Bei schwerer Behinderung drohen steigende Beiträge in der privaten Krankenversicherung (PKV), obwohl viele Betroffene zugleich einen großen Teil ihres Einkommens verlieren. Aus diesem Grund ermöglicht der Gesetzgeber, unter bestimmten Bedingungen aus der PKV in die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) zurückzukehren. Grundlage ist Paragraf 9 Abs. 1 Nummer 4 des 5. Sozialgesetzbuchs (SGB V), der einen Behinderungsgrad von mindestens 50 Prozent festschreibt. Jedoch: Der Paragraf definiert für die Rückkehr zu einer gesetzlichen Krankenversicherung auch Hürden und Schranken.

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So regelt Absatz zwei des Paragrafen eine Anzeige-Frist: Der Beitritt ist der gesetzlichen Krankenkasse innerhalb von drei Monaten nach Feststellung der Behinderung anzuzeigen. Auch muss die behinderte Person, ein Elternteil, der Ehegatte oder Lebenspartner in den letzten fünf Jahren vor dem Beitritt mindestens drei Jahre in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert gewesen sein. Die Bedingungen können nur ausgehebelt werden unter dem Beweis: Die Behinderung selbst verhinderte eine Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung.

Altersgrenzen: Kassen dürfen unüberwindbare Schranken schaffen

Noch folgenreicher aber ist eine Bedingung, die der Gesetzgeber – trotz seines Anliegens einer Unterstützung von Schwerbehinderten – den Kassen ermöglicht: per Satzung haben diese das Recht, den Beitritt von einer Altersgrenze abhängig zu machen. Viele Kassen nutzen dies rigoros: sie setzen die Grenze extra niedrig an, um möglichst vielen Behinderten die Rückkehr in die GKV zu verbauen. Das zeigen aktuelle Zahlen der Tarifwechsel-Experten von KVoptimal.

Negativrekord erlaubt Rückkehr nur bis 29

Der Negativrekord liegt aktuell bei 29 Jahren – gesetzt durch die Mobil Krankenkasse (ehemals BKK Mobil Oil), die Continentale BKK und die pronova BKK. Sind Versicherte älter, dürfen sie trotz Schwerbehinderung nicht mehr zu den Bedingungen von Paragraf 9 SGB V in die Kasse aufgenommen werden. Aber auch die BKK Linde handelt mit einer Grenze von 30 Jahren besonders rigoros: hier kann man höchstens noch bis zum Ende des 30. Lebensjahrs in die GKV zurückkehren zu Bedingungen des Paragrafen 9 SGB V, nicht aber darüber hinaus.

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Aber auch weitere Krankenkassen setzen das Alter äußerst niedrig – unterhalb von 40 Jahren – an. So liegt die Grenze gleich mehrerer Krankenkassen bei niedrigen 34 Jahren: Sowohl die BKK firmus als auch die Vivida BKK (einst Schwenninger BKK) als auch die Energie BKK oder die IKK gesund plus erlauben ab dem 35. Lebensjahr keine Rückkehr der Schwerbehinderten mehr. Noch beliebter ist eine Grenze mit 39 Jahren – hier setzen gleich acht Kassen eine Schranke. Betroffen sind:

  • AOK Niedersachsen
  • AOK Sachsen Anhalt
  • Bertelsmann BKK
  • BKK Bahn
  • BKK ProVita
  • mhplus BKK
  • Salus BKK
  • WMF BKK

Verweigern die Kassen die Solidarität?

Neben jenen Krankenkassen, die eine Rückkehr nur jenen Menschen U40 ermöglichen, gibt es noch eine Krankenkasse, die das 40. Lebensjahr für ihre Grenze mit einschließt (die BKK Pfalz). Die meisten Kassen aber – nämlich 25 Stück – setzen die Grenze bei 44 Jahren fest. Demnach heben sich schon zwei Kassen positiv ab, die bei 49 Jahren die Altersgrenze setzen – die BKK VerbundPlus sowie die BKK VBU.

Verweigern die Kassen die Solidarität?

Wie aber ist eine solche Praxis einzuordnen? Hierzu verweist KVoptimal- Geschäftsführerin Anja Glorius auf folgende Zahlen:

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  • 79 Prozent der Schwerbehinderten in Deutschland sind älter als 55 Jahre, da eine Schwerbehinderung oft erst im Laufe des Lebens erworben wird.
  • Hingegen sind nur fünf Prozent der Schwerbehinderten zwischen 35 und 45 Jahre alt.

Mit Blick auf solche Zahlen ist es aussagekräftig, dass immer mehr Krankenkassen gegenüber den letzten Jahren ihre Altersgrenze verschärften. Dies bedeutet in der Praxis faktisch immer mehr eine komplette Verweigerung des Zugangs, führt die Geschäftsführerin aus, und fragt: Schafft die GKV die Solidarität ab? In diesem Kontext verweist sie auch darauf, dass die GKV mit 28,5 Milliarden Euro Steuerzuschuss in 2022 gestützt worden sei – schließlich zahlen auch privat Versicherte Steuern, müssten aber für ihre Prämien allein aufkommen, formuliert die Expertin.

Die Frage, die sich bei dieser Praxis stellt, ist aber freilich auch: Warum schafft der Gesetzgeber eine Möglichkeit, die dann die Kassen durch harte Altersgrenzen wieder „kassieren“ dürfen? Dies belohnt ja gerade jene mit einem Wettbewerbsvorteil, die hier die Wechselmöglichkeit besonders rigoros einschränken.

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Was bei Rückkehr in die GKV wegen Schwerbehinderung zu beachten ist

Aber auch, wenn die Rückkehr bei Schwerbehinderung praktisch noch möglich ist, sollten Betroffene einiges beachten, rät Glorius. So sollte man gebildete Altersrückstellungen aus der PKV für eine Zusatzversicherung nutzen. Auch sollte man stets erst dann die PKV kündigen, sobald man die GKV-Mitgliedsbescheinigung hat. Diese und andere Tipps sowie aktuelle Zahlen sind auf der Webseite von KVopitmal verfügbar.

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