In den Fluren von Baden-Baden war es zu spüren: Die Rückversicherungsbranche atmet auf. Nach Turbulenzen wie Pandemie, Inflation, geopolitischen Spannungen und Naturkatastrophen vermitteln viele Marktteilnehmer Stabilität, die Stimmung ist „gut“. Doch wie fundiert ist dieses Bild? Sind geopolitische Risiken tatsächlich nur Randerscheinung oder bleibt hinter der Fassade eine wesentlich komplexere Realität?

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Das neue Mantra der Stabilität

Gleich zu Beginn gab ein klares Signal: Munich Re etwa spricht von einer „robusten Kapitalisierung und stabilen Rahmenbedingungen“. In der Tat lautet ein klares Motto: Wir sind da, wir liefern Kapazität, wir bleiben verlässlich.

„In an increasingly uncertain environment, Munich Re will continue to play its stabilising role. Be it on climate-related perils, or effects of the geopolitical and macroeconomic instability, we will stand by our clients and provide them with the strong and sustainable support they need.“ Clarisse Kopff, Mitglied des Vorstands Munich Re.
Doch der Ton der Sicherheit birgt zwei Seiten: Stabilität als Zeichen von Solidität oder Stabilität als Signal von Erstarrung? Tatsächlich zeigen interne Daten von Munich Re, dass z. B. die Exponierung bei Hochwasser- und Erdbeben­szenarien wächst: „Seit 2020 haben wir die NatCat-Netto­exposition jährlich um 27 % beim Hochwasser­ Szenario Deutschland erhöht.“

Kunden, Daten und Partnerschaft, die andere Seite

Auch auf Kundenseite wird klar, dass die Sache nicht nur rosig ist. Swiss Re macht deutlich, dass zwar „der Rückversicherungs­markt heute effizient und stabil“ sei, jedoch „unter der Oberfläche auch fundamentale Herausforderungen“ vorhanden sind.

„First, it’s probably a good moment to say, I think the reinsurance market is generally quite efficient right now and quite stable. But obviously, you see some underlying strengths, but also challenges.“
Nikhil da Victoria Lobo, Head P&C Reinsurance WSE & MEA, Swiss Re.

Was bedeutet das konkret? Versicherer berichten von wachsendem Reporting­druck, engerem Underwriting und höheren Anforderungen an Datenqualität , verbunden mit der Erwartung an Rückversicherer, mehr als reine Kapitalgeber zu sein. Gleichzeitig beklagen sie, dass echte Partnerschaftlichkeit noch zu selten gelebt wird. Wenn Rückversicherer in ihren Aussagen von „langjährigen Kunden­beziehungen“ reden, bleibt offen, ob diese Beziehungen in allen Segmenten tatsächlich gleich intensiv sind.

Wachstum durch Diversifikation, Risiko oder Chance?

Ein zentrales Thema war auch Diversifikation: Neue Risikofelder wie Cyber, strukturierte Deckungen, Parametric-Lösungen sollen Wachstum und Rendite sichern. Munich Re bemerkt hierzu:
„Cyber crime will cause economic losses amounting to around US $ 10 trn worldwide ,less than 5 % and possibly as little as 1 % of cyber risks are currently insured.“
Erstversicherer und Rückversicherer sehen hier Potenzial, aber auch Unsicherheit: Mangelnde Datenhistorie, schwer modellierbare Risiken und das Szenario, dass alternative Kapitalgeber die Spielregeln verändern. Kurz: Diversifikation ist nicht automatisch Risikominimierung. Zudem warnte Munich Re:
„We are ready to deploy more capital but will walk away from business which is not adequately priced.“ Clarisse Kopff.
Das heißt: Bestehende Risiken müssen weiter stringent gegenüber Preis, Bedingungen und Risiko­aufnahme bleiben. Wachstum darf nicht auf Kosten der Disziplin erfolgen.

Geopolitik, von Randerscheinung zum potenziellen Störfaktor

Hier zeigen sich die größten Spannungen: Zwar wird über Klimarisiken gesprochen, aber die geopolitische Dimension ,Sanktionen, Handels­barrieren, politische Unruhen, bleibt oft Randthema. Doch gerade hier warnen beide großen Player. Munich Re etwa:
„Civil unrest might fuel more riots, more civil commotions.“
Clarisse Kopff, München.

Und Swiss Re warnt ausdrücklich vor einem möglichen „300-Milliarden-US-Dollar-Katastrophenjahr“, bei dem neben Naturkatastrophen auch politische Unruhen und soziale Konflikte mitspielen.
Trotz dieser Warnungen bleibt die Diskussion im Meeting erstaunlich kontrolliert. Viele Aussagen verweisen auf Klimarisiken oder inflationäre Effekte, politische Risiken bleiben oft im Hintergrund. Genau hier entsteht eine Inkongruenz: Wenn Versicherung das Geschäft mit der Berechenbarkeit des Unberechenbaren ist, dann sollten gerade die Unberechenbaren ins Zentrum rücken, doch sie tun es nicht.

Selbstberuhigung oder Realitätscheck?

Die Rhetorik in Baden-Baden klingt beruhigend: „Wir sind stabil“, „wir haben Fähigkeit und Erfahrung“, „wir unterstützen unsere Kunden“. Doch eine differenzierte Analyse zeigt:

  • Preise unter Druck: Broker vor Ort berichten von ein- bis fünf-prozentigen bis zu zehn-fünfzehn-prozentigen Rückgängen im europäischen Eigengeschäft.
  • Risikoexposition steigt: NatCat-Szenarien, Cyber, politische Risiken wachsen, modifiziertes Underwriting nötig.
  • Daten- und Partnerschaftslücke: Rückversicherer fordern mehr Transparenz. Kunden beklagen mehr Auflagen bei gleichzeitig geringerer Flexibilität.
  • Geopolitik bleibt latent: Wird adressiert, aber nicht im Zentrum der Verhandlungen.

Mit anderen Worten, die Branche singt und vielleicht stimmt der Ton. Aber der Text verdient mehr Aufmerksamkeit als der Chor. Es geht nicht um pure Panik, sondern um Wachsamkeit. Stabilität ist kein Zustand, sondern ein Balanceakt.

Alles gut? Nicht ganz. Das Baden-Baden Meeting 2025 zeigt sowohl die innere Stärke der Branche als auch ihre inneren Widersprüche. Rückversicherer sind finanziell gut positioniert, verfügen über Kapazität, betonen Partnerschaft und Differenzierung. Doch gleichzeitig wachsen Herausforderungen, nicht nur technisch oder klimatisch, sondern politisch und gesellschaftlich.

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Diejenigen, die danach fragen, ob geopolitische Themen nur Randerscheinungen sind, müssen umdenken: Sie sind keine Haupthandlung, aber sie schlafen nicht. Und in einem Geschäft, das auf Risikotransfer basiert, darf das Unvorhersehbare nicht zum Unbeachteten werden.
Wenn die Branche also in Baden-Baden gesungen hat: Gut so. Aber sie sollte nicht vergessen, dass der Text, also die Beschreibung der Risiken, mindestens ebenso wichtig ist wie die Melodie.
Viel Erfolg in 2026!