Die Corona-Pandemie hat im vergangenen Jahr deutliche Spuren am Kapitalmarkt hinterlassen. „COVID-19 fordert Lebensversicherer auch in ihrer Finanzstabilität. Das erste Krisenjahr hat die Risikopuffer der Gesellschaften deutlich belastet“, sagt Henning Kühl, Leitender Aktuar von Policen Direkt und Versicherungsmathematiker (DAV) mit Blick auf die aktuellen Solvenzquoten. „Trotz des neuerlichen Zinsverfalls im vergangenen Jahr fallen die Solvenzquoten auf Marktebene weiterhin hoch aus“, ordnet Assekurata-Bereichsleiter Lars Heermann die Ergebnisse ein. „Bei einzelnen Anbietern wird das Solvenzkapital aber zunehmend knapper, auch weil die Wirkung von Übergangsmaßnahmen mit der Zeit abnimmt. Der Umbau des Geschäftsmodells unter den extremen Zinsbedingungen wird dann zu einem echten Kraftakt.“

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Während die internationalen Aktienmärkte die massiven Verluste im Jahresverlauf wieder aufholen konnten, war das Zinsniveau zum Jahresende 2020 niedriger denn je. Ein ähnlicher Trend ist für die Solvenzquoten festzustellen. Auch hier gehen die Werte mehrheitlich, aber nicht bei allen Anbietern zurück.

Die Gesellschaften verzeichnen bei der aufsichtsrelevanten Quote teils deutliche Rückgänge. So sank die aufsichtrelevante Solvenz der Lebensversicherer im Schnitt um 9,98 Prozent und liegt nun bei 390,11 Prozent. Darin sind auch etwaige Übergangsmaßnahmen und Volatilitätsanpassungen enthalten. Die durchschnittliche Netto-Solvenzquote bzw. SCR-Quote (ohne Übergangsmaßnahmen und Volatilitätsanpassung) fiel um 18,77 Prozent auf 211,49 Prozent. Die MCR-Quote, die die „Netto-Mindestkapitalanforderung zum Erhalt des Geschäftsbetriebs“ anzeigt, ist ebenfalls gesunken. Diese Kennzahl gibt an, ob die Versicherer in der Lage sind "im Normalbetrieb", also ohne Krisen-Szenario, aktuelle Verpflichtungen gegenüber ihren Kunden zu erfüllen. Dieser Wert sank im Vergleich zum Vorjahr um 21,98 Prozent auf nun 566,77 Prozent. Das zeigt die Auswertung der Solvenzberichte durch den Zweitmarktanbieter Policen Direkt.

Die Netto-Quote der Versicherer liegt bei 211,49 Prozent. Sie zeigt den Kapitalpuffer ohne Übergangshilfen an. In Summe hätten 17 Gesellschaften ohne diese Hilfen die 100er Marke nicht übersprungen. Einige der Unternehmen befinden sich aber bereits im Run-Off. Zum Vergleich: Ende 2019 waren es erst 13 Unternehmen in dieser Kategorie. Einige Unternehmen befinden sich aber bereits im Run-Off. Derzeit befinden sich 15 Versicherer in „enger Manndeckung“ der BaFin. Bei diesen Gesellschaften liegt die Solvenzquote ohne Übergangsmaßnahme aber mit Volatilitätsanpassungen (SCR +VA) unter dem Schwellenwert von 100. Im vergangenen Jahr waren es noch neun Unternehmen. Bei den Versicherern mit einer Nettoquote von weniger als 100 Prozent gibt es durchaus prominente Namen. So sind unter anderem auch der Debeka Lebensversicherungsverein, die Ergo Leben und die HUK-Coburg Leben betroffen.

Doch wo Schatten ist, da ist auch Licht. Denn immerhin vier Unternehmen können eine Nettoquote von über 400 Prozent vorweisen. Drei weitere Versicherer haben die 500 Prozent-Hürde übersprungen und zwei Unternehmen übertrumpfen alle - sie haben eine Nettoquote von über 800 Prozent. Derzeitiger Branchenprimus ist die Dialog Leben. Der Maklerversicherer weist eine stolze Netto-Quote von 812 Prozent auf. Die Generali-Tochter konnte sich sogar um 3,57 prozent verbessern. Bei der MCR-Quote kann die Dialog sogar eine Quote von 3.246 Prozent vorweisen. Für die Europa Leben ging es um 1,82 Prozent runter. Dennoch landet der Kölner Direktversicherer aus dem Continentale Versicherungsbund mit einer Netto-Quote von 808 Prozent auf Rang zwei. Den dritten Platz der Netto-Quoten-Spitzenreiter kann sich die Ergo Vorsorge Leben sichern. Der Fondsspezialist legt um 10,96 Prozent zu und kommt mit einer Netto-Quote von 577 Prozent ein. Den undankbaren vierten Platz holt die Deutsche Lebensversicherungs-AG. Die Allianz-Tochter erreicht eine Netto-Quote von 548 Prozent. Das sind immerhin 14,64 Prozent weniger als im Vorjahr.

Im Vergleich der Nettoquoten zum Vorjahr gibt es teilweise große Bewegungen. So reichten die Differenzen der Solvenzquoten von Minus 91 bis hin zu einem Plus von 52 Prozent. Von den insgsamt 82 Anbietern konnten immerhin 13 Lebensversicherer ihre Nettoquoten verbessern. Den stärksten Zuwachs im Vergleich zum Vorjahr konnte die ehemalige Generali Leben erzielen. Diese heißt nun Proxalto und konnte die Nettoquote um fast 51,79 Prozent auf 295,98 Prozent verbessern. Auf den Rängen folgen die Talanx-Tochter Lifestyle Protection (+38,00 Prozent) und die Provinzial Rheinland (36,41 Prozent).

Viele Unternehmen mussten aber teilweise deutlich niedrigere Quoten ausweisen. Konkret betrifft das 65 der 82 Versicherer. So haben immerhin 27 Unternehmen eine um über 30 Prozent geringere Netto-Quoten als Ende 2019. Genau 12 Gesellschaften stürzten mit der Nettoquote sogar um über 50 Prozent ab.

Hintergrund: Das europäische Aufsichtsregime Solvency II gibt Versicherern vor, auch für wirtschaftlich schwere Zeiten genügend Eigenmittel vorzuhalten, um alle Verpflichtungen zu erfüllen. Wichtigste Kennzahl dieser Anforderung ist die SCR-Quote – Eigenmittel eines Versicherers werden ins Verhältnis gesetzt zu Verpflichtungen gegenüber den Leistungsempfängern. Dies geschieht durch komplexe Berechnungen gemäß Risikoprofil des Unternehmens. Grundlage der Berechnung ist eine mathematisch simulierte wirtschaftliche Krise, die alle 200 Jahre eintritt.

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Eine SCR- Quote von 100 Prozent bedeutet hierbei, dass der Versicherer sein Eigenkapital während einer solchen Krisensituation exakt aufbrauchen würde. Ein Unternehmen unter 100 Prozent hingegen würde die Krise nicht überstehen. Wer über 100 Prozent kommt, der verfügt noch über ein zusätzliches Kapitalpuffer.

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