Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) will das Geschäft der gesetzlichen Krankenkassen mit Wahltarifen beschränken, was den privaten Krankenversicherungen neue Kunden bescheren dürfte. Dies berichtet heute die Berliner Zeitung. Durch eine vom Minister geplante Gesetzesänderung könnten die Tarife so teuer werden, dass sie sich weder für die Versicherten noch für die Kassen lohnen und folglich eingestellt werden müssen.

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Daniel Bahr: Erst Pflege-Bahr und jetzt die Zusatzkrankenversicherung

Seit 2007 ist es den Krankenkassen erlaubt, ihren Versicherten Tarife mit unterschiedlichen Leistungen anzubieten. So gibt es etwa Tarife mit Selbstbehalt, bei denen Versicherungsnehmer weniger Monatsbeitrag zahlen, aber im Fall einer Erkrankung sich an den Kosten der Behandlung beteiligen müssen. In anderen Tarifen wiederum können sich die Patienten einen Teil ihrer Jahresbeiträge zurückerstatten lassen, wenn sie gesund bleiben und keinen Arzt aufsuchen (Wahltarife zur „Beitragsrückerstattung bei Leistungsfreiheit“).

Zusatztarife der gesetzlichen Krankenversicherung beliebt bei Gutverdienern

Gerade für Besserverdiener hat die GKV damit an Popularität gewonnen. Aktuell nutzen die Wahltarife der Krankenkassen fast 9 Millionen Kunden. Zielgruppe sind vor allem Gutverdiener, die davon abgehalten werden sollen, zu einer privaten Krankenversicherung zu wechseln. Auch die Patienten profitieren: Die gesetzlich Versicherten können dank der Wahltarife aus einem breiteren Angebot auswählen.

Aber die Privatversicherer schmollen. Ihnen ist mit den Zusatzangeboten der Krankenkassen unliebsame Konkurrenz entstanden, die sie lieber heute als morgen beseitigt sehen wollen. Der Dachverband der privaten Krankenversicherung (PKV) fordert bereits seit Jahren, dass es den Krankenkassen verboten werden soll, Wahltarife anzubieten. Das Argument der Privatversicherer: Die gesetzliche Krankenversicherung wird mit Steuergeldern gepäppelt, während sich die Privatanbieter allein aus ihren Mitgliedsbeiträgen finanzieren müssen. Für die PKV bedeute dies einen Wettbewerbsnachteil gegenüber den Krankenkassen zu Lasten der Steuerzahler.

Bahrs Gesetz würde Wahltarife in der GKV unerschwinglich werden lassen

Nun scheint es, als könnten sich die privaten Krankenversicherungen mit ihrer Forderung nach einer Abschaffung der GKV-Wahltarife durchsetzen. Bereits zum jetzigen Zeitpunkt ist es gesetzlich vorgeschrieben, dass sich Wahltarife selbst finanzieren müssen und nicht zu Lasten der übrigen Versicherten gehen dürfen. Allerdings wenden die Krankenkassen bei der Kalkulation einen Trick an, um die Kosten für die Kunden gering zu halten: Sie rechnen die Mitgliedsbeiträge jener Versicherten mit ein, die dank der Zusatzangebote von einem vermeintlichen Wechsel in die private Krankenversicherung abgehalten werden. Man spricht in diesem Zusammenhang von sogenannten „Halteeffekten“. Nach Angaben der Krankenkassen werden bis zu 90 Prozent der Kosten eines Tarifs über diesen Effekt kalkuliert.

Daniel Bahr will nun gesetzlich verbieten, dass diese Halteeffekte bei der Tarifkalkulation berücksichtigt werden. Eine entsprechende Klausel enthält ein Gesetzentwurf aus dem Gesundheitsministerium, in dem es vorrangig um die Entlastung der Versicherten bei Beitragsschulden geht. Bis spätestens 2014 sollen alle Wahltarife der Krankenkassen umgeschrieben werden. Begründet wird das Gesetz mit dem europarechtlichen Verbot der Quersubvention. Auf lange Sicht bedeutet ein derartiges Gesetz jedoch das Aus für die Wahltarife. Sie würden sich derart verteuern, dass sie für Kunden und Versicherer nicht mehr rentabel sind.

Techniker Krankenkasse (TK) kritisiert den Gesetzentwurf scharf

Besonders schwer trifft ein mögliches Verbot der Halteeffekte die Techniker Krankenkasse, mit über 8 Millionen Versicherten Deutschlands zweitgrößte Krankenversicherung. Viele Gutverdiener tummeln sich hier in den Wahltarifen. TK-Vorstandschef Jens Baas ist folglich alarmiert. „Dürfen wir diese Halteeffekte nicht mehr berücksichtigen, besteht die Gefahr, gutverdienende Mitglieder unwiderruflich an die Privatversicherung zu verlieren“, sagte Baas der Berliner Zeitung. Dies bedeute letztendlich eine Schwächung des Solidarsystems, so dass sich Kranke und sozial Schwache auf höhere Beiträge in der GKV einstellen müssen. Auch SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach kritisierte das Vorhaben. Er sprach von einer „Klientelpolitik für die private Krankenversicherung“.

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Zudem bewirke das Gesetz, dass die Krankenkassen weniger Möglichkeiten haben miteinander in Wettbewerb zu treten. Genau dies war aber das erklärte Ziel der Gesundheitsreform unter der großen Koalition und der früheren Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD): Die Krankenkassen sollten auch über eine Ausdifferenzierung des Leistungsangebotes ihre Kunden werben. Die Wahltarife können in dieser Hinsicht ein Erfolgsmodell gewertet werden, denn sie wurden von den Versicherten angenommen. Setzt sich Daniel Bahr durch, wäre damit bald Schluss. Die Angebote der Krankenkassen würden sich wieder stärker angleichen. Allerdings war diese Entwicklung bereits abzusehen, denn auch der schwarz-gelbe Koalitionsvertrag sieht eine Einschränkung der GKV-Wahltarife vor.

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