Seine Fleißarbeit ist in der Branche gefürchtet: Seit 2011 bewertet der Finanzwissenschaftler Hermann Weinmann die zwölf größten Lebensversicherer in einem umfangreichen Bilanzcheck. Dabei trägt er allerlei Datenmaterial zusammen, blickt auf den Status Quo der Branche, analysiert drohende Risiken und Zukunftsszenarien. Die Analysen werden in der „Zeitschrift für Versicherungswesen“ (ZfV) veröffentlicht: Der aktuelle Aufsatz ist so umfangreich, dass er auf zwei Hefte aufgeteilt werden muss. Teil eins der jüngsten Analyse erschien in ZfV 18|2023 vom 15. September 2023. Untersucht werden ausschließlich Versicherer, die noch Neugeschäft betreiben.

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Steigende Zinsen - zum Nutzen der Lebensversicherer?

Weinmann selbst bezeichnet sich als „Anhänger einer verbraucherorientierten Betriebswirtschaftslehre“. Entsprechend fließen nicht nur betriebswirtschaftliche Kennzahlen in die Analyse ein: Konkret sind dies die Ertragskraft, die Betriebskosten, die Bewertungs- und Schadenreserven sowie der Nettozugang an Versicherungsverträgen. Zusätzlich wird auch eine Verbrauchernote gewichtet. Hier fließt ein, ob und wie der Versicherer die Kundinnen und Kunden an den Erträgen beteiligt sowie die Solvenzquote: Mit ihr müssen die Versicherer gegenüber der Aufsichtsbehörde BaFin nachweisen, dass sie über genügend Eigenmittel verfügen, um Extremszenarien wie Massenkündigungen oder eine erneute Finanzkrise zu überstehen.

Beim Blick auf den Markt sieht Weinmann Licht und Schatten. Die Versicherungswirtschaft habe wiederholt kommuniziert, dass sie von den steigenden Zinsen am Kapitalmarkt profitiere: Die Europäische Zentralbank (EZB) hat als Reaktion auf die hohe Inflation den Leitzins mehrfach angehoben, zuletzt auf 4,5 Prozent. Dadurch können die Versicherer wieder festverzinsliche Wertpapiere mit höheren Renditen abschließen, in der Regel Staatsanleihen von Ländern mit guter Bonität. Außerdem müssen sie weniger Geld in die Zinszusatzreserve (ZZR) stecken.

Diese Entwicklung hat allerdings eine Kehrseite: die so genannten stillen Lasten. Langlaufende Kapitalanlagen, die in Zeiten niedriger Zinsen abgeschlossen wurden, verlieren vorübergehend an Wert, weil am Kapitalmarkt neue Anleihen mit höheren Renditen abgeschlossen werden können. Das ist kein Problem, wenn die Versicherer die Anlagen bis zur Fälligkeit halten: Sie haben einen fest vereinbarten Endwert. Anders sieht es aus, wenn die Versicherer gezwungen sind, sich frisches Kapital zu beschaffen und ihr Tafelsilber regelrecht zu verscherbeln. Dann müssen diese Kapitalanlagen mit Wertverlust verkauft werden.

Diese stillen Lasten machen sich bei den Versicherern bereits deutlich bemerkbar. Bei der Allianz Leben betragen sie sechs Prozent des Buchwerts der Kapitalanlagen, was noch vergleichsweise wenig ist. Anders sieht es bei der Württembergischen Leben, der Debeka und dem Rating-Schlusslicht Cosmos Leben aus. Hier summieren sich die stillen Lasten bereits auf über 17 Prozent des Buchwerts der Kapitalanlagen.

Reform der Riester-Rente: Wären die Lebensversicherer (selbstverschuldete) Verlierer?

Ein weiteres Problem: „Die Frage stellt sich, ob ein „Storno-Run“ in der Lebensversicherung ausgeschlossen werden kann“, schreibt Weinmann. Mit anderen Worten: Ob die Versicherer vermehrt Kündigungen bestehender Verträge fürchten müssen. Nicht vollständig sei dies auszuschließen, so die wenig befriedigende Antwort. Denn mit den steigenden Zinsen haben die Kundinnen und Kunden auch wieder lukrativere Anlage-Alternativen. Befeuert wird ein möglicher Bedeutungsverlust der Lebensversicherung durch anstehende Rentenreformen. So soll es den Lebensversicherern erlaubt sein, bei staatlich geförderten Altersvorsorgeverträgen nur Teilgarantien zu geben oder sogar auf eine lebenslange Verrentung des angesparten Kapitals zu verzichten: entsprechende Vorschläge unterbreitet eine Expertenkommission der Bundesregierung, die sogenannte Fokusgruppe private Altersvorsorge.

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Damit würde aber auch ein wichtiges Argument für den Abschluss einer Lebensversicherung wegfallen: die vermeintliche Sicherheit, bis ans Ende des Lebens eine garantierte Rente zu erhalten. "Gewinner wird das Altersvorsorgedepot sein, insbesondere auch, wenn bestehende Anlagen eingebracht werden können. Ob den Lebensversicherern damit gedient ist, dass der Verrentungszwang gelöst und ein höherer Kapitalverzehr möglich wird, muss in Zweifel gezogen werden“, so Weinmann. Er warnt: "Eine wichtige Säule des Konstrukts Rentenversicherung und der Alterssicherung wird weggerissen. Die Stabilität für die Versicherten nimmt ab, und die Beliebigkeit der Vorsorge und insbesondere der Versorgung nehmen zu".

Welche Lebensversicherer gut dastehen

Beim Blick auf die einzelnen Anbieter ist die Allianz Leben der einzige Versicherer, der mit „sehr gut“ abschneidet. Auch Deutschlands mit Abstand größter Lebensversicherer hat freilich nicht nur erfreuliche Zahlen vorzuweisen. Hatten die Münchener bereits im Vorjahr ein Minus von 16,0 Prozent an Bruttobeitragseinnahmen zu beklagen, so schrumpften die Beiträge auch im Jahr 2022 um 7,8 Prozent. Dies könne aber auch „Ausdruck einer vorausschauenden Geschäftspolitik“ sein, schreibt Weinmann: Gewinn habe höhere Priorität als Umsatz.

Grundsätzlich schrumpften die Bruttobeitragseinnahmen der zwölf größten Lebensversicherer: von 62,0 Milliarden auf 57,5 Milliarden Euro. Damit halten die im Neugeschäft aktiven Top 12-Lebensversicherer einen Marktanteil in Höhe von 62,0 Prozent, denn das Marktvolumen der deutschen Lebensversicherer für 2022 bezifferte der Dachverband GDV auf 92,8 Milliarden Euro. Lediglich die Alte Leipziger Leben (plus 2,2 Prozent) und die Generali Deutschland Leben (+2,1 Prozent) konnten im abgelaufenen Geschäftsjahr im Konzert der Großen Beitragszuwächse verzeichnen. Alle anderen Versicherer büßten ein: am deutlichsten die Württembergische Leben (-17,4 Prozent), die Bayern-Versicherung (-16,3 Prozent) und die Cosmos Leben (-15,5 Prozent).

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Beim Netto-Neuzugang stellt Weinmann die neu abgeschlossenen Versicherungsverträge den Rückkäufen, Beitragsfreistellungen und sonstige vorzeitige Abgänge gegenüber. Auch hier ist die Allianz Leben mit einer Abriebquote von 29,2 Prozent am besten aufgestellt: kein anderer Versicherer kann diese unterbieten. Anders die Zurich, die drei Viertel ihres Neugeschäfts anhand von Abgängen wieder einbüßt. Bei der Allianz fällt allerdings negativ auf, dass kein anderer Versicherer seine Kundinnen und Kunden so niedrig am Rohüberschuss beteiligt. „Nur“ 64,9 Prozent wird den Sparenden hier gutgeschrieben. Hierbei muss aber auch bedacht werden, dass es von der Höhe des erwirtschafteten Rohüberschusses eines Versicherers abhängt, wie viel die Kundinnen und Kunden erhalten.

Während es in den letzten Jahren Punktabzug gab, wenn Versicherer ihre Kundinnen und Kunden gering am Rohüberschuss beteiligt haben, wurde die Benotung nun geändert: Wer seine Kundinnen und Kunden umfangreich am Rohüberschuss beteiligt und eine starke Solvenzquote vorzeigen kann, erhielt bis zu 100 Zusatzpunkte. Die volle Punktzahl konnten hierfür die Alte Leipziger Leben, die Debeka Leben und die R+V Leben einsammeln. Für die Bayern-Versicherung und die Cosmos Leben gab es immer noch 50 Extrapunkte. Alle anderen gingen leer aus. Bei der Cosmos Leben wurden aber zugleich die 100 Punkte wieder abgezogen: Als einziger Versicherer im Teilnehmerfeld konnte sie nicht den von der BaFin geforderten Solvenzkapitalbedarf erfüllen. Bei der Debeka und der R+V fiel zudem die hohe Abriebquote auf, was das insgesamt sehr positive Gesamtbild beider Versicherer schmälert.

Letztendlich weist Weinmann in seiner Studie zwei Ergebnis-Tabellen aus: eine für die Betriebswirtschaftliche Beurteilung und eine für Betriebswirtschaft und Verbraucherbelange (verbraucherorientierte Betriebswirtschaft). Maximal waren 1.000 Punkte erreichbar. Hier sollen die Ergebnisse für die verbraucherorientierte Tabelle wiedergegeben werden:

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  • Allianz Leben (800 Punkte, Note „sehr gut“: 1,3)
  • Alte Leipziger Leben (600 Punkte, Note „gut“: 1,7)
  • Axa Leben (650 Punkte, Note „gut“: 2,0)
  • Debeka Leben (550 Punkte, 100 Extrapunkte Versichertenteilhabe, Note „gut“: 2,0)
  • R+V Leben (550 Punkte, 100 Extrapunkte Versichertenteilhabe, Note „gut“, 2,0)
  • Nürnberger Leben (550 Punkte, Note „befriedigend“: 2,7)
  • HDI Leben (550 Punkte, Note „befriedigend“: 2,7)
  • Zurich Deutscher Herold (450 Punkte, Note „befriedigend“: 3,3)
  • Bayern-Versicherung (400 Punkte, 50 Extrapunkte Versichertenteilhabe, Note „befriedigend“: 3,3
  • Generali Leben (400 Punkte, Note „ausreichend“: 3,7)
  • Württembergische Leben (400 Punkte, Note „ausreichend“: 3,7)
  • Cosmos Leben (350 Punkte, 50 Extrapunkte Versichertenteilhabe, Note „knapp ausreichend“: 4,3)

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