Versicherungsbote: Der Industrieversicherer QBE hat angekündigt, seine Führungspositionen bis 2025 zu 40 Prozent mit Frauen zu besetzen. Nun könnte man einwenden: paritätisch ist das immer noch nicht. Warum tun sich Versicherer mit weiblichen Führungskräften so schwer - und was sind die Vorteile von mehr Frauenpower im Vorstand?

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Andrea Brock: Wie bei allem gilt, wenn man sich Ziele setzt, müssen diese auch SMART sein. Wir werden die Vergangenheit nicht in wenigen Jahren aufholen können, daher ist die Quote von 40 Prozent für uns ein wichtiger Schritt und schon sehr ambitioniert.

Dabei sollte es nicht um mehr Frauenpower gehen, sondern darum, in Gremien und in allen Belangen innerhalb einer Organisation eine gesunde Balance von verschiedenen Ansichten, Meinungen und Ideen abzubilden. Frauen müssen nicht mehr Power haben, diese Diskussion oder Wertung von vermeintlichen Attributen finde ich einfach nicht zielführend.

In Deutschland ist die Hälfte der Mitarbeiter bei Versicherern weiblich, wie Zahlen des Arbeitgeberverbandes der Versicherer zeigen. Aber lediglich acht Prozent der obersten Führungspositionen bei führenden Versicherern werden von Frauen besetzt, wie eine Auswertung von Heidrick & Struggles ergab. Damit ist Deutschland auch international ein Schlusslicht. Welche Gründe spielen aus Ihrer Sicht eine Rolle, dass Versicherer-Vorstände hierzulande derart männlich dominiert sind?

Wir müssen hier über die Wurzel der Problematik sprechen. Was uns fehlt und wo wir als Branche in der Vergangenheit einfach keinen guten Job gemacht haben, ist ein gesundes Fundament in den Führungsebenen eins bis vier aufzubauen. Wenn der Talentpool in diesen Bereichen „kleiner“ ist, ist auch die Auswahl an potentiellen Kandidatinnen kleiner. Das Thema Gender Diversity hat in den vergangenen Jahren viel Medienpräsenz erlebt. Auf Führungsebene 1 im Betrachtungszeitraum 2011 bis 2016 sehen wir immerhin einen Sprung von 5,1 Prozent. Im Zeitraum 2016 bis 2021 sind es nur noch 3,6 Prozent auf einen Gesamtanteil von 18,8 Prozent. Wir sind eine sehr spezialisierte Branche, sodass wir gerade im Vorstand und Aufsichtsrat Personen brauchen, die Fachexpertise mitbringen. Daher gilt es, unsere Branche und auch Führungspositionen für Frauen noch attraktiver zu gestalten. Wir haben viele und sehr gut qualifizierte Frauen in unserer Branche, aber noch nicht genug, um das Problem kurzfristig zu lösen.

…und führen Frauen anders? Oder ist das ein Klischee? Setzen Frauen vielleicht auch andere Schwerpunkte und Themen?

Ich glaube nicht, dass Frauen anders führen, aber sie setzen häufig andere Schwerpunkte. Mir ist es zum Beispiel sehr wichtig, dass alle Unternehmensbereiche offen miteinander kommunizieren, damit alle Mitarbeitenden das „große Ganze“ verstehen können. Dazu gehört es auch, sich die Zeit zu nehmen, Zusammenhänge zu erklären und zu erläutern. Ich glaube, dass wir als Führungskräfte oftmals die Komplexität unserer Kommunikation unterschätzen und zu viel von den Mitarbeitenden erwarten.

Eine gelebte Unternehmenskultur ist mir ebenfalls wichtig – und das schaffe ich kaum durch viele bunte Bilder an der Wand. Kultur erfordert sehr viel Arbeit und Aufmerksamkeit, macht ein Unternehmen aber langfristig deutlich resilienter.

Ein wiederkehrendes Thema ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf: noch immer übernehmen Frauen zu weit größeren Anteilen die Kindererziehung und die Pflege Angehöriger. Mit welchen konkreten Maßnahmen können Versicherer hier Vorständinnen besser unterstützen, damit Karriere und Familie keine Widersprüche sind?

Der Gender Pay Gap ist für mich hierbei das zentrale Thema und mit meinen Ausführungen zu Frauenquoten verzahnt. Wenn eine Familie sich für Kinder entscheidet, finde ich es absolut nachvollziehbar, dass auch ökonomische Aspekte in die Überlegung der Kinderbetreuung mit einfließen. Die Plattform kununu hat dazu im März letzten Jahres eine Analyse vorgelegt. Danach wächst der Gender Pay Gap mit steigender Berufserfahrung in den Branchen Versicherung und Gesundheit/Soziales/Pflege am stärksten. In unserer Branche steht der Gender Pay Gap aktuell auf 21 Prozent bei einer Berufserfahrung von 6 bis 10 Jahren. Wie sollen wir also für mehr weibliche Führungskräfte sorgen, wenn durch die Entscheidung für die Familiengründung bereits ein eklatanter wirtschaftlicher Unterschied entsteht?

Wenn ich richtig informiert bin, stehen im Führungsteam der deutschen QBE-Niederlassung sieben Männer zwei Frauen gegenüber. Wie wollen Sie diese selbst gesteckte Frauenquote denn erreichen?

Wir haben diese Herausforderung nicht nur im Führungsteam. Auch im Underwriting und Operations erreichen uns wenig bis keine Bewerbungen weiblicher Kandidatinnen auf offene Positionen. Der Markt an Fach- und Führungskräften steht allgemein derzeit schon sehr unter Druck und weniger Frauen machen die Besetzung von offenen Positionen daher nicht einfacher. Um uns dem anzunehmen, haben wir daher im September 2022 die Initiative FidI „Frauen in der Industrieversicherung“ angestoßen. FidI ist ein Netzwerk von Frauen in der Industrieversicherung, dass sich genau diesen Themen annimmt. Wir arbeiten unternehmensübergreifend an den Themen Mentoring, Nachwuchsförderung und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, denn diese Herausforderungen können wir nur gemeinsam als Industrie lösen.

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Die Fragen stellte Mirko Wenig

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