Die Idee einer Bürgerversicherung versetzt die Versicherungswirtschaft seit Monaten in helle Aufregung. Die SPD hat angekündigt, im Falle eines Wahlsieges der „Zwei-Klassen-Medizin“ ein Ende zu machen, so dass sich alle Bürger verpflichtend in der Gesetzlichen Krankenversicherung versichern müssen. Die privaten Krankenversicherungen dürfen dann nur noch Zusatzversicherungen anbieten, die aktuell ein Fünftel des Geschäftes ausmachen. Grüne, Linke und Gewerkschaften unterstützen ebenfalls die Einführung einer Krankenversicherung für Alle.

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Bis zu 100.000 Jobs stehen auf dem Spiel

Doch die Bürgerversicherung könnte sich als wahrer Jobkiller entpuppen. Die Abschaffung der PKV werde bis 100.000 Arbeitsplätze in der privaten Versicherungsbranche vernichten, davon die Hälfte binnen eines Jahres, berichtet heute die FAZ. Das Blatt beruft sich dabei auf eine Studie, die von Verdi und der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung in Auftrag gegeben wurde. Allein der Stopp des PKV-Neugeschäftes „würde innerhalb eines Jahres zum sofortigen Verlust von 25.000 Arbeitsplätzen führen“, heißt es. Zusätzlich würden „einige Zehntausend selbständige Versicherungsvermittler ihre Erwerbsmöglichkeit verlieren“.

Verfasst hat die 80 Seiten umfassende Expertise „Auswirkungen der Bürgerversicherung auf die Beschäftigung in GKV (Gesetzlicher Krankenversicherung) und PKV“ der SPD-nahe Gesundheitsexperte Robert Paquet. Er geht in seinem Szenario davon aus, dass die privaten Krankenversicherungen im Wettbewerb um Bürgerversicherungstarife nicht am Markt bestehen können. Insofern werde sich die Privatversicherung zum „Auslaufmodell“ entwickeln - mit bitteren Konsequenzen für die Beschäftigten. Bis zu 60.000 Arbeitsplätze, die im direkten Zusammenhang mit der PKV-Vollversicherung stehen, seien gefährdet. Zudem könnten die Verdienstmöglichkeiten von bis zu 50.000 Versicherungsvermittlern massiv eingeschränkt oder vernichtet werden.

Zweifel an Aussagekraft der Studie

Doch wie realistisch sind die Zahlen von Robert Paquet? Zumindest die Auftraggeber der Studie haben Zweifel. Bereits im Januar hätten die Ergebnisse veröffentlicht werden sollen, aber Verdi und die Hans-Böckler-Stiftung haben den ersten Entwurf der Studie noch einmal zur Überarbeitung zurückgegeben. Es besteht der Verdacht, dass Paquets Worst-Case-Szenario übertrieben ist und weit weniger Menschen um ihren Job bangen müssen. Ein Verdi-Sprecher sagte der FAZ, die Zahlen Paquets seien nicht nachvollziehbar.

Am Montag veröffentlichte auch die Hans-Böckler-Stiftung eine Stellungnahme, in der sie bestritt, dass bereits Aussagen über mögliche Arbeitsplatzverluste getroffen werden können. „Es handelt sich um ein laufendes Projekt, bisher ohne belastbare Ergebnisse“, heißt es in der Pressemitteilung. Bislang liege lediglich ein Entwurf für eine Expertise vor. Dieser Entwurf sei an den Autor zurückgegeben worden, weil er der Forschungs-Fragestellung und den Standards, die die Hans-Böckler-Stiftung an eine wissenschaftliche Aufarbeitung stelle, in zentralen Punkten nicht genügen könne. Das resultiere aus der hohen Komplexität des Themas und dem schwierigen Datenzugang.

Auch Arbeitnehmervertreter der PKV warnen vor Jobverlusten

Vor einer Arbeitsplatzvernichtung von gewaltigem Ausmaß warnen derzeit auch die Betriebsräte der privaten Krankenversicherung. Die Arbeitnehmervertreter der Privatversicherer gehen von bis zu 75.000 Jobs aus, die bei Einführung der Bürgerversicherung wegfallen könnten (der Versicherungsbote berichtete). Über 50 Betriebsräte von Versicherungsunternehmen haben deshalb im März 2013 eine Kampagne mit dem Slogan „Bürgerversicherung? Nein Danke!“ gestartet, um sich für den Erhalt der privaten Krankenversicherung auszusprechen.

Auf der Webseite der Kampagne heißt es: „Die sogenannte "Bürgerversicherung" vernichtet massiv innerhalb und außerhalb der PKV-Unternehmen Arbeitsplätze völlig ohne Not. Das duale System mit GKV und PKV hat sich dem Grunde nach bewehrt. Es genießt international höchstes Ansehen. Allerdings existieren bei beiden Systemen Probleme, die es zu lösen gilt. Hierzu fordern wir die Politiker unter Einbeziehung aller Beteiligten auf.“

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Dass die Angestellten der Privatversicherer einfach in der gesetzlichen Krankenversicherung unterkommen, wenn der Systemwechsel hin zu einer Bürgerversicherung vollzogen ist, betrachten sowohl die PKV-Betriebsräte als auch Gutachter Paquet als unwahrscheinlich. „Ersatz-Arbeitsplätze in der gesetzlichen Krankenversicherung sind nicht zu erwarten, weil die Krankenkassen einen allmählichen Zuwachs ohne zusätzliches Potential verkraften können“, schreibt Paquet in seiner Expertise. Zudem haben die gesetzlichen Kassen in den letzten 15 Jahren über 23.000 Arbeitsplätze abgebaut. Speziell Angestellte der Versicherungen und Maklerbüros hätten demnach kaum eine Chance, eine ähnliche Beschäftigung in der GKV zu finden, argumentiert der Gesundheitsexperte.

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