Nachdem die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) die deutschen Lebensversicherer einen umfassenden Marktcheck unterzogen hatte, kritisierte sie die Branche scharf: Bei bestimmten Produkten seien die Kosten so hoch, dass der Kundennutzen möglicherweise nicht gegeben sei - und die Verträge gar nicht erst für die Altersvorsorge hätten zugelassen werden dürfen. Die Folge waren neue Wohlverhaltensregeln, die die Behörde vor wenigen Wochen in Form eines Merkblattes präsentierte. Der Tenor: Versicherer mit auffallend hohen Kosten müssen aufsichtsrechtliche Maßnahmen fürchten.

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Risikoorientierter Ansatz

Was das bedeutet und worauf sich die Versicherer künftig einstellen müssen, hat die BaFin nun mit einem Anhang zum Merkblatt konkretisiert. Darin beschreibt sie auch näher, ab wann die Lebensversicherer mit einer erweiterten Aufsicht rechnen müssen. Hierbei verfolgt die Finanzaufsicht einen risikoorientierten Ansatz: Sie nimmt verschiedene Risikoindikatoren in den Blick, um eventuelle schwarze Schafe der Branche zu identifizieren.

Für diese Risikoindikatoren werden sowohl Daten der einzelnen Unternehmen als auch der Branche insgesamt herangezogen, wie die Behörde weiter konkretisiert. Diese Daten sollen regelmäßig aktualisiert und abgefragt werden. „Das aufbereitete Datenmaterial zieht die BaFin heran, um – risikoorientiert - zu entscheiden, ob eine nähere Befassung im Einzelfall eines konkreten Unternehmens angezeigt erscheint“, schreibt die BaFin im Anhang zum Merkblatt. Es fällt auf, dass hierfür keinesfalls nur die Kosten der Lebensversicherer herangezogen werden. Weitere Kriterien sollen mitentscheiden, ob sich ein Versicherer gegenüber der Behörde verantworten muss:

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  • Die Effektivkosten / Reduction in Yield: Effektivkosten bilden stark vereinfacht ab, wie stark die jährliche Rendite der Anlageprodukte durch die anfallenden Kosten gemindert wird.
  • Vergütungszahlungen an / Aufwendungen für Versicherungsvermittler: Auch die konkreten Provisions- und Courtagezahlungen der Versicherer an die Vermittler nimmt die BaFin in den Blick. Hierbei werden die mit jährlich drei Prozent diskontierten Aufwendungen der Versicherer an Vermittler ins Verhältnis zur undiskontierten Beitragssumme gesetzt. Als Beitragssumme wird die im Neugeschäft für die gesamte Vertragslaufzeit vermittelte vertragliche Beitragssumme (ohne zukünftige Dynamikerhöhungen oder Einrechnung möglicher Kündigungen) zugrunde gelegt.
  • Zu- und Abgänge im Verhältnis zur Zahl der Verträge und der Versicherungssumme p.a.: Stark vereinfacht will die BaFin unter die Lupe nehmen, ob sich bei einem Versicherer überproportional viele Kundinnen und Kunden vorzeitig von ihren Verträgen trennen. Auch das kann ein Indiz sein, dass die Produkte für den Zielmarkt untauglich sind. Hierfür wird die sogenannte Versicherungsberichterstattungs-Verordnung (BerVersV) zugrunde gelegt.
  • Abschluss- und Verwaltungskosten im Verhältnis zu den verdienten (Brutto-)Beiträgen p.a.: Auch die Abschluss- und Verwaltungskosten der Versicherer will die BaFin auswerten. Hinsichtlich der Abschlusskosten gilt es zu bedenken, dass neben den Vermittlervergütungen weitere Kosten entstehen, die sich von Versicherer zu Versicherer stark unterscheiden können, zum Beispiel für Werbung und Marketing oder die Bearbeitung der Anfragen und Anträge.
  • Wertentwicklung der fondsgebundenen Kapitalanlagen: Die BaFin wirft ein Auge darauf, wie die Fonds performen, die den Kundinnen und Kunden bei fondsgebundenen Verträgen angeboten werden. Für Kritik hatten diesbezüglich Kickback-Zahlungen von Fonds an Versicherer gesorgt. Stark vereinfacht lassen sich die Versicherer dafür vergüten, dass sie bestimmte Fonds vermitteln: Das kann Fehlanreize setzen, wonach Fonds mit hohen Kickbacks, aber schlechter Performance bevorzugt werden. Für dieses Kriterium werden die Nettoerträge fondsgebundener Versicherungen im Verhältnis zum mittleren Kapitalanlagebestand (Mittelwert aus Anfangs- und Endbestand) ermittelt.

Schlechtestes Viertel des Marktes gerät in Fokus der Aufsicht

Die BaFin hatte bereits kommuniziert, dass sie die Ausreißer der Branche näher beaufsichtigen will: Versicherer also mit besonders hohen Kosten. Wer nicht dazu gehört, muss keine aufsichtsrechtlichen Maßnahmen fürchten. Um diese Ausreißer festzustellen, gleicht die Behörde die Kosten der einzelnen Anbieter mit dem Branchenschnitt ab:

Die BaFin betrachtet die meistverkauften Produkte eines Versicherers im Neugeschäft eines Jahres und ermittelt aus den Kosten aller Versicherer einen Medianwert: stark vereinfacht den Wert, der genau in der Mitte der Datenverteilung liegt. Bei den Effektivkosten und der Vermittlervergütung rückt nun das 75-Prozent-Quantil in den Fokus der Aufsicht. Das ist das schlechteste Viertel aller Lebensversicherer, also jene Anbieter, deren Kosten überdurchschnittlich hoch sind. Klassische und fondsgebundene Produkte gegen laufenden Beitrag werden hierbei in verschiedenen Varianten nach Eintrittsalter des Kunden und Vertragslaufzeit betrachtet, Produkte gegen Einmalbeitrag nach unterschiedlichen Eintrittsaltern.

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Das bedeutet im Umkehrschluss auch, dass es keine festen Grenzwerte für „Ausreißer“ gibt, sondern dass sich die zulässigen Kosten eines Versicherers an der Entwicklung des Marktes orientieren. Neben dem Median und dem schlechtesten Viertel der Versicherer weist die BaFin als Maßstab auch ein 25-Prozent-Quantil aus: also das beste Viertel der Anbieter mit den niedrigsten Kosten.

Die bereits erhobenen Daten für das Jahr 2021 zeigen, welch gewaltige Unterschiede es hier gibt. Beispiel fondsgebundene Sparprodukte: im Schnitt mussten Kundinnen und Kunden 11,83 Prozent des Bruttobeitrages allein für Abschlussaufwendungen zahlen. Im 25-Prozent-Quantil mit den besten Kosten bezifferten sich die Aufwendungen jedoch nur auf 3,22 Prozent, im Median auf 10,79 Prozent und im schlechtesten Viertel, dem 75-Prozent-Quantil, auf 14,53 Prozent. Aufsichtsrechtliche Maßnahmen ergreift die BaFin aber nur, wenn auch der Wert des schlechtesten Quartils gerissen wird, die Versicherer in diesem Fall also mehr als 14,53 Prozent berechnen.

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Die BaFin hat den Anhang mit Erklärungen zum risikoorientierten Aufsichtsansatz auf ihrer Webseite veröffentlicht. Ebenfalls veröffentlicht wurde Datenmaterial zum risikoorientierten Ansatz, das neben Rechenbeispielen konkreten Einblick in die Kosten der Branche 2021 bietet.

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