Der Anspruch auf Witwen- und Witwerrente wird in Paragraf 46 des Sechsten Sozialgesetzbuchs (SGB VI) definiert. So muss gemäß Absatz 2a eine Ehe mindestens ein Jahr gedauert haben, bevor überhaupt Anspruch auf eine solche Rente besteht. Ansonsten wird zunächst angenommen: Ziel der Heirat wäre eine so genannte „Versorgungsehe“ gewesen – mit dem alleinigen oder überwiegenden Zweck, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Diese Vorschrift wurde mit dem Altersvermögensergänzungsgesetz (AVmEG) vom 21. März 2001 eingeführt.

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Hinterbliebenenrente nach kurzer Ehe: Nur bei Gegenbeweis

Nicht immer aber ist eine solche Annahme eines missbräuchlichen Heiratens gerechtfertigt. Demnach gesteht der Paragraf auch „besondere Umstände“ zu, um die Annahme einer Versorgungsehe zu widerlegen. Gelingt der Beweis solcher Umstände, besteht auch bei Ehen von kürzerer Dauer als einem Jahr Anspruch auf Hinterbliebenenrente.

Einer dieser Umstände ist zum Beispiel ein plötzlicher und unvorhersehbarer Tod einer Partnerin oder eines Partners – zum Beispiel durch ein tragisches Unglück. Ein weiterer gewichtiger Umstand ist die Erziehung eines minderjährigen Kindes des Verstorbenen durch den Hinterbliebenen. Was allerdings kein Grund ist: Eine Heirat nach langem eheähnlichen Zusammenleben bei schwerer Krankheit. Dies veranschaulicht ein Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 16.09.2014 (Az. L 2 R 140/13).

Fall vor dem Landessozialgericht: Tod nach vier Monaten Ehe

Zunächst scheint der Sachverhalt eindeutig: Eine Frau, die 2003 schon einmal an Brustkrebs erkrankte und durch eine Chemotherapie die Ausbreitung des Krebses zunächst stoppen konnte, bekam Anfang April 2008 eine äußerst traurige Diagnose gestellt. Denn nachdem sie sich aufgrund starker Kopfschmerzen mit Übelkeit, Erbrechen und Sehstörungen in die Universitätsklinik Frankfurt am Main begab, wurde dort eine Tumorerkrankung mit Hirnmetastasen und einem Befall der Hirnhäute – eine Meningeosis carcinomatosa – diagnostiziert. Die Frau unterzog sich in den Folgemonaten mehreren Chemo- und Strahlentherapien. Wie aber ihre Erkrankung vermuten ließ – die mittlere Überlebensdauer bei Anschlagen der Therapien beträgt 7,5 Monate – verstarb die Frau im Oktober 2008.

Noch vor ihrem Tod aber, im Juni 2008, heiratete die schwer erkrankte Frau ihren langjährigen Lebenspartner. Die Ehe dauerte gerade einmal vier Monate. Der Ehemann stellte dennoch im Januar 2010 Antrag auf Gewährung einer Witwerrente bei der gesetzlichen Rentenversicherung.

Erwartbar wurde der Antrag mit Hinweis auf den Krankheitsverlauf und die Ehedauer abgelehnt – der Rentenversicherungsträger nahm schlicht eine Versorgungsehe gemäß Paragraf 46 Abs. 2a an. Ein Anspruch auf Hinterbliebenenrente bestand demnach laut Rentenversicherung nicht. Der Witwer sah dies anders, ging ins Widerspruchverfahren, verwies hierbei u.a. auf ein langjähriges eheähnliches Zusammenleben mit der Verstorbenen: obwohl seine Ehe nur vier Monate Bestand hatte, lebte er mit der Frau schon zwanzig Jahre in einer ehegleichen Gemeinschaft zusammen. Trotz dieses Hinweises blieb aber der Widerspruch gegen den Bescheid erfolglos. Also klagte der Mann erst vor dem Sozialgericht (SG) Frankfurt (Az. S 10 R 502/11) und – nach Abweisung der Klage – in Berufung vor dem Hessischen Landessozialgericht.

Begründen 20 Jahre monogames Zusammenleben keinen Anspruch auf Witwerrente?

Der Witwer beteuerte nun vor Gericht, für 20 Jahre hätte ein durchgehendes Liebesverhältnis ohne Einschränkungen und Unterbrechungen bestanden. Vor Gericht bezeugten dies Mitglieder seiner Familie sowie Freunde. Auch blieb die Beziehung nach Aussage des Klägers monogam. Mehr noch: Das Paar hätte laut Aussage des Mannes schon länger die Absicht gehabt, zu heiraten. Auch dieser Umstand spräche gegen eine Versorgungsehe. Nur wurde dieser Schritt nie in die Tat umgesetzt.

Zwar blieb die lange Partnerschaft kinderlos – ein für die Urteilsfindung nicht unerheblicher Fakt. Kann doch das Vorhandensein gemeinsamer leiblicher Kinder zu jenen besonderen Umständen zählen, die den Verdacht einer Versorgungsehe widerlegen. Die Kinderlosigkeit aber hätte berufliche Gründe gehabt. Denn beide Partner arbeiteten für eine Fluggesellschaft; sie waren oft getrennt in verschiedenen Ländern unterwegs. Ein Kinderwunsch wäre vorhanden gewesen, seine Umsetzung hätte aber zur Bedingung gehabt, dass man der Frau eine Stelle beim Bodenpersonal der Fluggesellschaft anbot. Dies wäre durch den Arbeitgeber nicht erfolgt.

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Auch Fotos einer glücklichen Braut sollten das Vorliegen einer Versorgungsehe widerlegen und beweisen, dass ein lange geplanter Schritt nun in die Tat umgesetzt wurde. Zumal das Paar eine aufwendige Hochzeitsfeier veranstaltete – auch dies sah der klagende Witwer als Beweis gegen eine Versorgungsehe. Jedoch: vor dem Berufungsgericht hatte der Mann ebenso wenig Erfolg wie vor der ersten gerichtlichen Instanz.

Langes Zusammenleben ohne Trauschein erhärtet Verdacht der Versorgungsehe

Denn das Hessische Landessozialgericht entschied ebenfalls: Der Mann hat keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente. Der Senat wies folglich die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts zurück. Auch eine Revision wurde nicht zugelassen. Unter anderem stellte das Gericht heraus: Trotz eines 20-jährigen eheähnlichen Zusammenlebens kann der alleinige oder überwiegende Zweck einer Ehe das Beziehen der Hinterbliebenenversorgung sein.

Zunächst erklärte das Gericht: Die Vermutung einer Versorgungsehe ist nur dann widerlegt, wenn die Abwägung aller zur Eheschließung führenden Motive ergibt, dass eben nicht die Hinterbliebenenrente Zweck der Heirat war. Notwendig ist von den Hinterbliebenen hier ein Vollbeweis: Gewichtige Motive müssen in der Gesamtschau das Gegenteil einer Versorgungsehe beweisen. Und je schwerer die Krankheit vor Eheschluss und je ungünstiger die Verlaufsdiagnose, desto gewichtiger müssen die Umstände für den Gegenbeweis sein.

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Je schwerer die Diagnose, desto schwerer der Gegen-Beweis

Eine Besiedlung der Hirnhäute mit metastasierenden Krebszellen hat eine äußerst ungünstige Prognose: die durchschnittliche Überlebenszeit ohne Behandlung beträgt nur Wochen, mit Behandlung beträgt sie wenige Monate. Nur in Ausnahmefällen überleben Erkrankte länger als ein Jahr. Dass beiden Ehepartnern diese Prognose nicht bewusst war, glaubte das Gericht nicht. Zwar: In manchen Fällen kann tatsächlich fehlende Aufklärung über Krankheitsverläufe ein Umstand sein, der gegen eine Versorgungsehe spricht. Eine solche aber erscheint auch mit Blick auf die Krankheitsgeschichte der Frau unglaubwürdig.

Verzicht auf Pflichten bedeutet Verzicht auf Rechte

Mehr noch: die lange Dauer der eheähnlichen Gemeinschaft spricht aus Sicht des Senats nicht gegen das Vorliegen einer Versorgungsehe, sondern sogar dafür. Liegt doch einem Zusammenleben ohne Trauschein in der Regel die bewusste, freie Entscheidung zugrunde, nicht zu heiraten – und damit nicht den vielfältigen gesetzlichen Regelungen zu unterliegen, die für Eheleute gelten. Das Paar hatte sich dauerhaft auf eine nichteheliche Lebensgemeinschaft eingerichtet – und wollte sich demnach lieben und miteinander leben, ohne verheiratet zu sein. Dass der Grund der Eheschließung nicht die Hinterbliebenenrente war, kann demnach durch den Witwer nicht glaubwürdig bewiesen werden.

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Auch die bloße Behauptung längerer Heiratspläne reiche für den Gegenbeweis – und damit für einen Anspruch auf Hinterbliebenenrente – nicht aus. Denn damit konkrete vorherige Heiratspläne den Verdacht einer Versorgungsehe ausschließen können, muss der Kläger ganz konkrete Schritte einer Eheplanung zu früheren Zeiten belegen können. Das jedoch gelang dem Mann vor dem Hessischen Landessozialgericht nicht. Das Urteil ist auf den Seiten der hessischen Justiz verfügbar.

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