Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einem Rechtsstreit, der die Versicherungsbranche seit Jahren beschäftigt, ein Urteil gefällt, das für viele Versicherte eine herbe Enttäuschung sein dürfte. Danach müssen private Krankenversicherer dem Versicherten nur in sehr engen Grenzen darlegen, warum die Prämie in seinem Tarif steigt. Und nicht nur das: Die Versicherer sind auch keineswegs verpflichtet, dem Kunden offen zu legen, ob die aus seinen Beiträgen gebildeten Rückstellungen tatsächlich dazu verwendet werden, im Alter den Beitrag in seinem Sinne zu senken. Oder ob mit den Rückstellungen nicht auch andere Tarife quersubventioniert werden. Die Tarifkalkulation der privaten Krankenversicherer bleibt in Teilen eine Black Box: Ihr Recht auf Intransparenz wurde höchstrichterlich bestätigt.

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Dass das Urteil viele Versicherte betrifft, hier keineswegs nur ein Einzelfall verhandelt wurde, wurde an den Ausführungen der urteilenden Richter deutlich. Der Vorsitzende des 4. Zivilsenats sagte demnach laut dpa, die Gerichte hätten es mit einer wahren Prozesslawine von klagenden Versicherten zu tun. Die Zahl der Verfahren übersteige inzwischen die Zahl der Verfahren im Dieselskandal. Zur Einordnung: Allein im Jahr 2020 wurden mehr als 30.000 Klagen gegen VW oder einen anderen Autohersteller eingereicht, weil sich Verbraucherinnen und Verbraucher getäuscht sahen. Während der Richter laut der Nachrichtenagentur vor allem darauf hinwies, welche Last diese Klageflut für die ohnehin überforderten Landgerichte bedeute, lässt diese einen weiteren Schluss zu: Viele Verbraucherinnen und Verbraucher sind derzeit nicht einverstanden mit der gängigen Praxis der Beitragsanpassungen - und fühlen sich benachteiligt.

BGH ließ in einem früheren Rechtsstreit bereits Treuhänder-Argument abblitzen

Im konrekten Rechtsstreit klagte ein Mann gegen Beitragserhöhungen seines privaten Krankenversicherers, die er für unwirksam hielt, und forderte, dass ihm die daraus resultierenden Prämienanteile zurückerstattet werden. Und zuerst lief es gut für den Kläger. Das Landgericht Berlin gab ihm in erster Instanz recht und verpflichtete den Versicherer dazu, die zu viel gezahlten Beitragsanteile zurückzuerstatten. Das Kammergericht Berlin als Berufungsgericht änderte Details, blieb aber grundsätzlich bei dem Urteil, dass die Beitragserhöhungen unwirksam seien. Doch in allen Fällen legte der Versicherer, in diesem Fall die Axa, Berufung gegen die Urteile ein. Und kann nun vor dem Bundesgerichtshof triumphieren. Denn das oberste Zivilgericht kippte die Entscheidungen der Vorinstanzen.

Ausgangspunkt des Streits ist, dass private Krankenversicherer die Beiträge für Bestandskunden nur in zwei Fällen erhöhen dürfen: Wenn die Ausgaben die kalkulierten Kosten um mindestens zehn Prozent übersteigen. Und wenn die Lebenserwartung der Versicherten stärker steigt als kalkuliert, weil dann im Durchschnitt auch die Gesundheitskosten steigen. Man spricht hier von so genannten auslösenden Faktoren. Zudem sind die Krankenversicherer verpflichtet, bei älteren Versicherten die Altersrückstellungen mit den erwirtschafteten Renditen zu berücksichtigen, um extreme Prämiensprünge im Interesse der Kundinnen und Kunden abzufedern. Seit 1994 sind die Versicherer zudem zusätzlich verpflichtet, die Rechtmäßigkeiten der Prämienanpassungen von einem unabhängigen Treuhänder prüfen und absegnen zu lassen.

Bereits in einem früheren Urteil hatte der Bundesgerichtshof die Hoffnungen vieler privatversicherter Kundinnen und Kunden enttäuscht. Denn zunächst klagten die Versicherten auch deshalb, weil Zweifel an der Unabhängigkeit der Treuhänder laut wurden, die über die Beitragserhöhungen wachen. Zu dem Zeitpunkt waren ganze 16 dieser Treuhänder für alle Versicherer aktiv, mehrere von ihnen erhielten ihre hohe Vergütung ausschließlich von einem oder zwei Anbietern. In einigen Fällen handelte es sich sogar um Aktuare, die zuvor bei demselben Versicherer angestellt waren. Kann ein Treuhänder, der fast sein gesamtes Einkommen von seinem früheren Arbeitgeber bezieht, die Interessen der Kundinnen und Kunden gegenüber diesem ohne gravierenden Interessenkonflikt vertreten?

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Was in den Medien zu einem empörten Aufschrei und zu vielen Klagen führte, war aus rechtlicher Sicht unbedenklich. Entscheidend für die Unabhängigkeit der Treuhänder sei allein, dass die Aufsichtsbehörde BaFin sie zugelassen und ihre Unabhängigkeit bestätigt habe, entschied der BGH vereinfacht ausgedrückt. Zudem seien Zivilgerichte nicht befugt, über diese Frage zu entscheiden. Deshalb können Prämienanpassungen nicht juristisch angefochten werden, indem die Unabhängigkeit der Treuhänder infrage gestellt wurde. Zudem belege ein möglicher Interessenskonflikt der Treuhänder auch nicht, dass sie Prämienanpassungen unrechtmäßig durchgewinkt haben - hier ist der Versicherungsnehmer in der Beweispflicht, nachzuweisen, dass fehlerhaft kalkuliert wurde. Auch die BaFin fühlte sich nicht zuständig, die Versicherer zu rügen.

Nun wurde über sogenannte Limitierungsmittel verhandelt

Für diejenigen, die von dem BGH-Urteil im Treuhänderstreit enttäuscht waren, schien sich ein weiteres Einfallstor zu bieten, um gegen die Prämienerhöhungen vorzugehen. Hier beriefen sich die Kläger darauf, dass der Versicherer die Alterungsrückstellungen nicht im ausreichenden Maße berücksichtigt hat, um die Prämie in einem Tarif zu stabilisieren. Dabei handelt es sich um sogenannte Limitierungsmittel.

Limitierungsmittel werden nach einem festgelegten Verfahren eingesetzt, um Beitragsanpassungen in der privaten Krankenversicherung abzumildern oder ganz zu vermeiden. Verwendet werden hierfür beispielsweise Überschüsse aus Zinserträgen nach § 150 VAG, die der Versicherer erwirtschaftet hat. Oder aus Beitragsteilen, die der Versicherer nicht benötigt, weil er seinen Tarif vorsichtig kalkuliert hat. Sie werden der Rückstellung für Beitragsrückerstattung (RfB) zugeführt und als Einmalbeitrag entnommen, wenn eine Beitragsanpassung ansteht. Der Treuhänder muss zustimmen, ob und wie sie verwendet werden dürfen. Auch der Kläger im vorliegenden Rechtsstreit hatte bezweifelt, dass diese Mittel richtig verwendet wurden, klagte und verlangte mehr Informationen. Er berief sich darauf, dass aufgrund der fehlerhaften Einrechnung der Limitierungsmittel auch die Prämienerhöhung insgesamt unwirksam geworden sei. Erfolglos, denn der BGH ließ den klagenden Versicherungsnehmer abblitzen.

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Beweislast trägt der Versicherungsnehmer

Der BGH hob hervor, dass die Beweislast einer fehlerhaften Kalkulation zunächst beim Versicherungsnehmer liege. Der Versicherte müsse nachweisen, dass er durch die Verteilung der Mittel in seinen Rechten verletzt worden sei, urteilte der 4. Zivilsenat. Die Versicherung müsse ihn dabei zwar unterstützen und in einem zweiten Schritt interne Informationen vorlegen, wenn die Sache vor Gericht verhandelt wäre. Sie müsse aber nicht darlegen, wie die Mittel auf die einzelnen Tarife verteilt worden seien. Hier aber beißt sich die Katze in den Schwanz: Um dem Versicherer eine Fehlkalkulation nachzuweisen, brauchen die Versicherungsnehmer Informationen, die die privaten Krankenversicherer in der Regel nicht öffentlich kommunizieren. Laut dpa hatte der Senat bereits in der Verhandlung unterstrichen, dass es bei der Verwendung von Rückstellungen nicht um die Belange eines Einzelnen, sondern um das Interesse der Gemeinschaft der Versicherten gehe.

Konkret heißt es hierzu in einem Pressetext des Bundesgerichtshofs: "Der Versicherungsnehmer trägt die Beweislast dafür, dass die Limitierungsentscheidung den Anforderungen des § 155 Abs. 2 VAG nicht entspricht und er hierdurch in seinen Rechten beeinträchtigt ist. Der Umstand, dass der Versicherungsnehmer die internen Verhältnisse des Versicherers nicht kennen kann, führt allerdings zu einer sekundären Darlegungslast des Versicherers. Er hat zu den Parametern, die der Limitierungsentscheidung zugrunde liegen, näher vorzutragen. Diese Darlegungslast beinhaltet jedoch nicht die Vorlage eines umfassenden, sich auf alle parallel mit Limitierungsmitteln bedachten Tarife erstreckenden Limitierungskonzepts."

Beitragsanpassung auch bei fehlerhafter Limitierung wirksam

Das Urteil geht aber noch weiter: Selbst bei einer fehlerhaften Limitierung bleibt eine Beitragsanpassung wirksam und kann nicht vom Versicherungsnehmer rückwirkend angefochten werden. Der BGH führt hierzu im Pressetext aus: "Bei einer gerichtlichen Kontrolle der Limitierungsmaßnahmen sind lediglich besonders schwerwiegende Verstöße gegen die schutzwürdigen Interessen der Versicherten geeignet, einen materiellen Verstoß gegen den sich aus § 155 Abs. 2 VAG ergebenden Prüfungsmaßstab für die Limitierungsmaßnahmen zu begründen. Eine Motiv- oder Begründungskontrolle der vom Versicherer getroffenen Limitierungsentscheidung findet nicht statt. Die Fehlerhaftigkeit einer Limitierungsmaßnahme lässt die materielle Wirksamkeit einer Prämienanpassung, die im Übrigen auf einer den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Nachkalkulation beruht, unberührt. Diese führt lediglich dazu, dass dem einzelnen Versicherungsnehmer, soweit er dadurch konkret beeinträchtigt ist, ein individueller Anspruch auf (weitere) Limitierung, d.h. auf dauerhafte Absenkung seiner Prämie zustehen kann", so der BGH.

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Die Revision der Axa hatte auf dieser Grundlage Erfolg und führte zur Aufhebung des Berufungsurteils in den verhandelten Punkten. Der Bundesgerichtshof hat die Sache zur neuen Verhandlung an das Berufungsgericht zurückverwiesen, damit es die Prüfung der Nachkalkulation der Prämie nachholen und, falls diese Prüfung keine Fehler ergibt, die Limitierungsmaßnahme unter Berücksichtigung der Rechtsansicht des Bundesgerichtshofs neu beurteilen kann. Die Anschlussrevision des Klägers wurde ebenfalls aufgrund eines Verfahrensfehlers des Berufungsgerichts aufgehoben und zurückgewiesen.

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