Damit ein Krankenversicherer oder die Zusatzkrankenversicherung die Kosten für Behandlung oder Medikamente übernimmt, muss diese nicht nur in seinem Leistungskatalog aufgeführt sein. Grundvoraussetzung für den Anspruch auf Leistung ist, dass die „medizinische Notwendigkeit“ der jeweiligen Maßnahme gegeben sein muss.

Die Masse der Problemaufträge, welche die Hallesche zur Klärung ihrem Experten Dr. Rainer Hakimi zur Prüfung übergab, zeigt: Es besteht deutlicher Klärungsbedarf in der Frage, was als „medizinische Notwendigkeit“ betrachtet werden kann.

Die Theorie der „medizinischen Notwendigkeit“

Eine fassbare Definition der abstrakten Phrase „medizinisch notwendig“ findet sich nicht ohne Weiteres. Der Bundesgerichtshof legte vor über 30 Jahren (VersR 1979, 221) fest, dass weder Arzt noch Versicherungsnehmer entscheiden, ob die medizinische Notwendigkeit gegeben sei. Die Entscheidung sei unabhängig von dem Arzt-Patientenvertrag zu treffen, bekräftigte der BGH auch in einem Urteil im Juni 2010 (IV ZR 163/09). So liegt die medizinisch notwendige Heilbehandlung dann vor, „wenn es nach objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen im Zeitpunkt der Vornahme der ärztlichen Behandlung vertretbar war, sie als notwendig anzusehen“.

Sachverständige, die zur Beurteilung hinzugezogen werden, müssen nach dem BGH-Maßstab anhand objektiver medizinischer Befunde (Laborwerte, Röntgenaufnahmen etc.) zu einem eigenständigen Ergebnis kommen, inwieweit eine Behandlung die Kostenerstattung rechtfertigt. Sich ausschließlich auf die ärztliche Meinung zu berufen, wäre in dem Fall nicht ausreichend objektiv.

In einem weiteren Schritt müssen diese Sachverständigen auch beurteilen, ob die Therapie „vertretbar“, d.h. nach dem aktuellen Kenntnisstand geeignet und gemäß der Diagnose adäquat ist. Würde also statt einer ausreichenden ambulanten Versorgung ein stationärer Aufenthalt durchgeführt, so wäre die Behandlung nicht als medizinisch notwendig einzustufen.

Praxis: 19,5 Prozent der Beschwerdefälle bei Ombudsmann wegen fragwürdiger „medizinischer Notwendigkeit“

In der praktischen Umsetzung dieser "Maßstäbe" bleibt allerdings ein hohes Konfliktpotential. Allein 19,5 Prozent aller Beschwerdefälle an den PKV-Ombudsmann im Jahr 2012 beschäftigen sich mit Problemen der medizinischen Notwendigkeit. Immer wieder, so PKV-Ombudsmann Dr. Helmut Müller im aktuellen Tätigkeitsbericht, handele es sich um Einzelfallentscheidungen mit großem Auslegungsspielraum. Arzt und Patient haben zumeist ein engeres Vertrauensverhältnis als Versicherungsnehmer und Versicherer. Für den Patienten ist so kaum nachvollziehbar, warum das Heil- oder Hilfsmittel, die neue oder alternative Behandlung, die ihm sein Arzt empfohlen hat, nicht auch im versicherungsrechtlichen Sinn medizinisch erforderlich ist.

Bei 3798 strittigen Kostenerstattungsanfragen an die Hallesche wurden rund 1000 Maßnahmen nicht als „medizinisch notwendig“ eingestuft. Anerkannte Maßnahmen sind der Einsatz von Medikamenten, beispielsweise Wachstumshormone, Interferone oder Chemotherapeutika. Dazu erreichten den Experten der Halleschen allein 731 Anfragen. In 95 Prozent wurde bei diesen eine Erstattung genehmigt. Eine Prüfung mache in jedem Fall Sinn, erklärt Dr. Rainer Hakimi, Gesellschaftsarzt der Halleschen Krankenversicherung, gegenüber der Ärzte-Zeitung, teilweise können solche Therapien bis zu 100.000 Euro kosten.

Häufig abgelehnt wurde dagegen die Erstattung bei alternativen Diagnoseverfahren und Behandlungsmethoden. Allein 470 Anfragen erreichten dazu den Versicherer. Auch sah die Gesellschaft bei Kur- und Rehamaßnahmen in Abgrenzung zur stationären Krankenhausbehandlung oftmals keinen Zahlungsbedarf.

Ärzte Zeitung, Tätigkeitsbericht des PKV-Ombudsmannes 2012