Lange Zeit galt die Direktversicherung über den Weg der Entgeltumwandlung als der massentaugliche Durchführungsweg der betrieblichen Altersversorgung (bAV). „Da kann man nicht viel falsch machen“ war das Credo vieler Vertriebe, insbesondere dann, wenn der Vermittler durch einen technisch gesteuerten Antragsprozess gehen muss. Dieser etwas leichtfertige Standpunkt muss nun zunehmend und dringend hinterfragt werden.

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Andreas Sutter

Andreas Sutter

...ist als Director protect bei disphere interactive Datenschutzbeauftragter für Mittelständler, Finanzdienstleister und Versicherer. disphere interactive GmbH ist ein Team von interdisziplinären Experten, Beratern und Entwicklern, das Sie umfassend bei der digitalen Transformation des Vertriebs unterstützt.

Das Ende der 100%-Garantie

Im Zuge des anhaltenden Niedrigzinsumfeldes und der Absenkung des Höchstrechnungszinses im kommenden Jahr sehen sich die Versicherer gezwungen, vom hundertprozentigen Beitragserhalt sowohl in den klassischen als auch in den fondsgebundenen Produkten abzurücken. Der vollständige Beitragserhalt bedeutet vereinfacht, dass spätestens am Ende der Aufschubzeit des Rentenversicherungsvertrages mindestens die bis dahin eingezahlten Beiträge als Kapitalabfindung oder als Grundlage für die Berechnung der lebenslangen Rente zur Verfügung stehen müssen.
Da der vollständige Beitragserhalt ein wesentlicher Bestandteil der sogenannten Beitragszusage mit Mindestleistung (BZML) ist, wird zukünftig auf diese Art der Zusage verzichtet werden müssen. Stattdessen wird auf die beitragsorientierte Leistungszusage (BOLZ) abgezielt, bei der vom Arbeitgeber neben der Beitragszahlung in einer vorgesehenen Höhe auch eine bestimmte, sich daraus ergebende Leistung zugesagt wird. Die Leistung berechnet sich dabei in vielen Fällen aus einer 80%-Beitragsgarantie. Diese soll, so sind sich sehr viele Versicherer einig, rechtlich ausreichen, um den arbeitsrechtlichen Anforderungen der BAV gerecht zu werden.

Wieso sollen jetzt 80% ausreichen?

Vorab: zum Thema 100%-Beitragserhalt in der BOLZ gibt es schon seit vielen Jahren Diskussionen unter den Fachleuten und Juristen. Da es weder höchstrichterliche Urteile gibt, die die Problematik abschließend lösen, noch sich der Gesetzgeber der Situation annimmt, gibt es - wie so üblich - verschiedene Standpunkte, die sämtlich ihre Berechtigung haben. An dieser Stelle kann die Diskussion in ihrer ganzen Tiefe nicht wiedergegeben werden. Grob dargestellt geht es um folgende Probleme:

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Für den Fall der arbeitgeberfinanzierten BAV scheint Einigkeit darüber zu bestehen, dass hier kein hundertprozentiger Beitragserhalt zwingend nötig ist, um die Rechte der Arbeitnehmer zu wahren. Im Falle der arbeitnehmerfinanzierten BAV bzw. Entgeltumwandlung gilt jedoch nach §1 Abs. 2 Nr. 3 BetrAVG der Grundsatz der „wertgleiche Anwartschaft auf Versorgungsleistungen“. Was dies genau bedeutet, wird im Gesetzt nicht näher definiert. Aus der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) lässt sich ableiten, dass damit nicht nur gemeint ist, dass die umgewandelten Entgeltteile auch vollständig für eine Betragszahlung verwandt werden müssen, sondern dass es auch einen angemessenen Werterhalt geben muss. Von diesem Recht des Arbeitnehmers kann nicht im Arbeitsvertrag oder in der Entgeltumwandlungsvereinbarung zum Nachteil des Arbeitnehmers abgewichen werden. Abweichende Vereinbarungen wären schlicht ungültig und nicht rechtswirksam.

Wie sich Versicherer dazu äußern und was das für Vermittler bedeutet

Um das Thema Werterhalt auf den Punkt zu bringen, folgendes Beispiel: Ein Arbeitnehmer wandelt im Laufe seines Erwerbslebens eine Gesamtsumme von 100.000 EUR in eine Direktversicherung mit einem 80%-Tarif um. Und wie es das Schicksal so will, steht zum Rentenbeginn auch nur die Garantie von 80.000 EUR zur Verfügung. Die Kernfrage lautet daher: Kann es als gerecht und fair angesehen werden, dass der Arbeitnehmer 20.000 EUR seines sicher hart erarbeiteten und bereits verdienten Entgelts unwiederbringlich abschreiben muss, zumal er nach §1a BetrAVG einen Rechtsanspruch auf Entgeltumwandlung hat? Die Versicherer sind mehrheitlich der Meinung: Ja!

Hier zum Beispiel Aussagen der Alten Leipziger aus einer Vermittlerinformation von 12/2020:


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Die Canada Life äußert sich auf ihrer Webseite so:

Argumentiert wird dabei häufig mit der Rechtsprechung des BAG zum Thema Überstunden, nach der unter bestimmten Voraussetzungen bis zu 20% der Mehrarbeit mit dem laufenden Gehalt abgegolten werden dürfen.
Fraglich ist, ob diese Argumentation wirklich stichhaltig ist, und wenn ja, welche Voraussetzungen die Entgeltumwandlungsvereinbarung erfüllen muss, damit sie hinreichend transparent ist. In jedem Fall ist die Auffassung der Versicherer nicht unumstritten und eine klärende Rechtsprechung (noch) nicht vorhanden.

Das Risiko

Fest steht, dass es den Versicherern zukünftig unmöglich ist, den vollständigen Beitragserhalt in den Tarifen darzustellen. Doch diese Unmöglichkeit kann dem Arbeitgeber nicht als Entlastung dienen, denn dieser haftet am Ende für die ordnungsgemäße und vollständige Durchführung der bAV.
Das Risiko für den Arbeitgeber besteht also für den Fall, dass der Standpunkt der Versicherer vor Gericht nicht standhält, darin, dass die fehlenden 20% im Leistungsfall vom Arbeitgeber aufgebracht werden müssen. In einem mittelständischen Betrieb entsteht also schnell ein Nachfinanzierungsrisiko in Millionenhöhe. Perfide aus der Sicht des Arbeitnehmers ist, dass der Durchführungsweg Direktversicherung bis auf sehr seltene Ausnahmen nicht über den PSVaG für den Fall gesichert sind, dass der Arbeitgeber unter dem Druck der Nachfinanzierungen Insolvenz anmelden muss.

Der Arbeitgeber wird insbesondere dann keine Möglichkeiten haben, den Versicherer in die Haftung zu nehmen, wenn die Vermittlung über einen Versicherungsmakler erfolgt. Eine Garantieerklärung der Versicherer, wie sie in einer vergleichbaren Situation zum Thema Zillmerung in der BAV vor gut 15 Jahren einmal erteilt wurden, ist wegen des sehr hohen finanziellen Risikos im Hinblick auf Solvency II so gut wie unwahrscheinlich.

Auswirkungen für die Vermittler

Kaum ein Vermittler kann die weitreichenden arbeitsrechtlichen Risiken vollständig überblicken, geschweige denn Garantien für die zukünftige Rechtsprechung abgeben. Genauso wenig besteht eine Möglichkeit andere Tarife im Bereich anzubieten als die, die in Deutschland von den Versicherern nun einmal angeboten werden.

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So verbleibt nur die Pflicht, die Beteiligten in der BAV in der Beratung über dieses Risiko aufzuklären und dies in der Dokumentation verständlich festzuhalten. Andernfalls entsteht dem Vermittler ein Haftungsrisiko, dass je nach Umfang der Beratungen auch die Summe seiner Pflichtversicherung übersteigen dürfte. Damit das möglich ist, muss der Vermittler in die Lage versetzt sein, diese Situation fachlich zumindest im Grundsatz zu durchdringen. Das hierzu erforderliche BAV-Fachwissen in der Breite vorhanden ist, kann man -ohne böse Absicht- durchaus bezweifeln. Die unbedarfte und leichtfertige Vermittlung von Direktversicherungen per Entgeltumwandlung ist jedenfalls zunehmend ein finanzielles Risiko für die Vermittler. Neben einer wünschenswerten Klarstellung der Lage durch Gerichte oder den Gesetzgeber ist daher eine umfassende Qualifizierungsoffensive der Vermittler im Bereich bAV nötig.

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