Wie stabil stehen die Lebensversicherer da - und sind sie für mögliche Krisen gerüstet? Darüber sollen die sogenannten Berichte zur Solvabilität und Finanzlage (SFCR) Aufschluss geben. Zum fünften Mal mussten die 82 deutschen Anbieter der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) Bericht über ihre Solvenz erstatten.

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Die aufsichtrelevante Solvenz der Lebensversicherer sank im Schnitt um 9,98 Prozent und liegt bei 390,11 Prozent. Darin sind auch etwaige Übergangsmaßnahmen und Volatilitätsanpassungen enthalten. Die durchschnittliche Netto-Solvenzquote bzw. SCR-Quote (ohne Übergangsmaßnahmen und Volatilitätsanpassung) stürzte noch deutlicher ab. Sie liegt bei 211,49 Prozent und damit 18,77 Prozent unter dem Wert des Vorjahres. Das zeigt die Auswertung der Solvenzberichte durch den Zweitmarktanbieter Policen Direkt.

Die Versicherer dürfen aktuell noch mit erleichterten Übergangsregeln rechnen, damit der Übergang ins neue Aufsichtsregime gelingt: unter Solvency II sind die Kapitalanforderungen deutlich verschärft worden. Hier lässt bereits aufhorchen, wie viele Gesellschaften nach wie von dieser Stütze Gebrauch machen. Aktuell nehmen noch 60 der 82 Versicherer für ihre Solvenzberichte Bilanzierungshilfen in Anspruch. Die erleichterten Bedingungen müssen bei der BaFin angemeldet werden. Bis zum Jahr 2032 dürfen die Versicherer mit erleichterten Bedingungen rechnen, um nachzuweisen, wie finanzstark sie sind. Volatilitätsanpassung zählen jedoch nicht zu den Übergangsmaßnahmen. Dieses Mittel können die Versicherer auch nach dem Jahr 2032 noch in Anspruch nehmen.

Während die Finanzaufsicht also auf die Bruttoquoten schaut, bildet die Nettoquote ab, wie die Versicherer ohne diese Erleichterungen dastehen würden. Im Schnitt verbessern die Übergangsmaßnahmen die Quoten um stolze 156 Prozentpunkte (2019:148).

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„COVID-19 fordert Lebensversicherer auch in ihrer Finanzstabilität. Das erste Krisenjahr hat die Risikopuffer der Gesellschaften deutlich belastet“, sagt Henning Kühl, Leitender Aktuar von Policen Direkt und Versicherungsmathematiker (DAV) mit Blick auf die aktuellen Solvenzquoten. "Vor allem das weiter gesunkene Zinsniveau hat zu einer Erhöhung der Kapitalanforderungen oder zu einem Rückgang bei den anrechnungsfähigen Eigenmitteln geführt. Das hat Auswirkungen auf die Solvenzquoten.". Als Reaktion auf die Entwicklung und die damit verbundenen gesunkenen Kennzahlen, wurden von den Gesellschaften weitere bilanzielle Hilfen wie zum Beispiel Übergangsmaßnahmen bei der BaFin beantragt.

17 Lebensversicherer nur mit Übergangshilfen ausreichend solvent

Beim genauen Blick auf die Kennzahlen gilt es zu differenzieren. Denn grob vereinfacht zeigt die Bedeckungsquote, ob der Versicherer einen ausreichend großen Kapitalpuffer besitzt, um alle Ansprüche der Kunden auch dann bedienen zu können, wenn sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verschlechtern. Ein Wert unter 100 Prozent wird hierbei als kritisch bewertet. Fällt die Solvenquote ohne Übergangsmaßnahmen (SCR + VA) des Versicherers unter diesen Wert, greift die Versicherungsaufsicht der BaFin ein. Dann muss der Versicherer Maßnahmen vorlegen, um seine Finanzstabilität zu verbessern: und die Aufsichtsbehörde prüft den Erfolg. Aufsichtschef Frank Grund sprach von einer „Manndeckung“, in der sich die Versicherer befinden.

Zur besseren Einordnung weist Policen Direkt mehrere Solvenzquoten aus. Für die Finanzaufsicht wichtig ist die Brutto-Solvenzquote, die von den Versicherern standardmäßig berichtet wird. Hier sind bereits Übergangsmaßnahmen und sogenannte Volatilitätsanpassungen eingerechnet. Diese liegt bei 390,11 Prozent. Darüber hinaus weist die Studie auch die Netto-Quote der Versicherer aus. Sie zeigt den Kapitalpuffer ohne Übergangshilfen (Übergangsmaßnahmen und Volatilitätsanpassungen) an. Insgesamt 17 Versicherer hätten ohne diese Hilfen den Schwellenwert von 100 nicht erreicht. Im vergangenen Jahr waren es noch 13 Unternehmen. Einige Unternehmen befinden sich aber bereits im Run-Off.

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Insgesamt 15 Versicherer befinden sich in „enger Manndeckung“ der BaFin. Bei diesen Gesellschaften liegt die Solvenzquote ohne Übergangsmaßnahme (SCR +VA) unter dem Schwellenwert von 100. Im vergangenen Jahr waren es noch neun Unternehmen. (In einer früheren Version des Textes haben wir hier die Nettoquote (SCR) angeführt. Das ist nicht korrekt.)

Diese Versicherer haben eine Nettoquote unter 100 Prozent:

  • Landeslebenshilfe (0 Prozent)
  • Süddeutsche Lebensversicherung (0 Prozent)
  • Versicherer im Raum der Kirchen (3 Prozent)
  • Öffentliche Lebensversicherung Oldenburg (10 Prozent)
  • DEVK Leben (13 Prozent)
  • PB Lebensversicherung (20 Prozent)
  • Frankfurter Münchener Lebensversicherung (25 Prozent/Run-Off)
  • Signal Iduna Lebensversicherung (33 Prozent)
  • DEVK Allgemeine (36 Prozent)
  • Debeka Lebensversicherungsverein a.G. (36 Prozent)
  • Frankfurter Lebensversicherung (38 Prozent/Run-Off)
  • Ergo Leben (52 Prozent/Run-Off)
  • Athora Lebensversicherung (66 Prozent/Run-Off)
  • HUK-Coburg Leben (67 Prozent)
  • Bayerische Beamten Leben (70 Prozent/Run-Off)
  • HDI Lebensversicherung (84 Prozent)
  • neue leben (87 Prozent)

Diese Versicherer würden die Hürde der Bedeckungsquote von 100 Prozent - ohne Übergangshilfen und mit Volatilitätsanpassungen - reißen:

  • Landeslebenshilfe (0 Prozent)
  • Süddeutsche Lebensversicherung (0 Prozent)
  • Versicherer im Raum der Kirchen (10 Prozent)
  • Öffentliche Lebensversicherung Oldenburg (24 Prozent)
  • DEVK Leben (19 Prozent)
  • PB Lebensversicherung (59 Prozent)
  • Frankfurter Münchener Lebensversicherung (32 Prozent/Run-Off)
  • Signal Iduna Lebensversicherung (44 Prozent)
  • DEVK Allgemeine (42 Prozent)
  • Debeka Lebensversicherungsverein a.G. (46 Prozent)
  • Frankfurter Lebensversicherung (47 Prozent/Run-Off)
  • Ergo Leben (62 Prozent/Run-Off)
  • Athora Lebensversicherung (76 Prozent/Run-Off)
  • HUK-Coburg Leben (73 Prozent)
  • Bayerische Beamten Leben (75 Prozent/Run-Off)

Darüber hinaus wird auch die MCR-Quote ausgewiesen. Sie zeigt die „Netto-Mindestkapitalanforderung zum Erhalt des Geschäftsbetriebs“ an. Was dies bedeutet, steckt bereits im Namen: Sie gibt an, ob die Versicherer in der Lage sind "im Normalbetrieb", also ohne Krisen-Szenario, aktuelle Verpflichtungen gegenüber ihren Kunden zu erfüllen. Dieser Wert sank im Vergleich zum Vorjahr um 21,98 Prozent auf nun 566,77 Prozent.

Die wichtigsten Zahlen in Kürze:

  • Aufsichtsrelevante Bruttoquote: 390 Prozent (2019: 428 Prozent)
  • Nettoquote (SCR-Quote +VA): 234 Prozent (2019: 279 Prozent)
  • Nettoquote (SCR-Quote): 211 Prozent (2019: 256 Prozent)
  • Mindestanforderung: MCR-Netto-Quote 567 Prozent (2019: 716 Prozent)
  • 15 Versicherer mit Nettoquote +VA < 100 Prozent (2019: 9)
  • 17 Versicherer mit Nettoquote < 100 (2019: 13)
  • 13 Versicherer mit Mindestquote (MCR-Netto) < 100 (2019: 7)
  • 67 Versicherer haben sich bei der relevanten Nettoquote +VA im Vergleich zum Vorjahr verschlechtert, 15 verbessert.
  • 60 Lebensversicherer (2019: 58) haben bei der BaFin Übergangsmaßnahmen beantragt.
  • 67 Lebensversicherer (2019: 59) haben Volatilitätsanpassungen bei der BaFin beantragt.
  • Übergangsmaßnahmen verbessern die Quoten im Schnitt um 156 Prozentpunkte (2019:148)

Einige Versicherer stehen durch die aktuell schwierige Lage nun vor noch größeren Herausforderungen. Das betrifft vor allem kleinere Versicherer mit hohem Garantiebestand und diejenigen, die bereits in der Vergangenheit nur mit Übergangsmaßnahmen eine Solvenzquote von über 100 Prozentpunkten erreicht haben. Wie die Korridor-Analyse verdeutlicht, geht es hier mitunter darum, überhaupt noch Neugeschäft zeichnen zu können. Jüngst hat hier Bafin-Exekutivdirektor Frank Grund darauf hingewiesen, dass hier Versicherer in den nächsten Jahren große Schwierigkeiten bekommen könnten und damit ihre Lizenz für das Neugeschäft riskieren.

21 Lebensversicherer mit Spielraum im Neugeschäft

Darüber hinaus hat Aktuar Kühl die Versicherer in verschiedene Korridore eingeteilt. Aus den Nettoquoten leitet er ab, welches Unternehmen sich auch im Neugeschäft Garantien leisten kann und welches bei der Produktentwicklung tendenziell eher kleinere Spielräume hat.

22 Unternehmen vor großen Herausforderungen (Nettoquote unter 150 Prozent): Bei 22 Unternehmen (2019: 19) ginge es um bestehende Garantieanforderungen und darum, sich in Zukunft überhaupt noch Neugeschäft leisten zu können.

39 Unternehmen weitgehend gerüstet (Nettoquote 150 – 300 Prozent): 39 Unternehmen (2019: 29) sieht Kühl im grünen Bereich, mit einer Nettoquote von 150 bis 300 Prozent, und damit weitgehend finanzstark und gerüstet für Extremszenarien. Sie seien in der Lage, den eingegangenen Versprechen unverändert auch in Zukunft nachzukommen.

21 Unternehmen mit Spielraum für Garantien (Netto über 300 Prozent): Erfreulich ist, dass immerhin 21 Unternehmen (2019: 36) aufgrund ihrer vergleichsweise komfortablen Solvenzkapitalausstattung sehr gut gewappnet sind und weitere Verschärfungen der Lage bewältigen oder im Neugeschäft weitreichende Zusagen geben könnten.

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Ob ein Unternehmen seine Spielräume auch tatsächlich nutze, sei eine Frage der Strategie, gibt Kühl zu bedenken. Er empfiehlt, sich nicht allein auf Solvenzquoten bei der Einschätzung eines Versicherers zu verlassen. Auch Daten zu Ertragsquellen und Gewinnbeteiligungen geben zum Beispiel weitere wichtige Einblicke.

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