Was wurde vor dem Oberlandesgericht verhandelt? Geklagt hatte eine Frau aufgrund einer Pflegetagegeldversicherung, die 1997 abgeschlossen wurde. Genauer: Als rechtlicher Vertreter der Frau klagte ihr Ehemann. Die Frau erlitt 2012 einen schweren Schlaganfall, hatte zuvor jedoch für einen solchen Fall ihrem Mann eine Betreuungsverfügung ausgestellt. Ihr Ehemann verwaltete demnach die Finanzen.

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Im April 2013 wurde die Frau in die damals geltende Pflegestufe III eingeteilt. Ab da bestand aufgrund der Pflegetagegeldversicherung auch Anspruch auf Pflegetagegeld und zudem auf eine Freistellung vom monatlichen Beitrag. Jedoch: Der Mann wusste nichts davon, dass seine Frau eine solche Versicherung abgeschlossen hatte.

Mann erkannte Irrtum fast zwei Jahre später

Zwar bemerkte der Mann, dass ein monatlicher Betrag durch eine Krankenversicherung abgebucht wurde. Er dachte aber, seine Frau bezahle damit den Beitrag für eine Zusatz-Krankenversicherung. Erst, als der Mann die Steuererklärung vorbereitete und hierfür auch die Unterlagen der Frau zusammentrug, fand er den zugrunde liegenden Versicherungsvertrag.

Versicherer wollte nicht rückwirkend leisten

Er erkannte seinen Irrtum – und meldete am 10.02. 2015 den Versicherungsfall. Der Krankenversicherer bewilligte ab Februar 2015 die Zahlung des täglichen Pflegetagegelds (in Höhe von 45,47 Euro), weigerte sich jedoch, rückwirkend für den Zeitraum ab April 2013 zu zahlen. Dies führte zur Klage vor dem Landgericht: 31.984 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz forderte das Ehepaar vom Versicherer als rückwirkendes Tagegeld.

Vor dem Landgericht in Frankfurt am Main freilich hatten die klagenden Eheleute zunächst keinen Erfolg – die Klage wurde abgewiesen (Az. 2-23 O 411/16). Erst in Berufung vor dem Oberlandesgericht in Frankfurt am Main neigte sich Justitias Waage zugunsten der Kläger.

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Klausel sicherte Leistung zu – bei unverschuldeter Verspätung

Dem Urteil zugrunde lag eine Klausel aus den Bedingungen für die Pflege-Tagegeld-Versicherung. Diese lautete: „Wird der Antrag nach Ablauf des Monats gestellt, in dem der Versicherungsfall eingetreten ist, ist der Leistungsanspruch vom Beginn des Monats der Antragstellung gegeben. Bei einer unverschuldet verspäteten Anzeige des Versicherungsfalls werden die Leistungen jedoch rückwirkend erbracht.“

Warum das Oberlandesgericht der Versicherungsnehmerin Recht gab

Das Gericht musste nun darüber urteilen, ob die verspätete Anzeige unverschuldet war. Der Krankenversicherer verneinte dies und ging von einer verschuldeten Pflichtverletzung aus. Habe der Versicherungsnehmer doch selbst für die Geltendmachung von Versicherungsansprüchen Sorge zu tragen – wer in gesunden Tagen die hierfür erforderlichen Vorkehrungen nicht treffe und nicht sein Umfeld informiere, sei nicht schutzwürdig.

Krankenversicherer sah Schuld sowohl bei Versicherungsnehmerin als auch beim Ehemann

Die Frau hätte also aus Sicht des Krankenversicherers den Mann schon im Vorfeld über das Bestehen der Versicherung aufklären müssen. Aber nicht nur die Frau treffe eine Schuld. Auch der Ehemann hätte sich, in seiner Funktion als Betreuer, unverzüglich nach Übernahme der Betreuung einen Überblick über die finanziellen Verhältnisse – und dabei auch über die Versicherungsverhältnisse der Vollmachtgeberin – verschaffen müssen. Hierbei hätte er erkennen müssen, dass der streitgegenständliche Vertrag bestand. Der Mann habe demnach seine Betreuungspflichten verletzt.

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Aus diesem Grund sah sich die Versicherung nicht in der Leistungspflicht – die Kläger hätten es schuldhaft versäumt, den Antrag auf Versicherungsleistungen innerhalb eines Monats nach Eintritt des Versicherungsfalls zu stellen. Das Oberlandesgericht aber urteilte nun zugunsten der Versicherungsnehmerin und änderte das Urteil ab. Demnach wurde der Krankenversicherer zur Zahlung der Tagessätze ab April 2013 verurteilt.

Versicherungsbedingungen begründeten keine "Vorsorgeobliegenheit"

Wie aber begründete das Gericht dieses Urteil? Zunächst wies das Gericht eine Pflicht der Versicherungsnehmerin zurück, ihren Mann im Vorfeld von dem Versicherungsvertrag in Kenntnis zu setzen. Bestand doch keine vorausschauende Verhaltenspflicht im Sinne einer sogenannten „Vorsorgeobliegenheit“.

Aber auch von dem Ehemann als Betreuer kann nicht verlangt werden, sich Kenntnis über den Vertrag zu verschaffen. Denn dies wäre eine „nicht vertretbare Ausweitung des Anknüpfungspunkts der Pflichtverletzung“ von einer bekannten Handlungspflicht hin zu einer schuldhaften Unkenntnis des die Pflicht begründeten Vertrags.

Wer den Vertrag nicht kennt, verletzt die Anzeigepflicht nicht schuldhaft

Pointiert: Kennt – wie hier – der Dritte, der die Anzeigepflicht anstelle des Versicherungsnehmers zu erfüllen hat, den Vertrag nicht, verletzt er die Anzeigepflicht nicht schuldhaft. Ein unverschuldetes Verletzen der Anzeigepflicht würde übrigens auch zutreffen, sobald der Versicherungsnehmer selbst – zum Beispiel aufgrund einer Erkrankung – keine Kenntnis mehr vom Vertrag hätte.

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Versicherung handelte treuwidrig

Das Berufen auf die Ausschlussfrist der Klausel deutete das Gericht sogar als treuwidriges Handeln. Denn der Eintritt des Versicherungsfalls wäre ebenso unstreitig wie der Umstand, dass die Leistungsvoraussetzungen den ganzen Zeitraum über unverändert vorlagen. Auch musste der Versicherer nicht befürchten, dass ihm durch eine verspätete Leistungsprüfung Nachteile entstehen. Das Urteil ist beim Portal openJur verfügbar.

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