Noch immer keine Lust auf hochverzinste Altverträge: Obwohl die Zinsen am Kapitalmarkt seit 2022 wieder deutlich gestiegen sind und die Lebensversicherer damit die Garantiezusagen wieder etwas besser erwirtschaften können, wollen sich Versicherer von alten Lebensversicherungen trennen. Prominentestes Beispiel ist derzeit die Zurich, nach Bruttobeitrag der sechstgrößte Lebensversicherer auf dem deutschen Markt. 720.000 Verträge sollen an den Abwicklungs-Spezialisten Viridium übergeben werden, der auch schon Bestände anderer großer Versicherer übernommen hat. Es geht um ein Volumen von 21 Milliarden Euro.

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Doch dieser Deal droht zu scheitern, wie die „Süddeutsche Zeitung“ und der Branchendienst „Versicherungsmonitor“ berichten. Der Grund: Aktuell liegt der Vorgang bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), die ihr okay für den Verkauf geben muss. Und die Behörde hat Einwände. Sie prüft unter anderem, ob Kundinnen und Kunden durch den Wechsel der Gesellschaft keine Nachteile drohen - und ob der Käufer ausreichend finanzkräftig ist, um die Zusagen an Kundinnen und Kunden bedienen zu können. Und daran bestehen laut dem Medienbericht Zweifel.

Schieflage eines italienischen Lebensversicherers

Die Hintergründe gestalten sich hierbei als komplex. Konkret hat die Zurich für die Transaktion eine eigene Brückengesellschaft gegründet, die die abzugebenden Lebensversicherungs-Verträge verwaltet: die Zurich Life Legacy Versicherung AG. Für diese Ausgründung hat die BaFin bereits ihr Erlaubnis zur Aufnahme des Geschäftsbetriebs erteilt. Diese Gesellschaft soll nun an die Viridium mitsamt der Bestände veräußert werden.

Viridium muss sich allerdings einem Inhaberkontrollverfahren der BaFin stellen. Darin prüft die Aufsichtsbehörde, ob die Interessen der Versicherten ausreichend gewahrt sind, ob das übernehmende Unternehmen über geeignete Strukturen und Pläne zum Fortführen der Bestände verfügt - und ob der Verkauf auch technisch möglich ist. Denn die Übertragung von Verträgen ist oft ein langwieriger und technisch komplizierter Verwaltungsprozess, der sich über mehrere Jahre hinziehen kann.

Nach dem Gesetz habe Viridium 15 Monate Zeit gehabt, das Kontrollverfahren bei der BaFin anzustoßen, nachdem die Öffentlichkeit über die geplante Transformation informiert wurde. Dies sei aber bisher nicht geschehen, berichtet „Versicherungsmonitor“: Obwohl die Zurich ihr Vorhaben bereits am 24. Juni 2022 mit einer Pressemitteilung kommuniziert hat. Ein klares Indiz dafür, dass die Übergabe der Bestände stockt.

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Was aber sind die Gründe dafür? Mehrheitseigner von Viridium ist der Londoner Investor Cinven. Und dem gehört auch der italienische Lebensversicherer Eurovita: ein Anbieter, der seine Verträge vor allem über Bankhäuser vertrieben hat und derzeit vor der Zerschlagung steht. Eurovita ist unter so genannten stillen Lasten nahezu zusammengebrochen. Denn nachdem die Europäische Zentralbank (EZB) die Leitzinsen mehrfach angehoben hatte, verloren die vom Versicherer gehaltenen Staatsanleihen massiv an Wert, da neue Papiere mit höherer Rendite gezeichnet werden können. Auch wenn der Wertverlust nur vorübergehend ist, mussten die Italiener massiv Tafelsilber verscherbeln, um sich frisches Kapital zu beschaffen: und die gehaltenen Anlagen unter Wert verkaufen. Eine Kündigungswelle durch die Kundinnen und Kunden war die Folge.

Eurovita-Kunden kommen nicht an ihr Geld

Warum die BaFin nun daran zweifelt, dass die Interessen der deutschen Versicherungsnehmer ausreichend gewahrt sind, zeigen die weiteren Ereignisse infolge der finanziellen Schieflage. Die italienische Versicherungsaufsicht IVASS hatte Cinven im vergangenen Jahr aufgefordert, rund 400 Millionen Euro frisches Kapital an Eurovita zu geben, damit der Lebensversicherer stabilisiert werden kann. Dazu war der Londoner Investor nicht bereit. Lediglich 100 Millionen Euro flossen: zu wenig aus Sicht der Aufsichtsbehörde. Weil der Versicherer seinen laufenden Verpflichtungen nicht nachkommen konnte, wurden im Februar 2023 alle Guthaben eingefroren. Mit bitteren Konsequenzen: Die Kundinnen und Kunden bekommen ihre privaten Renten derzeit nicht ausgezahlt.

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Hier regen sich laut den Medienberichten bei der BaFin Zweifel, ob eine Private-Equity-Gesellschaft geeignet ist, große Lebensversicherungs-Bestände zu betreuen. Schließlich hängt daran die private Altersvorsorge vieler Deutscher. Trotz der Probleme wollen beide Seiten an der Transaktion festhalten. “Der Prüfprozess ist zum jetzigen Zeitpunkt aufgrund der Eurovita-Situation komplex. Wir sind in konstruktiven Gesprächen mit der Bafin und arbeiten weiterhin an einer Lösung entsprechender Anforderungen an einer Genehmigung“, zitiert das Versicherungsjournal eine Viridium-Sprecherin. Zuvor allerdings hatte die BaFin alle Bestandsübertragungen auf Viridium genehmigt. Der Run-off-Spezialist wickelt 3,6 Millionen Verträge ab, darunter die Bestände der ehemaligen Generali Leben.

Verbraucherschützer sehen es kritisch, dass die deutschen Lebensversicherer vermehrt eigene Bestände an externe Run-off-Dienstleister abgeben: Versicherer also, die kein Neugeschäft mehr betreiben, sondern existierende Bestände nur noch abwickeln. Zwar räumt die Verbraucherzentrale Hamburg (VZHH) ein, dass Kundinnen und Kunden zunächst von schlanken Prozessen und einer leistungsstarken IT profitieren, wenn Bestände überschrieben werden. Doch neue Eigentümer seien oft Finanzinvestoren. „Investoren wollen vor allem eines: Geld verdienen. Und so befürchten wir, dass sie das Geld lieber in die eigene Tasche stecken und die Versicherten am Ende in die Röhre gucken. Es kann natürlich auch ganz anders kommen“, positionieren sich die Hanseaten durchaus polemisch.

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Auch Versicherungsmakler lehnen externe Run-offs mehrheitlich ab, wie eine Umfrage unter 7.000 Vermittlern aus dem Jahr 2019 zeigt. Auf die Frage: „Würden Sie Ihren Kunden einen Versichererwechsel empfehlen, wenn er über seinen vollen angesparten Vertragswert (den Run-off-Übertragungswert) uneingeschränkt verfügen könnte?“, antwortete mehr als jeder zweite Makler (54 Prozent) mit "ja". Nur 17 Prozent verneinten, dass sie zu einem Wechsel raten würden, weitere 29 Prozent gaben an, sie könnten den Sachverhalt nicht beurteilen.

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