Generali Versicherung prescht im Personenversicherungsbereich nach vorn

"Wir wollen ein Produkt in den Markt geben, das den Kunden anregt, gesünder zu leben." Die Worte von Generali-Vorstandsmitglied Rainer Sommer klingen auf den ersten Blick erst einmal vernünftig und gut. Geplant ist bei der Generali, dass in der Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherung Tarife angeboten werden, die eine gesündere Lebensweise belohnen.

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Bio-Esser und Fitness-Jünger bezahlen weniger

Regelmäßige Aktivitäten im Fitness-Studio und/oder den Einkauf von gesunden Lebensmitteln im Bio-Laden will die Generali-Versicherung belohnen. Genauer gesagt wird von "Anreizen" gesprochen. Im Versicherungsbereich können Anreize z.B. aus geringeren Beiträgen, höheren Versicherungsleistungen, besseren Bedingungen oder einer Prämienrückgewähr bestehen. Auch das klingt erst einmal gut - aber nur bis zum Umkehrschluss.

Berufsunfähigkeitsversicherung - Wer nichts hat zahlt mehr oder bekommt nichts

Ich persönlich kenne viele Menschen, die sehr gern gesündere Lebensmittel in einem Bio-Laden kaufen würden, es sich aber schlichtweg nicht leisten können. Die berufstätige, sich den Bio-Laden nicht leisten könnende alleinerziehende Mutter (bzw. der alleinerziehende Vater) würde darüber hinaus sicher auch gern ein Fitness-Studio besuchen. Der schwer arbeitende Fliesenleger oder Gerüstbauer sicher ebenso. Aber wann und vor allem von welchem Geld?

Diese sowieso schon benachteiligten Personengruppen werden durch fehlende Möglichkeiten der Nutzung solcher "Anreize" noch höhere Versicherungsbeiträge zahlen oder mit schlechteren Bedingungen leben müssen. Können sich diese Gruppen dann überhaupt noch eine Berufsunfähigkeitsversicherung oder andere Personenversicherungen leisten? Ist es nicht heute schon so, dass z.B. die vorbenannten Fliesenleger oder Gerüstbauer echte Beitrags-, Annahme- und Laufzeit-Probleme in Sachen Berufsunfähigkeitsschutz haben?

Wie es anfing, wie es ist und wie es vielleicht weiter geht

Mit der Berufsgruppeneinteilung bei Berufsunfähigkeitsversicherungen fing es an. Mit deren immer weiter gehenden Unterteilung der Berufsgruppen setzt es sich fort. Nun sollen der Einkauf im Bio-Laden und der Besuch des Fitness-Studios weitere Risikomerkmale sein.

In der Kfz-Versicherung versuchen erste Versicherer Telematik-Tarife einzuführen. Werden dann tatsächlich nur Daten zum Fahrverhalten gespeichert? Was was ist mit Ortsdaten, Datum und Uhrzeit? Mit wem ich mich treffe, dass weiß der Versicherer dann auch? Gilt das zumindest dann, wenn die/der zu Treffende ebenfalls einen Telematik-Tarif hat und die Versicherer sich zu den Telematik-Daten austauschen? Oder ist das eigentlich egal, weil es Google und die Telefondienstanbieter durch die Standortbestimmung (Apple) der Handys (Android) eh' schon wissen oder unbedarfte Nutzer sozialer Netzwerke ihre Daten ohne Nachdenken selbst veröffentlichen?

Ich geh‘ jetzt auf’s Klo

Und Morgen oder Übermorgen oder in ein paar Jahren? Was wollen Versicherer dann wissen?

  • Wird der Versicherte vielleicht nach der Anzahl seiner Arbeitsstunden und deren Regelmäßigkeit gefragt? Schließlich soll Schichtbetrieb der Gesundheit nicht besonders förderlich sein.Oder liefert der Arbeitgeber diese Daten automatisiert über Arbeitszeiterfassungssystem an die Versicherer, damit dieser daraus auch gleich auf Kranheits- und/oder Urlaubstage schließen kann?
  • Ist dann in den Augen der Versicherer die Arbeit am Band gesundheitsschädlicher als der in Witzen immer wieder zu hörende Büro-Schlaf? Oder lässt der Büro-Schlaf doch eher auf Symtome einer Narkolepsie schließen?
  • Wird übermorgen der Inhalt des Kühlschrankes automatisch nach Herkunft sowie nach Vitamin- und Pestizidgehalt erfasst und an den Versicherer gemeldet? Ab wie viel Flaschen Bier im Kühlschrank gibt es dann Lebensführungs-Minus-Punkte?
  • Liefert jedes Kassensystem eines Supermarktes, Reformhauses oder Bio-Ladens dann automatisch den Kassenbon mit genauen Bezeichnungen an den Versicherer? Gilt das dann auch für Apotheken und Sanitätshäuser?
  • Erhält man zukünftig vom Versicherer Strafpunkte für den Kauf einer Flasche Orangensaft, wegen dem darin erhaltenen Zucker oder Fruchtzucker? Obwohl der Orangensaft aus dem Bio-Laden und vielleicht gar nicht für den Versicherten bestimmt war?
  • Benutzen Sie eigentlich die richtige Zahnpasta und die richtige Zahnbürste und putzen Sie oft genug Ihre Zähne? Wie lange wird es noch dauern, bis die Versicherer auch das wissen?
  • Verlieren Sie in 5 Jahren den Versicherungsschutz, weil Sie seit zwei Tagen mit Durchfall auf dem Klo sitzen und der Versicherer dies anhand einer Laser-Konsistenzmessung im Toilettenbecken "in time" (ein kleines Wortspiel) mitgeteilt bekommt?

Brauchen Versicherer überhaupt noch Gen-Daten?

Im Gespräch war vor einigen Jahren die Verwendung von Gen-Daten technischen Erkenntnissen aus den Untersuchungen von Versicherten, was zumindest derzeit (noch) nicht statthaft ist. Bei der jetzt schon grassierenden Datensammelwut (nicht nur der Versicherer) ist allerding fraglich, ob diese Daten überhaupt noch benötigt werden.

Gewinnmaximierung durch Entsolidarisierung

Werden durch Selektion und Entsolidarisierung im Versicherungsbereich die Gewinnmargen der Versicherer bzw. deren Aktionäre maximiert? Wo werden solche Bestrebungen ihre Grenzen finden. Gibt es überhaupt Grenzen? Wer ist ganz am Ende überhaupt noch versichert oder kann sich eine Versicherung leisten? Kommt es zu dem oben angedachten Szenarien, dann werden viele Versicherte dazu gezwungen sein, den Versicherern Einblick in ihr Leben und ihre Lebensweise zu gewähren, um sich Versicherungsschutz überhaupt noch leisten zu können - ganz egal ob sie das wollen oder nicht. Im zweiten Schritt werden solche Bestrebungen auch dazu führen, dass sich immer weniger Verbraucher überhaupt versichern können.

Mir ist schlecht

Die Frage, wo der eigentliche Versicherungsgedanke bei einer solchen Entwicklung bleibt, müssen sich sowohl Versicherer wie auch der Gesetzgeber - der diesem Treiben kein Ende setzt - gefallen lassen. Ein Eingriff des Gesetzgebers in den Wettbewerb wäre es m.E. dann nicht, wenn der Begriff "Versicherung" nach dem Schadenausgleichprinzip gesetzlich (besser) definiert werden würde. Jetzt und auch in Zukunft sollte gelten: Eine Versicherung stellt die Beseitigung des Risikos eines Einzelnen durch Beiträge von Vielen sicher - ohne Berufsgruppen, ohne Telematik und ohne sonstige Forderungen nach Einsicht in die Lebensweise der Versicherten. Mir jedenfalls ist sau schlecht, mein Magen dreht sich gerade um - ich muss auf's Klo. Dabei verliere ich meinen Versicherungsschutz nicht; noch nicht.

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Mit flauem Magen aber freundlichst
Ihr Freddy Morgengrauen

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