Die Versicherungswirtschaft in Deutschland und Österreich steckt tief im Umbau hin zu mehr Nachhaltigkeit. Während die Branche früher stark von regulatorischen Vorgaben getrieben war, betrachten immer mehr Versicherer Nachhaltigkeit heute als festen Bestandteil ihrer Geschäftsmodelle und nicht nur als Pflichtaufgabe. Politische Initiativen wie der europäische Green Deal verstärken diesen Trend. Das zeigt die aktuelle Studie „Wirtschaftsfaktor Klimawandel und Nachhaltigkeit“, die von EY und der V.E.R.S. Leipzig GmbH durchgeführt wurde.

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„Die Versicherungswirtschaft hat im Umgang mit Nachhaltigkeit einen Reifeprozess durchlaufen“, erklärt Prof. Dr. Fred Wagner, Mitautor der Studie. Klar ist aber auch, dass die Transformation noch längst nicht abgeschlossen ist. Während viele Gesellschaften bereits Net-Zero-Ziele für Kapitalanlage und eigenen Geschäftsbetrieb definiert haben, bleibt das Kerngeschäft Underwriting hinterher. 77 Prozent der befragten Versicherer haben hier bislang keine Klimaziele formuliert. Gründe sind unter anderem begrenzte Einflussmöglichkeiten auf Kundenemissionen und fehlende Methodiken. Auch in der Schadenbearbeitung und bei Klimawandel-Transitionsplänen besteht Nachholbedarf.

Besonders dringlich wird die Verfügbarkeit verlässlicher ESG-Daten genannt. Ohne diese lassen sich weder Risiken noch Chancen adäquat bewerten. Zwar haben Versicherer beim eigenen Geschäftsbetrieb und bei Mitarbeiterdaten Fortschritte erzielt, doch in der Kapitalanlage und im Privatkundengeschäft hapert es noch deutlich.

Ein weiteres großes Hemmnis bleibt die Regulierung. Zwar erkennen Versicherer den Nutzen einheitlicher Standards an, kritisieren aber bürokratische Verfahren, unklare Vorgaben und fehlende Praxisnähe. 94 Prozent fordern daher Entbürokratisierung. Positiv bewerten die Befragten die ersten Omnibus-Pakete, die eine Vereinfachung der Berichterstattung versprechen.

Beim Thema Klimawandel überwiegt aktuell noch die Risiko-Perspektive. Naturkatastrophen, geopolitische Unsicherheiten und volatile Märkte setzen die Branche unter Druck. Gleichzeitig sehen mehr als die Hälfte der Unternehmen aber auch Chancen wie etwa durch neue Produkte, Investitionen oder innovative Geschäftsmodelle. Im Bereich Diversity, Equity & Inclusion (DEI) zeigt sich die Branche stabil: Drei Viertel der Versicherer wollen ihre DEI-Politik unverändert fortsetzen, elf Prozent sogar ausbauen.

„Versicherer stehen vor einer Reihe von Herausforderungen. Dazu zählen die zuverlässige Beschaffung von ESG-Daten, die komplexe Regulierungslandschaft und globale politische Veränderungen. Alle drei erschweren die Anwendung von ESG-Strategien, erhöhen (wahrgenommene) Risiken und verringern Investitionsmöglichkeiten“, fasst Armin Henatsch, EY Partner, Insurance Consulting, zusammen.