Versicherungsbote: Sie haben mit einer Studie das Image der Versicherer aus Sicht der Kunden in Deutschland untersucht: auch im Vergleich zu anderen europäischen Staaten wie Großbritannien und Frankreich. Ein erstes Fazit: Wie ist es um den Ruf der Branche hierzulande bestellt? Und hat Sie das Ergebnis überrascht?

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René Schoenauer: Versicherungskunden haben generell eine eher kritische Haltung gegenüber der Assekuranz und das kann viele Gründe haben: Der Eindruck, dass ein Makler lediglich seine Versicherungen an den Mann bringen möchte, ein Schadenfall, der in den Augen des Versicherten nicht korrekt beglichen wurde, oder schlichtweg die Unsicherheit darüber, welche Schadenfälle innerhalb der abgeschlossenen Policen gedeckt sind. Generell sieht rund ein Drittel der Deutschen Versicherungen eher als „notwendig, aber unbequem“ an. Vor allem die Altersgruppe ab 45 Jahren vertritt diese Meinung.

Doch die Deutschen haben im internationalen Vergleich ein wesentlich positiveres Bild ihrer Versicherer. Das Verhalten der Versicherer während der COVID-19-Krise hat bei fast jedem vierten der deutschen Befragten zu einem noch positiveren Bild der Branche geführt. Überrascht hat mich das Ergebnis nicht, aber es ist schön zu sehen, dass sich ein positiver Trend belegen lässt. Nun liegt es an den Versicherern, dieses positive Image konsequent auszubauen. Beispielsweise durch weiterhin schnelle Reaktionen auf sich verändernde Marktanforderungen, nutzungsbasierte Versicherungsmodelle oder individuelle Versicherungspakete sowie proaktive Kundenkommunikation.


Um weiter ins Detail zu gehen: Versicherer seien „notwendig, aber unbequem“, so sagt jeder dritte Deutsche. Nur jeder vierte Deutsche hat hingegen den Eindruck, dass die Versicherer seine Bedürfnisse verstehen. Was sind aus Ihrer Sicht Gründe, dass so viele Deutsche die Versicherer als „lästige Notwendigkeit“ betrachten?

René Schoenauer ist Director Product Marketing EMEA bei GuidewireGuidewireDas liegt in meinen Augen daran, dass die Kundenanforderungen sich grundlegend geändert haben. Die Kunden erwarten heute von ihrer Versicherung, dass sie wie die großen Digitalunternehmen Amazon oder Apple mit ihnen interagiert: schnell, intuitiv und mit dem Fokus auf ihren persönlichen Bedürfnissen. Traditionelle Versicherungsunternehmen müssen möglichst schnell auf diese Anforderungen reagieren: Kunden erwarten, dass Versicherungsangelegenheiten bequem und komfortabel zu erledigen sind. Das fängt bei der Kommunikation an: Versicherte sollten die Möglichkeit haben, auf dem Kanal zu kommunizieren, der für sie am geeignetsten ist. Beispielsweise könnte man einen Schadenfall direkt via Messenger an den Versicherer senden, oder ein Gespräch via Videochat bequem von Zuhause aus führen.

Außerdem hat sich die Nachfrage nach spezifischen Versicherungsprodukten durch die Pandemie verschoben, was Versicherer aktiv nutzen können. Denn Versicherungsnehmer sind immer offener für individualisierte, bedarfsgerechte Versicherungslösungen. Fast drei Viertel der befragten Verbraucher fordern dies direkt ein. Allerdings sollten diese Lösungen möglichst aus einer Hand stammen, damit es für den Kunden nicht zu komplex wird. Kunden wünschen sich einfache, bequeme Lösungen. Ein Versicherer, der ein personalisiertes Versicherungspaket schnürt, um alle Risiken abzudecken, vereinfacht das Thema Versicherungen für den Kunden und kann es so kundenfreundlicher gestalten.

Viele Versicherer versuchen mittlerweile, sich – z.B. nach dem Vorbild von Amazon – mehr als Allrounder zu positionieren und auch im Alltag des Kunden Präsenz zu zeigen: sei es über Gesundheits-Apps, Telematik-Tarife mit Fahrtipps etc. Ist das aus Ihrer Sicht ein Ansatz bzw. sogar eine Notwendigkeit, um sich positiv gegenüber den Kunden zu präsentieren?


 Tatsächlich sind Giganten wie Amazon, Google oder Apple eine Herausforderung für klassische Versicherer. Sie könnten zukünftig die Kundenschnittstelle besetzen, sodass die Versicherer als reine Risikoträger in einem solchen Szenario in den Hintergrund rücken. Diese Entwicklung würde dazu führen, dass Versicherungen lediglich eine Zusatzleistung des Plattform-Angebots wären und ihre Marke und Identität an Bedeutung verlieren würden. Aus diesem Grund besteht Handlungsdruck für innovative Modelle.

82 Prozent der deutschen Verbraucher wünschen sich von Versicherern mehr Unterstützung bei der Schadenprävention. Sie sind offen für proaktive Versicherungsservices, die beispielsweise Risikowarnungen beinhalten. Auch nutzungsbasierte Versicherungsmodelle sind für jeden zweiten Verbraucher sinnvoll. Guidewire hat dafür zum Beispiel eine Usage-Based-Insurance-Lösung (UBI) im Bereich Kfz, die unter anderem Angebot, Tarifierung und automatische Schadenaufnahme – also den gesamten Lebenszyklus einer Versicherung – unterstützt.

…der Versicherer muss mehr sein als "nur" Risikoträger…

Die Aufgabe besteht darin, dass Versicherungen nicht nur als Zusatzprodukt gesehen werden, sondern als eigenständiger Teil eines weiterführenden Angebots. Ökosysteme und Plattformen, die über das reine Versicherungsangebot hinausgehen, können sich im Endeffekt positiv auf die Meinung der Versicherten auswirken. Wenn Versicherer beispielsweise auch eine Reiseplattform entwickeln, oder sich an einer bestehenden beteiligen, können die Nutzer mit der Urlaubsbuchung gleichzeitig eine Reiseversicherung abschließen. Kunden interagieren dann nicht mehr nur im Schadenfall mit ihrem Versicherer und so können Versicherer die Präferenzen ihrer Kunden besser kennenlernen. Im Umkehrschluss können sie so verstärkt personalisierte Produkte anbieten und damit die Kundenbindung und -treue stärken.

Bei der Entwicklung neuer Angebote spielen die IT-Systeme eine wichtige Rolle. Innovationsgeschwindigkeit und Integrationsfähigkeit rücken vermehrt in den Fokus. Versicherer sollten deshalb in Bezug auf ihre Systeme umdenken: Mit einer verschlankten, vereinfachten IT können sie den Bedürfnissen der Endkunden besser begegnen. Cloudbasierte Lösungen sind hierfür ideal: Versicherer können Verantwortlichkeiten verstärkt an den Anbieter übertragen, der sich dann um Systembetrieb, Updates und Compliance sowie die Datensicherheit kümmert. Ein starker Partner, der kontinuierlich neue innovative Funktionen bereitstellt, kann die Agilität erhöhen und Markteinführungszeiten verkürzen, was die Business-Agilität von Versicherern erhöht.

Was mich persönlich überrascht hat: Das Verhalten der Versicherer während der COVID-19-Krise hat bei fast jedem vierten der deutschen Befragten zu einem positiveren Bild der Branche geführt, so ein Ergebnis Ihrer Umfrage. Wie haben die Versicherer das erreicht? Es gab ja auch negative Presse, etwa mit Blick auf Betriebsschließungs-Policen.

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Es ist in der Tat so, dass in allen drei befragten Ländern mindestens ein Drittel der Befragten der Meinung ist, dass Versicherer nicht ausreichend für die Menschen getan haben. In Deutschland stand die Versicherungsbranche aber bereits vor der Pandemie in einem vergleichsweise guten Licht. Diese positive Meinung hat sich auch bei einem Viertel nicht verändert. Die Maßnahmen zur COVID-19-Pandemie konnten das Image der Branche bei zahlreichen Versicherungsnehmern zusätzlich aufpolieren. In Großbritannien und Frankreich ist dieser Effekt deutlich weniger zu spüren. Außerdem war seit Beginn der Pandemie auch die Proaktivität der Versicherer gefragt, wenn es zum Beispiel darum ging, welche Schäden im Homeoffice abgedeckt sind, oder wie die veränderte Lebenslage sich auf die Art der benötigten Versicherungen auswirkt.

"Mehrheit vertritt Meinung, dass der Versicherer zu wenig kommuniziert"

Versicherungsbote: Unsere Leser sind Makler und Vermittler: Wobei gerade Makler bekanntlich Sachverwalter des Kunden sind, nicht im Auftrag des Versicherers agieren. Die Vermittlerbranche hat selbst mit einem eher negativen Image zu kämpfen. Welche Rolle können sie einnehmen, um das Image der Versicherungsbranche „aufzupolieren“ und Vorurteile abzubauen?

René Schoenauer: Vermittler und Makler können besonders in den Punkten Kundennähe und Kundenerfahrung punkten. Um das Vertrauen der Versicherten zu stärken, sollten sich Versicherer zusammen mit ihren Vertrieben künftig deshalb auch an die Produktpräferenzen ihrer Kunden anpassen. Diese haben sich während der Pandemie verändert: Krankenversicherungen (43%), Reiserücktrittspolicen (38%) sowie die Absicherung gegen Arbeitsplatzverlust (37%) sind den Versicherungsnehmern inzwischen deutlich wichtiger. Zudem steigt das Bedürfnis sich gegen Zahlungsausfälle abzusichern. Prinzipiell gilt es also, schnell auf sich ändernde Marktbedingungen zu reagieren. Agilität und Innovationskraft halten Vermittler und Makler am Puls der Zeit und damit nahe am Kunden, wodurch sie das volle Marktpotential ausschöpfen können und die Zufriedenheit der Kunden langfristig steigern.

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Ihre Studie hat auch Defizite in der Kundenkommunikation der Versicherer aufgedeckt. Können Sie sagen, welche Defizite und wo die Branche noch Nachholbedarf hat?

Das stimmt. Die Mehrheit der Befragten in allen drei Ländern ist sich einig, dass der Versicherer zu wenig kommuniziert. In ihren Augen liegt die Informationspflicht vor allem auf Seiten der Versicherungsanbieter wie im eben genannten Beispiel des Versicherungsschutzes im Homeoffice. Andererseits sollten Versicherte auch einfach mit ihren Maklern und Vermittlern kommunizieren können. Hier kommt das Omnikanal-Konzept zum Zug: Die nahtlose Kommunikation über verschiedene Kanäle hinweg, ohne dass dabei Informationen verloren gehen. Gerade im Schadenfall ist es immens wichtig, sensibel und angemessen mit dem Versicherten zu kommunizieren. Läuft die Kommunikation reibungslos ab, fördert das die Customer Experience und wirkt sich positiv auf die Kundentreue und Weiterempfehlungsrate aus.


Wenn ich die Ergebnisse Ihrer Studie richtig interpretiere, wünschen sich die Kunden im Schadenfall, den Versicherer auf vielen Kanälen erreichen zu können: das Telefon steht als Kontaktkanal mit 60 Prozent Zustimmung an erster Stelle. Welche Rolle räumen Sie hier persönlichen Ansprechpartnern ein? Besteht die Gefahr, dass die Versicherer zu einseitig auf digitale Kontaktkanäle setzen?

Im Schadenfall greifen tatsächlich die meisten Versicherten am liebsten zum Telefon, aber auch die E-Mail-Kommunikation ist vorne mit dabei. Die digitalen Kontaktkanäle wie Mobile Apps oder virtuelle 1:1-Meetings, wie zum Beispiel über Zoom, sind für knapp ein Drittel der Befragten ebenso interessant. Essenziell dafür ist, dass dem Versicherer die nötigen Informationen vorliegen, um dem Versicherten zu helfen – und das funktioniert, bestätigen zwei Drittel der Befragten. Den Wandel zu verstärkt digitalen Kontaktkanälen würde ich keinesfalls als Gefahr sehen, sondern als natürliche Folge veränderter Kommunikationsgewohnheiten. Wichtig ist, dass jeder Kunde die Art der Kommunikation nach der persönlichen Vorliebe auswählen kann. Und eines ist sicher: Trotz neuer Kommunikationskanäle und dem zunehmenden Einsatz von künstlicher Intelligenz in der Kundenkommunikation wird der persönliche Kontakt zum Kunden weiterhin wichtig sein.

Welche Themen bieten sich aus Ihrer Sicht für eine proaktive Ansprache der Kundinnen und Kunden an? Haben Sie Beispiele?

Vermittler sollten beispielsweise ein Augenmerk auf die individuelle Situation ihrer Kunden legen. Nehmen wir einmal das Beispiel Berufstätigkeit: Viele arbeiten inzwischen größtenteils von zu Hause aus und das wird sich auch nach der Pandemie nicht mehr wirklich ändern, da zahlreiche Arbeitsgeber bereits auf hybride Arbeitsmodelle setzen. Doch drei von fünf Deutschen wissen noch nicht, ob Arbeiten im Homeoffice mit ihrer Hausratversicherung abgedeckt ist. Welcher Versicherungsschutz zum Beispiel in den eigenen vier Wänden gilt, sollten Versicherer proaktiv an ihre Kunden vermitteln, anstatt es den Versicherten zu überlassen, diese Informationen zu erfragen. Neun von zehn Deutschen finden, dass Versicherer gegenüber Versicherungsnehmern wesentlich deutlicher herausstellen müssen, für welche Risiken diese zum Beispiel bei der Arbeit von zu Hause aus versichert sind und für welche nicht.

Individuelle Dienstleistungen zur Schadenprävention sind vor allem für Versicherte zwischen 25 und 34 Jahren interessant (84%). Sie würden es schätzen, wenn Versicherer Warnungen zu Problemen senden, damit sie Schäden vermeiden können. Je älter ein Versicherungsnehmer ist, umso geringer ist das Interesse an derartigen Leistungen, doch auch in der Altersgruppe ab 55 Jahren sind es noch 68 Prozent. Und die Möglichkeiten dafür sind quasi grenzenlos: Es bietet sich zum Beispiel an, Kfz-Prämien am tatsächlichen Verbrauch oder Fahrstil festzumachen, oder mit Hilfe von Smart Home Devices die Versicherungen im Eigenheim abhängig von risikorelevanten Parametern anzupassen.


…ihre Vermutungen: Warum wird die proaktive Ansprache von den Versicherern noch nicht so umfangreich genutzt, wie der Kunde dies wahrscheinlich wünscht?

Häufig fehlt schlichtweg die Zeit im regulären Versicherungsalltag proaktiv auf Kunden zuzugehen, die gerade keine Anfrage stellen. Dies zeigt sich beispielsweise seit Jahren, wenn es um die Kfz-Versicherung geht. Zum Jahresende, wenn die Angebote erneuert werden können, leisten Vermittler und Makler oft wochenlang Überstunden. Durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz können Versicherer ihren Alltag vereinfachen. Zum Beispiel könnte KI bei einfachen Schäden den Vermittler entlasten, indem der Schaden über einen Chatbot gemeldet und schnell automatisiert bearbeitet wird. Die getroffenen Entscheidungen sollten nachvollziehbar bleiben und Intransparenz vermieden werden. Mit der Nutzung fortschrittlicher Technologie und proaktiver und empathischer Kundenkommunikation können Makler, Vermittler und Versicherer also gemeinsam an einer positiveren Kundenansprache arbeiten. Auf diese Weise lässt sich die Customer Journey nachhaltig optimieren, was dem Image der Versicherungsbranche langfristig einen positiven Schub verleiht.

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Die Fragen stellte Mirko Wenig

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