Ja, das ist erst einmal richtig - jeder GKV Versicherte hat das Recht, das sogenannte Kostenerstattungsprinzip zu wählen. Damit kann der Patient sich dann beim Arzt genauso behandeln lassen wie ein Privatversicherter und das obwohl er weiterhin gesetzlich krankenversichert ist. Darin liegt dann eigentlich auch schon der Vorteil für den GKV Versicherten.

Versicherungsbote:…und welche möglichen Nachteile drohen Kunden?

Issagholian: Beim Prinzip der Kostenerstattung schreibt der Arzt dem Patienten eine Rechnung. Diese reicht der Patient dann bei seiner GKV ein. Der große Nachteil des Kostenerstattungsprinzips liegt darin, dass die GKV weiterhin nur denselben Betrag (meist abzgl. einer kleinen Verwaltungspauschale) übernimmt, wie sie auch im Sachleistungsprinzip erbracht hätte, der Arzt aber - wie bei einem Privatpatienten - einen regelmäßig deutlich höheren Betrag abrechnet. Entsprechend muss der Versicherte die verbleibende Differenz aus eigener Tasche zahlen. Wie hoch diese Differenz sein wird, lässt sich für den Patienten im Voraus kaum abschätzen - das ist der ganz große Nachteil des Kostenerstattungsprinzips.

Versicherungsbote: Welche Schritte muss ein Kassenpatient gehen, damit er am Kostenerstattungsprinzip teilnehmen kann? Muss er gegenüber der Krankenkasse anzeigen, dass er an der Kostenerstattung teilnehmen will? Einen Antrag stellen?

Wenn man das Kostenerstattungsprinzip nutzen möchte, so muss man dies seiner Krankenkasse schriftlich mitteilen. Hierfür gibt es bei den Kassen in der Regel Antragsvordrucke. Wichtig ist, dass man nicht nur pauschal das Kostenerstattungsprinzip wählt, sondern auch mitteilt, auf welche Bereiche sich dieses beziehen soll. Man hat nämlich die Wahl zwischen den Bereichen:

  • Stationäre Versorgung
  • Ambulante ärztliche Versorgung
  • Ambulante zahnärztliche Versorgung
  • Ärztlich oder zahnärztlich verordnete Leistungen (zB Arzneimittel)


Die Wahl kann auf einen oder mehrere dieser Bereiche beschränkt werden.

Versicherungsbote: Muss der Patient in jedem Fall die Behandlungskosten vorschießen? Oder kann auch die Kasse mit ihrem Anteil in Vorleistung gehen?

Inwieweit der Patient die Behandlungskosten vorschießen muss, hängt davon ab welchen der o.g. Bereiche er gewählt hat und welche Zahlungsziele die Leistungserbringer setzen - letzten Endes aber auch davon wie schnell die Rechnungen zur Erstattung eingereicht werden. Wenn ein Arzt beispielsweise ein Zahlungsziel von 30 Tage setzt und der Patient die Rechnung unmittelbar nach Erhalt an seine Krankenkasse weiterleitet, hat er in der Regel vor Ablauf der Zahlungsfrist die Erstattung seiner Kasse und braucht nicht in Vorleistung gehen. Bei Arzneimitteln hingegen - sofern dieser Bereich ausgewählt wurde - wird der Patient bei Wahl der Kostenerstattung immer in Vorkasse gehen müssen.

Versicherungsbote: Es gibt Arztpraxen, die nur Privat- und Berufsgenossenschaftspatienten behandeln. Oft vergeben diese schneller einen Facharzttermin oder sind technisch besser ausgestattet. Lassen sich über das Kostenerstattungsprinzip auch diese Praxen erschließen – oder bleibt es auf Kassenärzte beschränkt?

Über das Kostenerstattungsprinzip lassen sich grundsätzlich auch diese Praxen erschließen. Es ist aber weiterhin so, dass die Kasse nur den Teil der Rechnung erstatten wird, den sie auch im Sachleistungsprinzip erstattet hätte - bei Wahl eines Arztes ohne Kassenzulassung wären das dann "0 €" und der Patient müsste die gesamten Behandlungskosten selber tragen.

Versicherungsbote: Die Kostenerstattung ermöglicht eine höherwertige Behandlung als über die gesetzliche Krankenkasse. Aber wie soll der Patient beurteilen können, dass die Privatbehandlung tatsächlich besser für ihn ist? Besteht nicht die Gefahr, dass er teure oder gar unnötige Therapien oder Medikamente „aufgeschwatzt“ bekommt?

Diese Gefahr besteht auch heute schon für gesetzlich wie privat krankenversicherte Patienten, da ein Arzt zB im Rahmen der IGeL Leistungen bestimmte privat zu zahlende Untersuchungen anbieten kann. Insgesamt sollten sich Patienten genau von ihrem Arzt informieren lassen, bevor sie irgendwelchen Therapien zustimmen. Unserer Erfahrung nach handelt es sich eher um seltene Einzelfälle, wo Ärzte ihren Patienten unnötige Therapien aufschwatzen. Und das unnötige Medikamente verschrieben werden, nur weil jemand privat versichert ist, dürfte noch seltener vorkommen.

Versicherungsbote:…und wie kann der Patient prüfen, dass der Arzt tatsächlich die korrekte Leistung abrechnet? Müsste er hierfür nicht Fachmann sein?

Alleine schon, dass der Patient überhaupt eine Rechnung des Arztes erhält, schafft einen großen Beitrag zur Transparenz. Insofern sehe ich das eher positiv und bin persönlich froh, dass ich genau sehen kann welche Posten der Arzt abrechnet und welche Diagnosen er dokumentiert hat - auch wenn nicht alles selbsterklärend ist. Bei Fragen zur Rechnung helfen Arzt und Krankenkasse aber in der Regel gerne weiter und beantworten bei Unklarheiten alle Rückfragen.

Versicherungsbote:…ist es möglich, dass zum Beispiel durch Komplikationen oder Spätfolgen einer ärztlichen Behandlung die Kosten für den Patienten durch das Kostenerstattungs-Prinzip steigen? Wie verhält es sich zum Beispiel, wenn durch Komplikationen weitere Behandlungen notwendig sind?

Da kein täglicher Wechsel zwischen Kostenerstattungs- und Sachleistungsprinzip möglich ist, kann es natürlich passieren, dass auf einmal Kosten auf den Patienten zukommen (zB durch eine akute Erkrankung), mit denen er nicht in der Höhe gerechnet hat. Gerade deswegen ist es absolut nicht zu empfehlen, dass Kostenerstattungsprinzip in der gesetzlichen Krankenversicherung ohne eine entsprechende private Zusatzversicherung zur Deckung der Restkosten abzuschließen.

Versicherungsbote: Gibt es notfalls Instanzen, an die sich ein Patient wenden kann, wenn er in Vorleistung ging und Zweifel an einer Arztrechnung hat?

Meistens können Zweifel an einer Arztrechnung im direkten Gespräch mit dem Arzt ausgeräumt werden und das normalerweise - aufgrund der relativ langen Zahlungsziele - auch, bevor der Patient in Vorleistung gehen musste. Sollten weiterhin Zweifel an einer Arztrechnung bestehen, hat jeder Patient auch die Möglichkeit sich an die zuständigen Ärztekammern zu wenden, die die Richtigkeit der Rechnung (insbesondere im Hinblick auf die Richtigkeit der abgerechneten Rechnungsziffern) ebenfalls überprüfen können und bei Auffälligkeiten ebenfalls auf den behandelnden Arzt zugehen können. In der Praxis ist das zum Glück nur äußerst selten notwendig und relevant.

Versicherungsbote: Die Nutzung des Kostenerstattungsprinzips ist auch über eine Krankenzusatzversicherung möglich. Dabei denkt man zunächst an Zahnersatz- oder Zweibettzimmer-Tarife. Welche weiteren Risiken lassen sich über solche Policen absichern?

Gerade die beiden von Ihnen genannten Versicherungen setzen nicht zwingend die Vereinbarung eines Kostenerstattungstarifs bei der GKV voraus, sind aber, wenn ich Kostenerstattung vereinbart habe, natürlich sehr wichtig. Grundsätzlich gibt es Policen für jeden Bereich, für den in der GKV die Kostenerstattung vereinbart werden kann (siehe die vier Bereichen oben). In den ambulanten und zahnärztlichen Bereichen kann dabei meist nicht auf gewöhnliche Ergänzungsversicherungen zurückgegriffen werden, sondern dafür gibt es spezielle Kostenerstattungstarife. Diese sind so aufgebaut, dass sie die Differenzkosten zwischen GKV-Erstattung und tatsächlich angefallenem Rechnungsbetrag übernehmen - bei vielen Tarifen selbst dann, wenn die GKV gar nicht vorleistet.

Versicherungsbote: Wie können Versicherungsvermittler ihren Kunden das Prinzip der Kostenerstattung schmackhaft machen? Und wie können sie davon profitieren?

Das Kostenerstattungsprinzip ist mit Sicherheit kein Thema für jedermann. Allerdings gibt es interessante Zielgruppen, die man als Versicherungsvermittler damit ansprechen kann. Denken wir z.B. an eine Familie, bei der der Hauptverdiener nicht in die PKV wechseln möchte (um den Vorteil der Familienversicherung nicht zu verlieren oder weil seine Gesundheit es nicht zulässt), aber dennoch einen mit einer Vollversicherung vergleichbaren Versicherungsschutz für seine Kinder oder für die ganze Familie sichern möchte. Ähnlich könnte es auch sein, wenn Hauptverdiener und Kinder privat krankenversichert sind und der Nebenverdiener pflichtversichert in der GKV - auch hier kann über das Kostenerstattungsprinzip ein gleichwertiger Versicherungsschutz erreicht werden.

Alles in allem muss man ehrlicherweise aber auch festhalten, dass hier auf Seiten des Vermittlers ein hohes Kompetenzniveau vorliegen muss, um mit dem Thema Kostenerstattung erfolgreich zu sein - schließlich liegen die Beiträge für einen Mitte 30jährigen schnell jenseits der 200 €/mtl. und es gilt eine ganze Menge bei der Beratung des Kunden und bei der Tarifauswahl zu beachten. Gerade deswegen haben wir uns für unser Haus bei der Einführung der Unisextarife gegen die Einführung eines Restkostentarifs für GKV-Versicherte im Kostenerstattungsprinzip entschieden und die Prioritäten zunächst anders gesetzt. Nichtsdestotrotz: der Markt ist zwar (noch) relativ klein, das Beitrags- und somit das Verdienstpotenzial sind für einen Vermittler aber durchaus attraktiv - profitieren können hier vor allem KV-affine Vermittler mit Beständen/Potenzialen in den richtigen Zielgruppen.

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Versicherungsbote: Vielen Dank für das Interview! (Die Fragen stellten Björn Bergfeld und Mirko Wenig)

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