Unterversichert – eine gern verdrängte Gefahr
Viele Versicherte ahnen nicht, dass in ihren Verträgen das Potenzial für hohe Selbstkosten im Ernstfall schlummert. Doch welche Fehler führen zu einer Unterversicherung, welche Folgen drohen und wie kann man sie vermeiden? Ein Gastbeitrag von Diplom-Betriebswirt Lars Schliewe, Chapter Lead und Koordinator Kompositversicherung bei der SIGNAL IDUNA Gruppe in Dortmund.

- Unterversichert – eine gern verdrängte Gefahr
- Fehler Nr. 3: Nicht gemeldete Modernisierungen
Beispiel Wohngebäudeversicherung: Endlich war der Anbau fertig. Mit viel Aufwand hatte Familie Heller (Name geändert) die offene Terrasse ihres Eigenheims in einen vollverglasten Wintergarten verwandelt und freute sich über die wetterfeste Erweiterung ihres Wohnzimmers. Doch nur Wochen später kam der Jahrhundert-Hagel. Eiskörner so dick wie Ping-Pong-Bälle durchschlugen Glasdach und Fenster des Anbaus und beschädigten die Aluminium-Verstrebungen. Der nächste Schreck für die Hellers: Auf dem beträchtlichen finanziellen Schaden blieb sie zum Teil sitzen – trotz bestehender Wohngebäudeversicherung, die Hagelschäden ebenso abdeckt wie Schäden durch Leitungswasser, Feuer oder Sturm. Was hatten die Hauseigentümer übersehen?
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Ohne es erkannt zu haben, war Familie Heller unterversichert. Eine Unterversicherung besteht, wenn der reale Neubauwert die vertraglich vereinbarte Versicherungssumme übersteigt. Beträgt beispielsweise der heutige Neubauwert eines Hauses 500.000 Euro, die Versicherungssumme aber nur 400.000 Euro, ist das Gebäude zu 20 Prozent unterversichert. Auch bei einem Teilschaden – beim Wintergarten der Hellers 10.000 Euro – muss der Versicherer dann nur 80 Prozent erstatten, im Beispiel also 8.000 Euro.
Drei Fehlerquellen für Unterversicherung
Zwar gibt es keine öffentlichen Statistiken darüber, wie viele Haushalte einen zu geringen Versicherungswert in ihren Policen haben. Doch die Erfahrung aus der Praxis zeigt: Stolpersteine bei der Ermittlung des korrekten Wertes – insbesondere, aber nicht nur in Altverträgen – führen dazu, dass Unterversicherung ein weit verbreitetes Problem ist. Drei zentrale Fehlerquellen sind dafür verantwortlich, dass viele Inhaber einer Wohngebäudeversicherung nicht ausreichend abgesichert sind.
Fehler Nr. 1: Zu niedrige Wertangaben bei Vertragsabschluss
Schon bei Vertragsabschluss kann der Versicherungswert eines Hauses zu gering angesetzt sein. Das kann viele Gründe haben, etwa bei Altverträgen, als unter anderem noch jedes einzelne Ausstattungsmerkmal des Gebäudes einzeln erfasst werden musste. Oder weil bei der Angabe der Wohnfläche einfach „pi mal Daumen“ – und deutlich zu niedrig – geschätzt wurde, statt exakte Werte etwa aus den Bauzeichnungen zu verwenden. Heutige Versicherungssoftware macht es den Kunden leicht: Es genügt die korrekte Quadratmeter-Angabe der Wohnfläche, den Rest errechnet das System. Und ein moderner Vertrag gewährt automatisch einen „Unterversicherungsverzicht“ – egal, was in Zukunft passiert: man gilt nie als unterversichert.
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Fehler Nr. 2: Fehlende Anpassung an die Inflation
Die fehlende jährliche Anpassung des Versicherungswertes an die Inflation ist ein schweres Versäumnis. Schließlich müsste ein abgebranntes Haus zu heutigen Preisen wiederaufgebaut werden – und diese sind meist deutlich höher als zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses. Diese Anpassung – der sogenannte gleitende Neuwert – orientiert sich an amtlichen Indizes zur Entwicklung der Baustoffpreise und Tariflöhne im Baugewerbe. Wurde sie beim Vertragsabschluss nicht vereinbart, gerät das versicherte Wohngebäude schon nach wenigen Jahren zunehmend in die Unterversicherung, weil sein Versicherungswert nicht mit der Inflation Schritt hält. Genau das widerfuhr Familie Heller, deren Altvertrag nie angepasst worden war.
Fehler Nr. 3: Nicht gemeldete Modernisierungen
Ein Kellerraum, der zur Sauna ausgebaut wurde? Ein Spitzboden, der jetzt als Arbeitszimmer dient? Der Anbau eines zusätzlichen Zimmers? All das vergrößert die Wohnfläche und erhöht damit den realen Neubauwert des Wohngebäudes – so wie bei Familie Heller, deren Wintergarten die offene Terrasse ersetzte. Am besten sollte man bei jeder Baumaßnahme am Haus kurz den Versicherungsbetreuer kontaktieren, denn Versicherer können einschätzen, ob und wie sich eine Maßnahme auf das Unterversicherungsrisiko auswirkt. Bei den Hellers führte die Kombination aus Fehler Nr. 2 und 3 zu einer Unterversicherung von 100.000 Euro.
Unterschätztes Risiko: Naturgefahren
Ebenfalls ein riskantes Spiel – auch wenn es versicherungstechnisch keine Unterversicherung darstellt – ist der Verzicht auf den erweiterten Naturgefahrenschutz in der Wohngebäudeversicherung. Dieser Schutz umfasst vor allem Schäden durch Überflutungen und Schneelast auf Dächern, aber auch seltene Ereignisse wie Lawinen oder Erdbeben. In Deutschland sind lediglich 54 Prozent der Gebäude gegen Naturgefahren versichert. Laut Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) gibt es dabei ein deutliches Nord-Süd-Gefälle: Während in Baden-Württemberg 97 Prozent der Gebäude den Zusatzschutz haben, sind es in Niedersachsen, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern nur rund ein Drittel.
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Das kann im Ernstfall existenzgefährdend teuer werden, wie nicht zuletzt die Ahrtal-Flutkatastrophe von 2021 eindrucksvoll gezeigt hat. In unseren aktuellen Versicherungstarifen für Wohngebäude ist die Zusatzoption Elementarschaden daher immer bereits vorgewählt. Die Kunden müssten sie schon aktiv ausklammern. Doch davon raten wir bei SIGNAL IDUNA eindringlich ab, und die meisten sind heute zum Glück ausreichend für die wachsenden Naturgefahren sensibilisiert.
Übrigens: Auch Familie Heller gehört zu denjenigen, die aus finanziellem Schaden klug geworden sind. Ihr aktualisierter Wohngebäudeschutz entspricht inzwischen modernsten Standards – und wird regelmäßig angepasst.
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Hintergrund: Der Gastbeitrag ist zuerst in der Ausgabe 01/2025 des Fachmagazins Versicherungsbote erschienen. Das Magazin kann auf der Versicherungsbote- Webseite kostenfrei abonniert werden.
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