Nach dem katastrophalen Hochwasser an der Ahr vor zwei Jahren diskutiert die Politik eine Pflichtversicherung gegen Elementarschäden. Nicht nur verloren in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen 180 Menschen ihr Leben: viele Familien sahen sich auch dem finanziellen Ruin gegenüber, weil ihr Haus und der gesamte Besitz vernichtet waren. Nur circa 40 Prozent der Menschen waren mit einer Elementarschaden-Police gegen Hochwasserschäden abgesichert. Der versicherte Schaden wurde auf acht Milliarden Euro geschätzt: nur ein Bruchteil der tatsächlichen Kosten.

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Zwar stellte der Staat einen Wiederaufbaufonds von 30 Milliarden Euro bereit und versprach, die Betroffenen in den Flutgebieten großzügig zu entschädigen. Doch wer keine private Wohngebäude-Police hat, soll nur 80 Prozent der Schäden ersetzt bekommen. Zudem ist es dem Staat unliebsam, immer mit Steuergeldern aushelfen zu müssen.

Dennoch ist eine Elementarschaden-Pflichtversicherung durchaus wahrscheinlich. Die Justizministerinnen und -minister der Länder beschlossen auf ihrer Frühjahres-Konferenz im Juni 2022, dass eine Versicherungspflicht gegen Naturgefahren „verfassungsrechtlich nicht ausgeschlossen“ sei. Auch das Bundesumweltministerium, zugleich für Verbraucherschutz zuständig, plädiert für eine solche Versicherungspflicht. Wichtig sei, dass mit Blick auf zunehmende Extremwettereignisse mehr Gebäude gegen Elementarschäden versichert werden. Aktuell liege das Vorhaben aber auf Eis, weil es keine Einigung zwischen Bund und Ländern sowie Widerspruch innerhalb der Ministerien gebe, berichtet das "Handelsblatt".

Führt Pflichtversicherung zu Kostenexplosion?

Ein Argument für die Pflichtversicherung ist, dass auch jene einen Versicherungsschutz erhalten, die ihr Haus in Hochwasser-Risikogebieten stehen haben: zum Beispiel flussnah in Orten wie Grimma, Erfstadt oder Euskirchen, die in den letzten Jahren teils wiederholt von Hochwassern betroffen waren. Zwar argumentiert der Versicherer-Verband GDV, dass in Deutschland 98,5 Prozent der Häuser problemlos gegen Naturgefahren versicherbar seien. Eine frühere Stichprobe der Verbraucherzentrale Sachsen zeigte jedoch, dass dies für manche Regionen nicht oder nur zu sehr hohen Kosten möglich war. Anfragen bei Versicherern wurden abgelehnt oder nur gegen hohe Selbstbehalte gewährt.

Diesbezüglich ist die Idee: Werden die Kosten eines Hochwasser-Schutzes auf mehr Schultern verteilt: auch auf jenen Hausbesitzern, die ein geringes Risiko haben, so werden die Versicherungsbeiträge für alle bezahlbar. Ähnliche Modelle gibt es zum Beispiel in Frankreich und manchen Kantonen der Schweiz.

Doch genau dieses Argument der problemlosen Versicherbarkeit greift nun R+V-Chef Norbert Rollinger auf, um vor eben jener Pflicht-Lösung zu warnen. „Eine Pflichtversicherung löst das Problem nicht“, sagte Rollinger am Donnerstag der Nachrichtenagentur Reuters. Denn sie schaffe Fehlanreize, wenn sie nicht zugleich mit einem besseren Schutz der Gebäude vor Naturkatastrophen und strengeren Bauvorschriften in gefährdeten Gebieten verbunden sei. „Schlimm wäre, wenn die Politik die Pflichtversicherung beschließen würde – und sonst nichts tut. Dann droht eine Kostenexplosion in der Gebäudeversicherung“, sagt Rollinger.

Weniger Risiko-Vorsorge befürchtet

Gerade eine Pflicht könnte also den Schutz verteuern: weil der Gedanke, der Versicherer werde schon für Schäden zahlen, zu weniger Prävention und mehr Bauten in Risikogebieten führe, so die Sorge. Hierbei hat die Versicherungswirtschaft nicht nur die Hausbesitzer im Blick, sondern auch die Politik und die Behörden:

Erst diese Woche kritisierte der GDV, dass noch immer zu viele Neubauten in Überschwemmungsgebieten neu genehmigt und errichtet werden. In Deutschland seien demnach seit dem Jahr 2000 rund 32.000 Neubauten in Überschwemmungsgebieten erfolgt - jährlich kämen 1.000 bis 2.400 neue Gebäude hinzu. Würde hier eine Hochwasser-Pflichtversicherung dazu beitragen, dass noch mehr riskant geplant und gebaut wird? Die Versicherungswirtschaft sagt: ja.

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Der Versichererverband GDV präferiert statt einer Versicherungspflicht eine Art Opt-out-Modell. In der Wohngebäudeversicherung, wo Elementarschäden aktuell nicht standartgemäß inkludiert sind, sondern als extra Baustein oder eigenständiger Vertrag abgesichert werden müssen, soll eine Elementar-Deckung künftig fester Bestandteil sein. Allerdings sollen die Versicherungsnehmer auch die Option erhalten, diesen Schutz aktiv abzuwählen. Hiervon verspricht sich der Verband eine weit höhere Durchdringung, denn aktuell ist nach Branchenzahlen weniger als jedes zweite Haus in Deutschland gegen Naturgefahren versichert. „Mit einer Opt-out-Lösung – am besten auch für den Bestand – könnten wir die Durchdringung deutlich auf 70 bis 80 Prozent erhöhen“, sagt Rollinger.

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