Nachhaltigkeit ist in aller Munde. Nicht nur in den Konzernen, sondern auch bei Kunden. Laut dem GfK Consumer Life machen sich über 74 Prozent der Deutschen Sorgen über die Umweltverschmutzung. Und über 68 Prozent fordern umweltbewusstes Verhalten von Unternehmen.

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Auch Finanzdienstleistern kommt mittlerweile eine hohe Bedeutung bei der Bewältigung der ökologischen und sozialen Herausforderungen zu. Öko zu sein ist heute „cool“, Bio ist mittlerweile Mainstream. Relevant hierbei: der Trend wird nicht allein durch Zielgruppen wie Millenials, Glamour Greens oder LOHAS („Lifestyles of Health and Sustainability“) forciert, sondern findet fruchtbaren Boden in unserer gesamten Gesellschaft.

Natalie NeumannNatalie NeumannDr. Natalie Neumann, Senior Manager für Costumer Experience and Sustainability bei Ernst & Young in HannoverErnst & Young

Was hat Nachhaltigkeit nun mit Versicherungen zu tun? Unserer Meinung nach eine Menge.

Nachhaltigkeitstransformation in der Assekuranz – Bürde oder historische Chance?

Die Versicherungswirtschaft steht vor einer politisch und regulatorisch induzierten Transformation epischen Ausmaßes. Seit 2021 müssen, resultierend aus dem EU-Aktionsplan zu Sustainable Finance und Green Deal, erstmals Kennzahlen zu Nachhaltigkeit und ESG veröffentlicht werden. Zu den aktuell rund 25 Metriken kommen kurz- bis mittelfristig zahlreiche neue Kennzahlen hinzu; unter anderem aus der Offenlegungs-VO, der Taxonomie-VO, aus CSRD / ESRS, CSDDD, EU-Ecolabel oder dem Green Bond. Die Nachhaltigkeitsberichterstattung der Versicherer steht damit bald auf Augenhöhe mit der heute schon komplexen Finanzberichterstattung.

Was in der primär regulatorisch geprägten Diskussion jedoch verloren geht, ist das enorme Potential von Nachhaltigkeit zur Gewinnung und Bindung von Kunden.

Kunden aktuell nicht im Fokus der Nachhaltigkeitsinitiativen – trotz enormem Potential

Mit der im August erfolgten Umsetzung der Nachhaltigkeitspräferenzen im Vertrieb (IDD), bei der Anlageberatung und Portfolioverwaltung rückte erstmalig die Kundenperspektive in den Fokus. Ein Blick in die Branche offenbart: das Thema wurde viel zu spät als strategisch wichtig eingestuft und das Potential mit Blick auf den Kunden bislang kaum erkannt.

Dies zeigt sich vor allem in fehlenden oder wenig ausgereiften nachhaltigen Produkt- und Serviceangeboten der Versicherer und der ungenutzten Möglichkeit, sich als Aufklärungspartner zum Thema Nachhaltigkeit zu etablieren. Gefühlt ist das Gegenteil der Fall. Viele glauben, dass sich die Nachfrage zu nachhaltigen Angeboten in Grenzen hält.

Patrick PfalzgrafPatrick PfalzgrafPatrick Pfalzgraf, Partner und Leiter CX Transformation & Costumer Strategy, Financial Services Organisation bei Ernst & Young in MünchenErnst & Young

„Nachhaltigkeit wird in den kommenden 5 Jahren mehr als die Hälfte des Kundenerlebnisses prägen – das zeigt die EY Konsumentenstudie.“

Dagegen zeigt beispielsweise die GDV Allensbach Studie 2021, dass sich mehr als 50 Prozent der 16-29 Jährigen durchaus vorstellen können, eine nachhaltige Versicherungspolice zu erwerben und dafür auch einen höheren Preis in Kauf zu nehmen. Bei der Altersgruppe der 30-59 Jährigen ist der Anteil ähnlich hoch – Tendenz steigend. Künftig wird es also nicht mehr ausreichen, nur das Nachhaltigkeitsinteresse des Kunden im Verkaufsgespräch zu erfassen. Die geäußerten Bedürfnisse müssen auch bedient werden. Das Gute daran: es zahlt sich aus. So gehen EY Prognosen für Deutschland davon aus, dass mit dem wachsenden Segment der 12,5 Mio. LOHAS – also Personen, die einen nachhaltigen Lebensstil pflegen – bis 2030 Versicherungspolicen mit einem Gesamtprämienvolumen von rund 21 Mrd. Euro pro Jahr in nachhaltige Angebote transferieren werden.

Zusätzlich bietet das Thema Nachhaltigkeit die Möglichkeit zur emotionalen Differenzierung. Während sich Kunden heute kaum mit ihrem Versicherer identifizieren, erlauben nachhaltige Angebote die Befriedigung sozialer und ökologischer Bedürfnisse. Dies stärkt die Identifikation und trägt zur Kundengewinnung und -bindung bei – unseres Erachtens eine historische Chance für Versicherungen zur Steigerung von Umsatz und Profitabilität sowie einer klaren Positionierung.

Fabian MeierFabian MeierFabian Meier, Director für kundenzentrierte Strategien und Transformationen in der Versicherungsbranche bei Ernst & Young MünchenErnst & Young

Worauf es Kunden beim Thema Nachhaltigkeit wirklich ankommt

Um zu verstehen, wie Nachhaltigkeit erfolgreich im Kundenerlebnis verankert werden kann, lohnt ein Blick in andere Branchen. Denn Kunden bilden ihre (Nachhaltigkeits-) Erwartungen verstärkt über Branchengrenzen hinweg. Zudem fehlen führende Beispiele aus der Assekuranz.

Die Erfolgsformel für eine „herausragende Sustainability CX“ lässt sich in vier Dimensionen abbilden – wobei es auf das holistische Zusammenspiel ankommt.

  • Erlebbarkeit: Kunden möchten Nachhaltigkeit entlang der Customer Journey erleben, nicht nur anhand nachhaltiger Produktportfolios; beispielsweise über das Angebot einer „Building-Back-Better“-Lösung mit nachhaltigen Materialien im Schadensfall oder die Möglichkeit zur Mitarbeit in sozialen Initiativen.
  • Glaubwürdigkeit: Kunden schätzen Unternehmen, die sich ernsthaft Gedanken zu ihrem sozialen und ökologischen Beitrag machen und Gutes tun. Nachhaltigkeitsinitiativen müssen transparent und nachvollziehbar kommuniziert werden und zur Unternehmenskultur und den -werten passen.
  • Bedeutung: Kunden verlangen, dass dem Thema Nachhaltigkeit im Unternehmen entsprechende Priorität beigemessen wird – weit über die Erfüllung regulatorischer und politischer Anforderungen hinaus. Nachhaltigkeit sollte auf allen Ebenen gelebt werden und sich in Vision, Strategie und Zielesystem spiegeln.
  • Wert: Kunden bewerten den Nutzen, den ein Anbieter mit einem nachhaltigen Handeln erzeugt – sowohl für die Erfüllung eigener Nachhaltigkeitsbedürfnisse als auch für die Gesellschaft. Für Unternehmen bedeutet dies, die gesamte Wertschöpfungskette hinsichtlich Nachhaltigkeit zu prüfen und ein nachhaltiges Ökosystem zu etablieren.

Wie wird die Nachhaltigkeits-Transformation zum Erfolg?

Um ein überzeugendes Nachhaltigkeitserlebnis für Kunden zu gestalten, müssen sich Versicherungsunternehmen in ihren Grundsätzen verändern. Es gilt, die Organisation in ihrem Denken und Handeln sukzessive an den Nachhaltigkeitsbedürfnissen der Kunden auszurichten – und zwar über alle Sparten hinweg. Denn die Wirkung von Nachhaltigkeitsinitiativen verpufft, wenn nicht alle Puzzleteile zusammenspielen. Eine klar definierte Nachhaltigkeitsstrategie setzt hierfür die Leitplanken und ist der Ausganspunkt für ein ganzheitliches und stimmiges Auftreten gegenüber dem Kunden.

Ein wesentliches Augenmerk sollte auf die Employee Experience gelegt werden. Wird Nachhaltigkeit auch für die Mitarbeiter spürbar und verständlich, sind diese motiviert und in der Lage, das Nachhaltigkeitsversprechen konsequent an allen Kundenkontaktpunkten einzulösen.

Armin Henatsch, EY Sustainability Lead Insurance Germany: „Versicherungsunternehmen müssen jetzt ihre Nachhaltigkeitstransformation vorantreiben, um ihren Kundenbedürfnissen weiterhin gerecht zu werden. Entscheidend dabei ist, Nachhaltigkeit nicht nur als Werbeinstrument zu nutzen, sondern in die gesamte Unternehmensorganisation zu tragen und Teil der Unternehmenskultur und -philosophie werden zu lassen.“

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Eines ist sicher: Die Early Mover in der Nachhaltigkeits-Positionierung werden die Profiteure sein und sich signifikante Marktanteile sichern. Sollte die Assekuranz auch diese Chance den jungen, wilden aus der InsureTech-Szene überlassen? Entscheiden Sie!

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