„Die schweren globalen Krisen der letzten drei Jahre haben tiefe Spuren in den Bundesfinanzen hinterlassen. Um sie zu bewältigen hat der Bund fast 850 Mrd. Euro neue Schulden vorgesehen. Noch nie wurden in so kurzer Zeit so viele neue Kredite beschlossen“, so der Präsident des Bundesrechnungshofes, Kay Scheller, als Bundesbeauftragter für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung (BWV), anlässlich der Veröffentlichung einer Stellungnahme zur Aufstellung des Bundeshaushalts 2024 und der Finanzplanung bis 2027.

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„In über 70 Jahren Bundesrepublik hat der Bund Schulden von rund 1,3 Billionen Euro angehäuft, mit allen Krisen dieser 7 Jahrzehnte und auch der Wiedervereinigung. Dieser Schuldenberg wächst durch die Beschlüsse der letzten drei Jahren noch einmal um 60 % auf mehr als 2,1 Billionen Euro massiv an. Diese Dynamik und ihre Folgen drohen die Tragfähigkeit der Bundesfinanzen und damit auch die staatliche Handlungsfähigkeit ernsthaft zu gefährden. Permanent in neue Schulden auszuweichen, ignoriert die Realität und übergeht die Interessen vor allem der jungen Generation. Für stabile Bundesfinanzen bedarf es jetzt klarer, kluger und auch schmerzhafter Entscheidungen.“

Der gewaltige Schuldenberg, seine Zinslasten und Tilgungsverpflichtungen treffen auf einen riesigen Modernisierungs- und Nachholbedarf bei Infrastruktur, Verteidigung, Digitalisierung und Klimaschutz sowie den demografischen Wandel und steigende Kosten in den Sozialversicherungen. Unter dem Strich sind große Teile des Bundeshaushalts bereits gebunden, seine Krisenfestigkeit wird immer geringer. „Nach der Krise ist vor der Krise!“, so Scheller. „Künftige Krisen können nur mit tragfähigen Staatsfinanzen gemeistert werden. Nur so kann der Bund auch in schwierigen Lagen die Kontrolle behalten und kommenden Herausforderungen begegnen“.

Um weiter das Heft des Handelns in der Hand zu halten, müssen Bundesregierung und Parlament aus Sicht des BWV jetzt:

  • die Dynamik der Neuverschuldung stoppen,
  • ein Reporting zu den steigenden Zinsausgaben einführen,
  • die Belastung künftiger Generationen durch eine schnellere Tilgung der Krisenkredite reduzieren,
  • in den Bund-Länder-Finanzbeziehungen eine Entlastung des Bundes durchsetzen,
  • die Entkernung des Bundeshaushalts durch die Flucht in Sondervermögen rückgängig machen und
  • die vom Bundesminister der Finanzen auch für die Haushaltspolitik angekündigte „Zeitenwende“ umsetzen, und über eine Bestandsaufnahme alle Einnahmen und Ausgaben auf den Prüfstand stellen und neu priorisieren. Konkret schlägt der BWV u.a. vor,
    • das strukturelle Kernproblem „Versteinerung“ aufzulösen und Haushaltspolitik nicht kurzfristig zu denken,
    • den Bundeshaushalt konsequent auf Kernaufgaben des Bundes und wichtige Zukunftsfelder auszurichten,
    • die Ausgaben von konsumtiven zu investiven mit Zukunftswirkung zu verlagern,
    • keine neuen Maßnahmen ohne Klärung ihrer langfristigen Finanzierungsmöglichkeit zu beschließen,
    • langfristige Tragfähigkeitskonzepte für alle Sozialversicherungszweige zu entwickeln.

Zum letztgenannten Punkt äußert sich Scheller detaillierter in seiner Stellungnahme. Darin heißt es: „Für alle Sozialversicherungszweige sollten langfristige Tragfähigkeitskonzepte entwickelt werden. Sie sollten perspektivisch auf eine Verringerung der Bundeszuschüsse abzielen. Bis zum Vorliegen der Konzepte sollten die Bundeszuschüsse eingefroren werden, um den erforderlichen finanziellen 'Druck' für Reformen aufzubauen.“

Für seinen enormen Schuldenberg zahlt der Bund einen hohen Preis. Die Zinswende zur Bekämpfung der Inflation lässt seine Zinsausgaben hochschnellen. Während er 2021 knapp 4 Mrd. Euro Zinsen zahlte, werden es 2023 fast 40 Mrd. Euro sein – eine Verzehnfachung mit weiter steigender Tendenz. Dem hat sich der Bund ausgeliefert, zumal er sich die günstigen Konditionen der letzten Jahre nicht langfristig gesichert hat. Das schränkt die verbleibenden Haushaltsspielräume jetzt massiv ein.

Die in der Notlage aufgenommenen Kredite sind nicht nur zu verzinsen, sondern auch zu tilgen. Das verlangt das Grundgesetz. „Die Tilgungspläne sind wenig ambitioniert“, so Scheller. „Die Tilgungen sollen 2028 beginnen und erst 2061 enden. Das ist eine weitere finanzielle Bürde für die junge Generation von heute.“ Die Stellungnahme verdeutlicht das mit einem Beispiel: Ein heute dreizehnjähriges Kind, das im Jahr 2028 mit 18 Jahren in das Berufsleben eintritt, zahlt bis zu seinem 50. Lebensjahr mit seinen Steuern die Tilgung der in drei Jahren aufgenommenen Krisenkredite plus die darauf entfallenden Zinsen.

Die vom Bund aufgenommenen Krisenkredite vertiefen auch die Schuldenkluft zwischen ihm auf der einen sowie Ländern und Gemeinden auf der anderen Seite weiter. Während der Bund Rekordschulden macht, werden die Länder in ihrer Gesamtheit in 2022 positive Haushalte haben und ihren Schuldenstand verringern können. Im Ergebnis finanziert der Bund mit seinen neuen Schulden die Konsolidierung der Länderhaushalte. Dabei erodiert die Finanzierungsbasis des Bundeshaushalts durch dauerhaften Verzicht auf Steueranteile zu Gunsten von Ländern und Gemeinden ohnehin. Allein von 2011 bis 2023 sinkt der Bundesanteil am Gesamtsteueraufkommen von 43,3 % auf 39,3 %. Hierdurch entgehen dem Bund von 2022 bis 2026 rund 202 Mrd. Euro, die stattdessen Ländern und Gemeinden zu Gute kommen. „Der Bund hat seine Belastungsgrenze erreicht,“ sagte Scheller. „Jetzt müssen sich die Länder solidarisch zeigen. Die Bund-Länder-Finanzbeziehungen müssen überprüft und neu geordnet werden.“

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Hinzu kommt: Der Bundeshaushalt bildet die wahre Lage der Bundesfinanzen nicht mehr ab. Denn ein erheblicher Teil der Krisenkredite liegt in Sondervermögen, also außerhalb des Bundeshaushalts. Diese Flucht in Sondervermögen ist nicht nur intransparent, sondern umgeht die Schuldenregel des Grundgesetzes. Dazu Scheller: „Die Politik ist gefragt, gut zu haushalten; also zu priorisieren. Regierung und Parlament haben die Verantwortung, abzuwägen, Konflikte auszutragen und Entscheidungen zu treffen. Anstatt den einfachen Weg zu gehen und diese Entscheidungen über Schulden in die Zukunft zu verlagern.“

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