„Weniger ist mehr“: Ein Slogan, der sich gleich mehrfach anwenden lässt, wenn man auf Zahlenmaterial zu Unternehmensinsolvenzen schaut. Anders als befürchtet, liegt die Zahl der Firmenpleiten niedriger als in den Vorjahren. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes wurden deutschen Amtsgerichten im Juli 2020 16,7 Prozent weniger Unternehmensinsolvenzen gemeldet, als im Juli 2019.

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Hintergrund dafür ist die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht, die für Unternehmen, die überschuldet, aber nicht zahlungsunfähig sind, bis zum 31. Dezember 2020 verlängert wurde.

Doch gleichzeitig mit dem Rückgang der Insolvenzen („weniger“), stieg die Summe der voraussichtlichen Forderungen der Gläubiger im Juli 2020 auf 3,9 Milliarden Euro („mehr“). Im Vorjahr lag dieser Wert bei 2,8 Milliarden Euro. Das Statistische Bundesamt führt diese Entwicklung darauf zurück, dass im Juli 2020 mehr wirtschaftlich bedeutende Unternehmen Insolvenz beantragt haben, als im Juli 2019.

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Zahlungsausfall-Risiko gestiegen

Die zweite Anwendung von „weniger ist mehr“ betrifft Lieferanten. Bei weniger Umsatz würden sie immer höhere Risiken eingehen, um überhaupt Geschäft zu schreiben, beobachtet man bei Atradius, einem der führenden Kreditversicherer in Deutschland. „Viele Unternehmen befinden sich aufgrund der Corona-Krise in der wohl schwierigsten Situation ihrer Firmengeschichte. Doch gerade jetzt sollten Lieferanten nur verantwortbare Risiken eingehen und nicht auf die Strategie ‚Geschäftsabschluss um jeden Preis‘ setzen“, sagt Dr. Thomas Langen, Senior Regional Director Deutschland, Mittel- und Osteuropa von Atradius. Der Versicherer stellte im November sein „Zahlungsbarometer“ vor. Schon wenige beispielhaft ausgewählte Ergebnisse verdeutlichen die gestiegene Risikolage:

  • Seit Beginn der Pandemie fielen 7 Prozent des Gesamtwerts der Forderungen von hiesigen Firmen aus und mussten als uneinbringlich abgeschrieben werden. Im Vorjahr lag dieser Wert bei 2,1 Prozent.
  • Die durchschnittlichen Zahlungsfristen in Deutschland sind von 22 Tagen vor der Pandemie auf 92 Tage während der Pandemie gestiegen.
  • Bei 56 Prozent der befragten Unternehmen stiegen die Eintreibungskosten.
  • Die Zahlungsverzüge stiegen durchschnittlich um 65 Prozent gegenüber dem Vorjahr an.

Warenkreditversicherung: 70 Prozent der Unternehmen verzichten darauf

„Die für uns größte Überraschung war, wie viele deutsche Unternehmen die Gefahr von Zahlungsausfällen im Inlandsgeschäft unterschätzen. So will fast die Hälfte der befragten Firmen in den kommenden Monaten mehr Geschäfte mit Zahlungsziel gewähren. Rund 70 Prozent wollen solche Warenkredite nicht mit einer Versicherung absichern. Solche Blankokredite stellen immer ein großes Risiko für die Liquidität eines Unternehmens dar. In der jetzigen Krise können sie ganz schnell auch das unternehmerische Aus bedeuten. Ohne Versicherungsschutz bleibt der Lieferant, dessen Abnehmer den Gang zum Amtsgericht antreten muss, auf seinen Kosten sitzen. Häufig folgt darauf die eigene Insolvenz. Vor diesem Hintergrund ist es gerade jetzt umso wichtiger, dass Firmen nur verantwortungsvolle Risiken eingehen. Hier kommen wir als Kreditversicherer ins Spiel“, so Thomas Langen, der gleichzeitig Sprecher der Kommission Kreditversicherung des Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) ist.

Diese Kommission einigte sich nun mit der Bundesregierung auf die Fortführung des gemeinsamen Schutzschirms für Lieferketten. „Wir haben dafür gekämpft, dass unsere Kunden ihre Geschäfte auch in den kommenden sechs Monaten nahezu unverändert fortführen können – trotz erheblich gestiegener Risiken“, sagt Ron van het Hof, CEO von Euler Hermes in Deutschland, Österreich und der Schweiz. „Das ist in einer solchen Krise keine Selbstverständlichkeit. Um dieses Ziel zu erreichen, haben wir den Schutzschirm für Lieferketten maßgeblich mitgestaltet und uns in den letzten Wochen sehr für die Verlängerung stark gemacht. Wir leisten damit auch weiterhin einen erheblichen volkswirtschaftlichen Beitrag. Damit legen wir einen der wichtigsten Grundsteine für eine rasche weitere Stabilisierung der hiesigen Wirtschaft und Unternehmen, insbesondere im Mittelstand. In der aktuell sehr volatilen Situation ist es wichtig, die Erholung fortzuschreiben. Wir gehen davon aus, dass dadurch viele Unternehmen bis Ende Juni in die Erfolgsspur zurückfinden.“

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Konkret sieht die Vereinbarung eine Garantie des Bundes für Entschädigungszahlungen der Kreditversicherer von März bis 30. Juni 2021 in Höhe von 30 Milliarden Euro vor. Im Gegenzug verpflichten sich die Kreditversicherer, die Kreditlimite im bestehenden Umfang von derzeit rund 400 Milliarden Euro weitestgehend aufrecht zu erhalten. Darüber hinaus tragen die Kreditversicherer Verluste in Höhe von bis zu 500 Millionen Euro selbst, übernehmen die Ausfallrisiken, die über die Garantie des Bundes hinausgehen und führen zwei Drittel ihrer gesamten Prämieneinnahmen für das Jahr 2020 an den Bund ab. Im Jahr 2019 beliefen sich die Prämieneinnahmen auf 817 Millionen Euro. Die Vereinbarung zwischen Bundesregierung und Kreditversicherern gilt rückwirkend für Entschädigungszahlungen seit März 2020.

Auch die R+V Versicherungen, die nach eigenen Angaben etwa ein Drittel aller Unternehmen mit einer Warenkreditversicherung in Deutschland in den eigenen Büchern führt, begrüßte die Verlängerung des Schutzschirms: „Der Schutzschirm gibt uns die Möglichkeit, die Zusagen an unsere Kunden aufrechtzuerhalten. Wir können sie in vielen Fällen sogar ausweiten – beispielsweise, wenn sich die Geschäftsmodelle der Kunden geändert haben und weitere Linien benötigt werden“, so Alexander Niemeyer, Leiter der Kredit-/Kautions- und Vertrauensschadenversicherung bei der R+V Versicherung. Der Versicherer konnte sein Kreditvolumen 2020 um etwa 13 Prozent ausbauen und überschritt nach einem zweistelligen Beitragswachstum deutlich die Beitragsgrenze von 100 Millionen Euro. Um weiterhin seriöse Kreditentscheidungen treffen zu können, hat Niemeyer sein Team Mitte des Jahres sogar deutlich aufgestockt.

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