Galt die Versicherungswirtschaft lange als digitaler Nachzügler, hat sich gerade in den letzten 24 Monaten sehr viel verändert. Das Schadensmanagement erfolgt zunehmend digital und auf individualisierbaren Plattformen lassen sich im persönlichen Bereich sämtliche Policen online managen. Im Vertrieb ist das Bild nach wie vor differenzierter, klassische stationäre Vertriebswege spielen weiterhin eine große Rolle. Doch nicht zuletzt durch den Druck der Insurtechs sehen wir auch hier massive Veränderungen. Schließlich erwarten die Kunden – private wie gewerbliche – heute einfache digitale Prozesse von Beginn an.

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Payam Rezvanian, Mitglied der Geschäftsleitung des InsurTechs Finanzchef24.@Finanzchef24

Digitaler Vorsprung: Insurtechs und ihre Stärken

Etliche Insurtechs im B2C wie auch im B2B-Umfeld führen vor, welche Potenziale ein konsequent digitales Angebot hat. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien hier zehn aus meiner Sicht zentrale Punkte genannt.

  1. Effizienz: Digitale Plattformen können den Vertriebsprozess effizienter gestalten, indem sie die Bearbeitungszeiten verkürzen und den Papierkram minimieren.
  2. Personalisierung: Durch die Verwendung von Datenanalyse und künstlicher Intelligenz können Versicherer personalisierte Angebote erstellen, die den individuellen Bedürfnissen der Kunden entsprechen. Finanzchef 24 beispielsweise bietet einen Bedarfscheck als auch eine Risikoanalyse in Sekundenschnelle für über 1.500 Betriebsarten.
  3. Kostenreduktion: Durchgehend digitale Vertriebsprozesse senken die Vertriebs- und Verwaltungskosten, was zu attraktiveren Konditionen für Kunden führt und letztlich die Wettbewerbsfähigkeit stärkt.
  4. Innovation: Insurtechs arbeiten agil, haben flache Strukturen und können schnell innovative Lösungen entwickeln und sind oft Vorreiter, ja Treiber, bei der Einführung innovativer Technologien wie Telematik, Blockchain und KI.
  5. Kundenzentrierung: Mit meist sehr fokussierten Geschäftsmodellen, die in der Regel radikal aus der Kundenbrille gedacht sind, agieren Insurtechs oft ganz nah an aktuellen und künftigen Bedürfnissen und Erwartungen der Kunden. Mit Technologien wie künstlicher Intelligenz und Big Data-Analysen werden zum Beispiel personalisierte Angebote ermöglicht und neuartige Kundenerlebnisse geschaffen.
  6. Kostenvorteile: Insurtechs können ihre Kostenstrukturen sehr effizient gestalten. In aller Regel verfolgen sie sehr fokussierte und spezialisierte Modelle und können ihre Prozesse und Strukturen ohne jegliche Legacy digital und schlang aufbauen.
  7. Intelligente Vertriebsmodelle: Mit ihrem Fokus auf digitale Prozesse entwickeln Insurtechs Vertriebsansätze, die weit über die Möglichkeiten herkömmlicher Versicherungsmakler und -agenturen hinausgehen. Peer-to-Peer-Versicherungsplattformen oder On-Demand- Versicherungslösungen eröffnen gänzlich neue Perspektiven in der Kundenansprache.
  8. Geschwindigkeit: Agile Arbeitsweisen und durchgängig digitale Prozesse mit entsprechender Unternehmerkultur ermöglichen ein enorm kurzes time-to-market bei neuen Angeboten, Dienstleistungen und Produkten. Zudem können auch Schadensfälle und Zahlungen deutlich effizienter und schneller abgewickelt werden, wenn zum Beispiel Smart Contracts oder Blockchain-Technologie zum Einsatz kommt.
  9. Digitale Nutzererfahrung: User Experience (UX) ist ein entscheidender Erfolgsfaktor für Insurtechs, die dementsprechend stark in einfach zu nutzende digitale Plattformen und Apps investieren, mit denen Kunden Versicherungsprodukte einfach online vergleichen, auswählen und abschließen können.
  10. Datenanalyse und Risikobewertung: Insurtechs nutzen fortschrittliche Datenanalyse und KI, um Risiken besser zu bewerten und präzise maßgeschneiderte Prämien anzubieten. Kunden profitieren so von attraktiven, exakt auf sie zugeschnittenen Tarifen, Versicherer von höherer Konvertierung.

Nun sind einige der genannten Stärken typische Vorteile kleiner Schnellboote, die sich auch in anderen Branchen finden. Anpassungsfähigkeit, Flexibilität und Geschwindigkeit sind nun einmal generische Vorteile von jungen Angreifern gegenüber etablierten Konzernen. Doch die Liste macht auch deutlich, welches Potenzial durchgängig digitale Prozesse eröffnen – und zwar nicht nur mit Blick auf Effizenz und Kosten, sondern insbesondere für exzellenten, maßgeschneiderten Service und passgenaue Produktlösungen. Also für Kundenzufriedenheit und -bindung.

Die besonderen Herausforderungen der Versicherungswirtschaft

Doch es gibt natürlich gute Gründe, warum die Versicherungsbranche sich so lange so schwer tat mit konsequenter Digitalisierung und warum auch Insurtechs vielfach an ihre Grenzen stoßen:

  1. Komplexität der Produkte: Versicherungsprodukte sind im Detail sehr komplex und bei weitem nicht so online darstellbar wie ein Tagesgeldkonto.
  2. Vertrauen und Datenschutz: Kunden haben bei sensiblen Themen wie der Versicherung besonders hohe Erwartungen an Datenschutz und -sicherheit. Insurtechs müssen hier ganz besonders unter Beweis stellen, dass man ihnen als neuen Akteuren vertrauen kann.
  3. Regulatorische Anforderungen: Die Versicherungsbranche ist stark reguliert und die einzelnen Vorgaben höchst komplex. Dies im digitalen Raum abzubilden, erfordert profundes Knowhow der Materie.
  4. Kundenkontakt: Persönlicher Service ist nach wie vor für viele Versicherungskunden wichtig, rein digitale Angebote ohne jegliche menschliche Ergänzung stoßen also schnell an ihre Grenzen.
  5. Zusammenspiel mit den Versicherern: In der Regel agieren Insurtechs als Broker bzw. Front End zum Kunden und benötigen für die Transaktion eine enge Anbindung an Versicherer. Sehr unterschiedliche Geschwindigkeiten und Prozesse können an dieser wichtigen Schnittstelle zur Stolperfalle werden.

Wer gewinnt? Insurtechs oder Versicherer?

Folglich haben die traditionellen Versicherer lange auf ihre angestammten Stärken gesetzt: Mit ihrer teils über hundertjährigen Geschichte punkten sie bei Reputation und Vertrauen. Langfristig gedachtes, konsequent geführtes Marketing und Branding vermittelt das in diesem Segment so besonders wichtige Gefühl von Sicherheit und Verlässlichkeit. Hinzu kommen enorme finanzielle Ressourcen, die den Platzhirschen entsprechende Investitionen in Marketing, Menschen und Technologie ermöglichen.

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Doch auch damit lässt sich nicht die Geschwindigkeit und Innovationskraft eines Insurtechs angesichts sich immer radikaler wandelnder Kundenerwartungen imitieren. Folglich wird die Entwicklung nach meiner Überzeugung nicht zu einem entweder oder führen, sondern zu einem sowohl als auch. Die Schlüsselkompetenzen von Insurtechs und etablierten Versicherern greifen ideal ineinander und können in einem Zusammenspiel, in dem sich jede Seite auf ihre Stärken fokussiert, zu entscheidenden Vorteilen für alle Beteiligten führen. Eine echte Win-Win-Win-Situation für Kunden, Versicherer und Insurtechs.

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