Das Thema Rente und deren Finanzierung war und ist ein heißes Eisen. Während viele Rentenexperten wie etwa Ökonom Bernd Raffelhüschen oder der Wirtschaftsweise Martin Werding vor der Schieflage des Rentensystems warnen und dringenden Reformbedarf sehen, fürchten Politiker seit Jahren Neuerungen bei der Rentenversicherung wie der Teufel das Weihwasser. Soll die Rente im blümschen Sinne sicher bleiben, braucht es dringend schmerzhafte Wahrheiten und auch ein höheres Renteneintrittsalter.

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Dabei ist die Rechnung einfach: Immer weniger Beitragszahlende stehen immer mehr Rentnern gegenüber. 1957 haben sechs Beitragszahlende einen Rentner gestemmt. Derzeit sind es gerade mal 1,8 Erwerbstätige, die einen Rentner finanzieren. Bis 2050 wird sich das Verhältnis auf nur noch 1,3 minimieren.

Nach aktueller Rechtslage wird die Altersgrenze für die Rente ohne Abschläge bis 2031 schrittweise von 65 auf 67 Jahre angehoben. Ganz untätig ist die Politik indes nicht. Noch während der Sommerpause wollen Bundesarbeitsministerium (BMAS) und Bundesfinanzministerium (BMF) gemeinsame Pläne für das sogenannte Rentenpaket II vorlegen. Den Plänen zufolge soll die sogenannte 1. Haltelinie - das Mindestrentenniveau - über das Jahr 2025 hinaus verlängert werden. Diese Linie sichert ein Rentenniveau von 48 Prozent. Die Festschreibung des Beitragssatzes zur gesetzlichen Rentenversicherung bei unter 20 Prozent soll hingegen nicht nach 2025 fortgesetzt werden. Heißt: Die Bundesregierung rückt von ihrer bisherigen Strategie der ‚doppelten Haltelinie‘ ab.

Forderungen nach höherem Renteneintrittsalter

Zuletzt hatte der Wirtschaftsweise Martin Werding eine Anhebung des Rentenalters ins Spiel gebracht. „Wir brauchen ein höheres Rentenalter", sagte Werding der "Süddeutschen Zeitung". Auch nachdem das Renteneintrittsalter bis 2031 auf 67 Jahre erhöht worden sei, müsse es weitergehen, um die steigende Lebenserwartung auszugleichen. „Das Rentenalter sollte bis 2042/43 auf 68 Jahre steigen und bis 2054/55 auf 69“, so der Ökonom.

Auch der ehemalige Bundesfinanzminister Theo Waigel hält die Verlängerung der Lebensarbeitszeit für „unabdingbar“. Gleichwohl verwies der CSU-Ehrenvorsitzende im Interview mit dem Nachrichtenmagazin "Focus" darauf, dass längeres Arbeiten nicht für jede Berufsgruppe in Frage komme: „Wir werden zu einem System kommen müssen, in dem es flexible Regelungen gibt. Wenn jemand früher aufhören will oder muss, dann nimmt er auch einen gewissen Rentenabschlag in Kauf. Wenn jemand länger arbeitet, hat er einen Vorteil. Ich glaube, wir brauchen ein variables System, aber insgesamt mit einer Verlängerung der Lebensarbeitszeit.“

In eine ähnliche Richtung geht der Vorschlag von Ökonom Hans-Werner Sinn. Der ehemalige Präsident des Ifo-Instituts schlägt eine flexiblere Gestaltung des Renteneintrittsalters vor. Schließlich seien Menschen im Alter heute sehr viel gesünder als früher. Ergo sei auch die Lebenserwartung und verbunden damit auch die Rentenzeit gestiegen. Als Beispiel für eine Aufweichung der Regelung empfiehlt der ehemalige Wirtschaftsweise gegenüber der "Rheinischen Post" einen Blick ins Ausland. „In einer Reihe wichtiger Länder, so zum Beispiel den USA und Schweden, gibt es deshalb kein gesetzliches Rentenalter. Jeder kann so lange arbeiten, wie er will.“

Eine kompletter Abschied vom gesetzlichen Renteneintrittsalter dürfte in Deutschland eher nicht kommen. Folglich müssen alternative Ansätze gefunden werden. Anfang des Jahres hatte Rentenexperte Bernd Raffelhüschen vier Vorschläge zur Verbesserung der Rente in Deutschland ins Spiel gebracht. Die Wiedereinführung des Nachhaltigkeitsfaktors, die Absenkung des Rentenniveaus auf 40 bis 41 Prozent und die Anhebung des Renteneintrittsalters nach 2030 auf 68 oder 69 Jahre sowie die Einführung eines Lebenserwartungsfaktors in die Rentenformel. Überdies sollten Rentner, die an der Armutsgrenze leben, mehr Hilfestellungen bekommen. Beispielsweise „indem sie auch länger arbeiten“. Raffelhüschen will das als Hilfe zur Selbsthilfe verstanden wissen.

Renteneintrittsalter alle acht Jahre anheben

Wirtschaftswissenschaftler Sinn sieht in der Aufweichung des Renteneintrittsalter eine pragmatische Lösung. Wenn man „unbedingt ein gesetzliches Rentenalter mitsamt der darin liegenden Diskriminierung der Älteren beibehalten“ will, müsste dieses parallel zum durchschnittlichen Sterbealter angehoben werden. Da die Lebenserwartung alle acht Jahre um etwa ein Jahr zunehme, „könnte man das gesetzliche Rentenalter alle acht Jahre um ein Jahr erhöhen“, so der Ökonom.

Die Idee der Abschaffung des gesetzlichen Renteneintrittsalters besteht bei Sinn nicht erst seit gestern. Bereits vor gut neun Jahren schlug der Volkswirtschaftler eine flexiblere Gestaltung des Renteneintrittsalters vor. Damals schrieb er in einem Gastbeitrag in der "Wirtschaftswoche": „Die Politik sollte ernsthaft darüber nachdenken, die feste Altersgrenze für die Beendigung des Arbeitslebens vollständig aufzuheben und gegenüber dem Arbeitgeber einen Rechtsanspruch auf Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses zu gleichen Bedingungen zu ermöglichen" Zwar richtete sich seine Kritik damals vor allem in Richtung Rente mit 63. Die seinerzeit angesprochenen Probleme haben uns inzwischen eingeholt. Sinn nannt die Rente mit 63 anno 2014 "volkswirtschaftlich gesehen einen Flop". Dabei spielte er insbesondere auf die Kosten der Frühverrentung an.

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