Seit Jahren ist die Allianz eine Dauerbaustelle: Der Konzern will sich fit machen für die digitale Gegenwart und Zukunft. Bereits der frühere Firmen-Patriarch Michael Diekmann hat Veränderungen angeschoben, die seit 2015 von dessen Nachfolger Oliver Bäte -teils noch radikaler- fortgesetzt werden. Strukturen werden verschlankt, neue Produkte eingeführt, die komplette IT-Infrastruktur wird umgebaut. Die Allianz will und muss sich im internationalen Wettbewerb auch gegen Konzerne wie Google oder Amazon wappnen, die selbst versuchen könnten, Versicherungen anzubieten oder zu vertreiben.

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Dieser radikale Umbau sorgte wiederholt auch für Konflikte mit Mitarbeitern und Agenturen, die sich teils heftig gegen den Umbau wehren - auch, weil damit Verluste lieb gewonnener Privilegien verbunden sind. So hat die Allianz zum Beispiel 2018 eine erfolgsabhängige Provision gestrichen, die ausgerechnet jene Vertreter erhielten, die ihre Kundinnen und Kunden erfolgreich an sich binden konnten - ein Aufschrei im Intranet des Versicherers war die Folge. Beklagt wurde dort unter anderem, dass der Konzern die Arbeit seiner Mitarbeiter und Vertreter nicht wertschätze und sie einseitig als Kostenfaktor sehe.

Doch wovon aktuell die Süddeutsche Zeitung (Montag) berichtet, hat eine neue Qualität. Demnach wird Vorständen vorgeworfen, die Arbeit von Betriebsräten zu behindern und sogar Handgreiflichkeiten zu provozieren, um Mitarbeiter anschließend kündigen zu können.

Offener Brief an Oliver Bäte

Konkret geht es diesmal um Vorfälle bei der Allianz Re. Der Betriebsrat der hauseigenen Rückversicherungs-Tochter wendet sich laut dem Bericht mit einem offenen Brief an Oliver Bäte, Konzernchef der Allianz Gruppe. In dem Brief geht es um Vorfälle bei einer Betriebsversammlung im Juni 2022, bei der sich der frisch gewählte Betriebsrat erstmals treffen wollte.

Bereits im Vorfeld habe es "erhebliche Behinderungen und Störungen“ gegeben, zitiert die Süddeutsche aus dem Schreiben. So habe die Allianz keinen geeigneten Raum bereitstellen wollen und es behindert, das Treffen als hybride Veranstaltung durchzuführen, so dass ein Teil hätte online partizipieren können, ohne live vor Ort sein zu müssen. Letztendlich habe man nur einen sehr kleinen Raum zugewiesen bekommen - trotz der nach wie vor bestehenden Corona-Gefahr.

Schwere Vorwürfe werden daraufhin gegen Holger Tewes-Kampelmann erhoben, Konzernchef der Allianz Re. Er sei mit mehreren Begleitern kurz vor Beginn in den Raum gestürmt, habe sich vor einem Betriebsrat aufgebaut und ihn angebrüllt: „Lüg mich nicht an!“ Dabei sei es zu tumultartigen Szenen gekommen, sodass der Vorsitzende des Betriebsrates selbst schreiend habe dazwischenfahren müssen, um überhaupt erst die Sitzung beginnen zu können. E-Mails würden belegen, dass der Konzernchef Handgreiflichkeiten habe provozieren wollen, um die betroffenen Betriebsräte kündigen zu können.

Streit um Besetzung des Betriebsrates

Vorwürfe, die Tewes-Kampelmann gegenüber der SZ „entschieden“ zurückweist. Die Compliance-Abteilung der Allianz habe die Vorwürfe geprüft und auch mit Augenzeugen gesprochen - "Im Ergebnis wurden die Vorwürfe als unbegründet bewertet“, so der Manager.

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Warum aber der Ärger? Laut „Süddeutscher“ soll der Anlass ein Streit über die Besetzung des Betriebsrates sein. So habe sowohl der Vorstand der Allianz Re als auch der Konzernmutter Allianz SE Kandidaten bevorzugt, die pflegeleichter gewesen seien und den radikalen Reformkurs des Konzerns mittragen. Diese hätten aber nicht den Rückhalt der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gehabt - und sich letztendlich nicht durchsetzen können. Selbst Konzernchef Bäte soll vorab versucht haben, auf die Betriebsrats-Wahl Einfluss zu nehmen. Zwischen Arbeitnehmer-Vertretern und Vorstand seien bereits zahlreiche Arbeitsgerichts-Prozesse in Gang.

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