Die Zahl der Operationen in deutschen Kliniken steigt – und glaubt man Erhebungen der Krankenkassen, so wird zu viel und unnötig operiert. Erst vor wenigen Tagen erregte die Barmer GEK mit einer Studie Aufsehen, wonach es vielen männlichen Patienten nach einer Prostata-Operation gesundheitlich schlechter geht als zuvor. Aber vor allem bei Hüften und Knien wird anscheinend immer schneller zum Skalpell gegriffen, statt alternative Therapien auszuprobieren.

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So teilt der GKV-Spitzenverband mit, dass seit 2003 die Zahl der Knieoperationen um satte 51 Prozent gestiegen sei. Im gleichen Zeitraum wurden auch 18 Prozent mehr Patienten an der Hüfte operiert. Die Krankenkassen vermuten, dass die Kliniken ihre Patienten zu unnötigen Operationen überreden, um sich auf Kosten der Versicherer ein goldenes Näschen zu verdienen.

Die AOK und der Spitzenverband der Krankenkassen (GKV) sind nun mit einer recht eigenwilligen Idee an die Öffentlichkeit getreten, die Zahl der Hüftoperationen zu minimieren. Nach dem Modell des CO2-Emissionshandels soll ein Zertifikatehandel zwischen den Kliniken dafür sorgen, dass die Ärzte auf unnötige Operationen verzichten. „Wir sollten das zumindest ernsthaft prüfen“, sagte der neue Vorstandschef der AOK Rheinland/Hamburg, Günther Wältermann, dem „Handelsblatt“.

Kliniken, die weniger operieren, werden belohnt

Wie aber soll der Handel mit den Operationsrechten funktionieren? Beim Emissionshandel ist es bekanntlich das Ziel, den Ausstoß von Treibhausgasen zu reduzieren – Unternehmen erhalten eine bestimmte Zahl von Zertifikaten, die jeweils zum Ausstoß einer bestimmten Menge CO2 berechtigt. Wenn sie jedoch mehr Treibhausgase ausstoßen, müssen sie Zertifikate von anderen Betreibern hinzukaufen, die unter dieser Grenze bleiben.

Ganz ähnlich könnte es nun auch bei den Kliniken laufen, erklärt Matthias Mohrmann, Vorstandsmitglied der AOK, gegenüber dem Handelsblatt. Schon derzeit würden die Kliniken mit den Krankenkassen feste Budgets für ein Jahr vereinbaren. Überschreitet eine Klinik die vereinbarten Mengen, wird jede weitere Operation über Mehrheitsabschläge geringer vergütet. Bis zu 65 Prozent der Erlöse müssen die Krankenhäuser an die Kassen zurückzahlen, wenn sie mehr operieren als vereinbart.

Die Idee ist nun, auf diese ohnehin nur bis 2014 befristeten Abschläge zu verzichten und stattdessen die Kliniken zu verpflichten, für ihre Mehrleistungen Zertifikate von anderen Kliniken zu kaufen, die ihr Budget nicht bis zu vorgesehenen Grenze ausschöpfen. So sollen die Krankenhäuser davon abgehalten werden, Patienten unnötige Operationen aufzuschwatzen, wenn auch eine konservative Behandlung ausreichen würde.

Gleichzeitig könnten Kliniken, die weniger operieren, die Einnahmen aus dem Zertifikatehandel nutzen, um Tarif- und Sachkostensteigerungen zu finanzieren. „Sie müssten also nicht nach der Hilfe des Gesetzgebers rufen, der dann wieder mit der Gießkanne Geld auch für Häuser gibt, die gar keins brauchen“, erklärt Mohrmann. Der AOK-Funktionär schlägt vor, den Zertifikatehandel in einer Testphase zunächst an Hüft- und Knie-OPs zu erproben, um ihn dann bei positiven Ergebnissen auf andere Eingriffe auszuweiten.

Unterstützung vom GKV-Dachverband

Der Dachverband der Krankenkassen (GKV), der alle 145 Kassen vertritt, unterstützt mit einem aktuellen Statement auf seiner Webseite die Pläne für einen Zertifikatehandel. "Wir prüfen derzeit die Idee, einen Handel mit Zertifikaten für Mehrleistungen bei planbaren Leistungen einzuführen“, sagte Johann-Magnus von Stackelberg, stellvertretender Vorstandschef des GKV-Spitzenverbands dem Handelsblatt (Montagausgabe).

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Kritische Stimmen zu den Plänen wurden bisher nicht laut. So wäre etwa denkbar, dass Krankenhäuser zukünftig notwendige Hüft-Operationen ihren Patienten verweigern, um mehr Zertifikate verkaufen zu können. Auch gibt es Kliniken, die auf Hüft- und Knie-OPs spezialisiert sind und deshalb weniger andere Operationen vornehmen: Diese Häuser könnten durch den Zertifikatehandel benachteiligt werden. Dies gilt auch für Einrichtungen, die aufgrund ihres Standortes überproportional ältere Patienten behandeln.

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