Berufsunfähigkeitsversicherung: Konkrete Verweisung muss ausreichend begründet werden
Das OLG Saarbrücken hat einen BU-Versicherer zur Nachzahlung von etwa 86.000 Euro verurteilt. Denn die Einstellung der Leistungen über eine konkrete Verweisung war nicht ausreichend begründet. Eine bloße Mitteilung, wonach der Versicherungsnehmer „nun eine andere Arbeit ausübt“, genügt nicht.

Unter welchen Voraussetzungen darf ein Versicherer laufende BU-Leistungen einstellen, wenn der Versicherte wieder arbeitet? Eine bloße Verweisung auf eine neue Tätigkeit reicht dafür nicht. Der Versicherer muss nachvollziehbar begründen, warum die neue Arbeit der bisherigen Lebensstellung entspricht. Versäumt er das, bleibt die Leistungspflicht bestehen. Das geht aus einem Urteil des Oberlandesgerichts Saarbrücken (Az. 5 U 97/22) hervor.
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Im betroffenen Fall hatte eine Frau 2017 eine selbständige BU-Versicherung mit einer monatlichen Rente von 1.230 Euro abgeschlossen. Ab 2018 war sie wegen schwerer Depressionen und Angststörungen nicht mehr in der Lage, ihre Tätigkeit als Sekretärin und Kauffrau für Bürokommunikation auszuüben. Sie beantragte Leistungen aus ihrer BU-Versicherung.
Der Versicherer lehnte die Zahlung ab, forderte rückständige Beiträge und kündigte den Vertrag 2019 wegen Beitragsrückständen. Später nahm die Kundin neue Tätigkeiten auf. Der Versicherer argumentierte, sie sei nicht mehr berufsunfähig und könne auf die neuen Tätigkeiten verwiesen werden.
Doch das OLG Saarbrücken entschied klar zugunsten der Kundin. Es sprach ihr für den Zeitraum von März 2018 bis Dezember 2023 Nachzahlungen in Höhe von insgesamt 86.100 Euro zu. Außerdem wurde festgestellt, dass sie in diesem Zeitraum von der Beitragszahlung befreit war. Damit kassierte das Gericht auch die Kündigung des Versicherers. Denn die Mahnung sei fehlerhaft gewesen, weil sie nur eine Frist von „zwei Wochen“ setzte. Das Gesetz schreibt aber „mindestens zwei Wochen“ vor. Ein scheinbar kleiner Formfehler, der jedoch gravierende Folgen hatte. Damit war die Kündigung unwirksam.
Besonders ins Gewicht fiel jedoch die Frage, wie Versicherer BU-Leistungen einstellen dürfen. Nach § 174 VVG ist eine solche Einstellung nur möglich, wenn der Versicherer die Gründe nachvollziehbar und für den Kunden verständlich darlegt. Das war hier nicht der Fall. Die Einstellungsmitteilungen des Versicherers blieben vage. Es wurde lediglich behauptet, die neue Tätigkeit sei der alten gleichwertig. Eine detaillierte Begründung, warum Ansehen, Einkommen und Anforderungen vergleichbar seien, fehlte jedoch. Genau hier setzte das OLG an. Versicherer müssen sauber begründen, warum eine neue Tätigkeit eine Verweisung rechtfertigt. Pauschale Aussagen genügen nicht.
Das Urteil betont zudem, dass auch dann, wenn ein Versicherer nie ein offizielles Leistungsanerkenntnis abgegeben hat, die strengen Regeln des Nachprüfungsverfahrens gelten. Mit anderen Worten: Auch ohne Anerkenntnis kann ein Versicherer nicht einfach die Zahlungen einstellen, sondern muss das Verfahren korrekt durchführen.
Für Versicherungsvermittler ist dieses Urteil gleich in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung. Erstens zeigt es, dass Kunden sich nicht vorschnell mit der Einstellung von BU-Leistungen abfinden sollten. Es lohnt sich, die Begründung genau zu prüfen. Zweitens bestätigt das Urteil, dass Formfehler wie etwa in Mahnungen oder Einstellungsmitteilungen, entscheidend sein können. Drittens unterstreicht das OLG die Bedeutung der Lebensstellung. Eine neue Tätigkeit muss in Einkommen, Wertschätzung und Anforderungen wirklich vergleichbar sein. Nur dann darf verwiesen werden.
„Mit diesem Urteil unterstreicht das OLG Saarbrücken die hohen formalen Anforderungen an Versicherer bei der Einstellung von BU-Leistungen“, erklärt Rechtsanwalt Tobias Strübing von Wirth Rechtsanwälte. „Versicherungsnehmer, aber auch Versicherungsvermittler, sollten bei einer Leistungseinstellung kritisch bleiben und Leistungseinstellungen nicht vorschnell akzeptieren.“