Versicherungsbote: Eine selbstständige Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) ist in Form einer betrieblichen Direktversicherung (bBU) möglich. Wie wird diese Option bisher am Markt angenommen? Man liest auch in Fachmedien eher selten über diese Absicherung.

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Heiner Herbring: Die betriebliche Berufsunfähigkeitsversicherung (bBU) gewinnt zunehmend an Bedeutung. Vielen Vermittlern ist diese Möglichkeit oftmals nicht bewusst bzw. es gibt immer noch Vorurteile im Vergleich zur privaten Absicherung der Arbeitskraft. Dabei ist es vor allem für Arbeitgeber aus Branchen mit einem hohen Arbeitsrisiko oder mit körperlichem Verschleiß (Handwerk, Produktion, Pflege etc.) ein weiterer, attraktiver Mitarbeiter-Benefit! Viele dieser Arbeitnehmer scheuen nämlich oftmals die private Absicherung der Arbeitskraft, da die Versicherer die Prämien für diese Berufsgruppen aufgrund des höheren Leistungsrisikos sehr hoch kalkulieren. Heiner Herbring, Geschäftsführer der Herbring GmbH
Über die bBU in Form einer Direktversicherung und einer beitragsorientierten Leistungszusage (BOLZ), auch mit der Überschussverwendung „Bonusrente“ bei der bBU, hat der Mitarbeiter jedoch die gleiche steuer- und sozialversicherungsrechtliche Förderung wie bei der betrieblichen Altersvorsorge (bAV). Das heißt: In der Regel kann sich der Arbeitnehmer dadurch im Schnitt für die Hälfte des Aufwands im Vergleich zu einer privaten Absicherung der Arbeitskraft versichern. Zudem gibt es auch schon Gesellschaften, welche sogar Grundfähigkeitstarife im Rahmen der bAV bieten – als weitere, oftmals beitragstechnisch günstigere Alternative zur BU. Aufgrund der gesetzlichen Regelungen der bAV existieren allerdings einige Einschränkungen bezüglich der Produktgestaltung. So können entgegen der Privatlösung bei der bBU zum Beispiel keine Leistungen bei Arbeitsunfähigkeit oder zusätzliche Pflegeleistungen mit eingeschlossen werden.

Wer eine betriebliche Berufsunfähigkeitsversicherung abschließen will, muss auch Gesundheitsfragen beantworten. Sind die Voraussetzungen hier ähnlich streng wie bei einer „normalen“ BU? Wie funktioniert das bei Gruppenverträgen?

Andreas Seidl: An sich müssen auch in der bBU Gesundheitsfragen beantwortet werden. Aber: Aufgrund von Sonderkonzepten oder ab einer bestimmten Kollektivgröße mildert sich diese Tatsache ab. Deswegen werden hier tatsächlich entweder keine oder nur geringe Gesundheitsfragen oder Gesundheitserklärungen notwendig. Das reduziert dann natürlich die Anzahl von möglichen Ablehnungen des Versicherers aufgrund von Vorerkrankungen – und solche Ablehnungen würden sicherlich nicht allzu positiv vom Mitarbeiter aufgenommen.

... daran anknüpfend: Gibt es auch Versicherer, die komplett auf Gesundheitsfragen verzichten? Drohen in diesem Fall Leistungslücken gegenüber einem Schutz mit solchen Fragen?

Andreas Seidl: In der Regel gibt es am Markt ab zehn Mitarbeitern (Anmeldung innerhalb einer bestimmten Frist) die Regelung, dass lediglich eine sogenannte Dienstobliegenheitserklärung des Arbeitgebers abgegeben werden muss. Zudem gibt es weitere Sonderkonzepte mit verminderten Gesundheitsfragen beziehungsweise einer einfachen Gesundheitserklärung des Arbeitnehmers. „Leistungslücken“ gibt es dadurch nicht. Oder beziehen Sie sich auf das Thema einer eventuellen vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung? Bei einer Dienstobliegenheitserklärung des Arbeitgebers in einem Kollektiv gibt es diese Erklärung ja auch nur bei Vorliegen der definierten Voraussetzungen. Bei verminderten Gesundheitsfragen, zum Beispiel in einem Sonderkonzept, müssen diese natürlich genauso wahrheitsgemäß vom Arbeitnehmer beantwortet werden wie auch bei einem Privatvertrag.

Stichwort Berufsgruppen-Differenzierung: Ist ein solcher BU-Schutz über den Betrieb auch für Risikoberufe problemlos und zu einem guten Preis absicherbar – etwa für Pfleger, Gerüstbauer und andere Berufe mit hohem Risiko?

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Heiner Herbring: Wie schon bei Ihrer ersten Frage von mir erwähnt, sind es gerade diese Arbeitgeberbranchen bzw. Arbeitsrisiken, welche davon profitieren! Aber nicht jeder Versicherer bietet für jeden Risikoberuf eine Absicherung über ein bBU-Kollektiv an! Zudem sind in den bBU-Konzepten auch oftmals Höchstgrenzen für die Rentenhöhe vorgesehen. Und bei „schlechteren“ Berufsgruppen sind diese Grenzen dann auch teils niedriger als zum Beispiel für kaufmännische Berufe.

Arbeitgeberwechsel und die bBU

Ist eine bBU auch für kleine und mittlere Unternehmen eine Option? Müssen diese vielleicht in der Beratung anders angesprochen werden als große Konzerne?

Heiner Herbring: Natürlich ist sie auch für kleine und mittlere Unternehmen interessant. Lediglich der Vorteil bezüglich der Gesundheitsfragen über eine Kollektivlösung ist eben von einer Mindestanzahl abhängig. Von diesem profitieren eben größere Betriebe – dort gibt es auch oftmals die Anforderung, dass zum Beispiel auch Angehörige der Mitarbeiter von den Vorteilen des betrieblichen Konzepts profitieren sollen.

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In der heutigen Zeit ist es Gang und Gebe, dass man im Laufe der Erwerbsbiographie seinen Arbeitgeber wechselt. Unter welchen Bedingungen kann eine betriebliche BU weitergeführt werden?

Andreas Seidl: Wir bewegen uns ja hier im Rechtsbereich der bAV im Rahmen der Direktversicherung über eine BOLZ. Damit hat der Arbeitnehmer genauso wie bei einer bAV als Altersrente die Möglichkeit, den Vertrag privat fortzuführen oder vom neuen Arbeitgeber übernehmen zu lassen. Oftmals hat der neue Arbeitgeber aber Vorbehalte, welche meistens auf Unkenntnis und Unsicherheit fußen. Hier sollte der Makler seine Unterstützung anbieten. Er kann so eventuell den neuen Betrieb mit gleichen Herausforderungen ebenfalls von diesem betrieblichen Benefit begeistern.

... gibt es Nachteile gegenüber der Lösung, dass ein Versicherungsnehmer privat einen BU-Schutz abschließt: etwa mit Blick auf Steuern und den Leistungsfall? Gerade Versicherungsmakler sind ja verpflichtet, über solche Nachteile aufzuklären.

Andreas Seidl, Betriebswirt bAV (FH)Andreas Seidl: Ja! Obwohl ich eher von Unterschieden als von Nachteilen sprechen würde. Im Leistungsfall muss die Rente aus einer bBU nämlich anders versteuert und verbeitragt werden (volle Versteuerung und Kranken-/ Pflegepflichtversicherung) als bei einer privaten BU-Absicherung (Ertragsanteilbesteuerung). Gerade bei langer BU-Leistungsdauer ist der zu versteuernde Anteil deutlich höher als bei einem privaten Vertrag. Allerdings kompensiert sich der Unterschied wieder, wenn man mit dem „Nettobeitrag“, welchen der Arbeitnehmer aufgrund der staatlichen Förderung der bAV für seine bBU bezahlen muss, eine Berechnung für eine private BU-Absicherung macht. Dort ist dann die Rente natürlich von Haus aus niedriger, was die unterschiedliche steuerliche Behandlung im Leistungsfall sozusagen wieder ausgleicht. Zudem muss man den Arbeitnehmer darauf hinweisen, dass er bei privater Übernahme des Vertrags auch den vollen Beitrag zu zahlen hat! Ebenso ist es wichtig, den Arbeitnehmer über die Auswirkungen von sogenannten entgeltfreien Zeiten (längere Krankheit, Elternzeit etc.) aufzuklären. Hier muss er ebenfalls den vollen Betrag natürlich weiterbezahlen (da in dieser Zeit keine staatliche Förderung nutzbar ist), falls er auch weiterhin Versicherungsschutz genießen möchte! Deshalb empfiehlt sich für eine bBU nach Möglichkeit auch eine jährliche Zahlweise, um so im besten Fall auch in entgeltfreien Zeiten Versicherungsschutz zu haben!

Was ist außerdem noch mit Blick auf Sozial- und Krankenversicherungs-Beiträge bei der bBU zu beachten?

Andreas Seidl: Auf BU-Rentenzahlungen aus einer bBU sind auch Beiträge zur Kranken- und Pflegepflichtversicherung abzuführen. Anders ist es nur für PKV-versicherte Arbeitnehmer. Aber die haben ja auch keine Sozialversicherungsersparnis und müssen ihren Beitrag selbst übernehmen.
Bei einer privaten Berufsunfähigkeitsversicherung kommt es zudem darauf an, ob zusätzlich Anspruch auf gesetzliche Erwerbsminderungsrente besteht. Dann müssen keine Beiträge zur Kranken- und Pflegepflichtversicherung auf die BU-Rente abgeführt werden. Wenn aber kein Anspruch auf Erwerbsminderungsrente besteht, muss sich der Arbeitnehmer freiwillig in der GKV versichern. Dann müssen auch dort Beiträge abgeführt werden!

Wie stark beteiligen sich die Arbeitgeber an einer solchen Versicherung? Kann das lohnen? Wie sind hier Ihre Erfahrungen?

Heiner Herbring: Durch das Betriebsrentenstärkungsgesetz, welches in 2018 in Kraft getreten ist, muss sich jeder Arbeitgeber bei einer Direktversicherung gegen Entgeltumwandlung auch mit einem Zuschuss aus der anfallenden Sozialversicherungs-Ersparnis für den Arbeitgeber beteiligen – mindestens mit 15 Prozent. Ausnahmen bei weniger SV-Ersparnis sind zwar möglich, jedoch aufgrund dynamischer Anpassung der SV-Grenzen nicht ratsam. Dies gilt dann natürlich auch für die bBU im Rahmen einer Entgeltumwandlung. Aber viele Arbeitgeber zahlen teils zusätzliche Arbeitgeberbeiträge oder zahlen den Beitrag komplett, zum Beispiel auch als Alternative zu einer normalen Gehaltserhöhung!

Corona bremst Terminfrequenz

Trotz Betriebsrentenstärkungsgesetz: In Zeiten dauerhaft niedriger Zinsen drohen Betriebsrenten allgemein an Popularität zu verlieren. Das Neugeschäft steigt nur langsam. Beobachten Sie eine zunehmende Skepsis gegenüber der betrieblichen Altersvorsorge? Welche Möglichkeiten sehen Sie hier aktuell, den Arbeitgebern und/oder Beschäftigten dennoch attraktive Angebote zu unterbreiten?

Heiner Herbring: Diese Meinung kann ich zumindest innerhalb unseres Verbundes nicht teilen. Wenn, dann bremst die Corona-Thematik aktuell die Terminfrequenz. Aber die bAV hat an Attraktivität durch das Betriebsrentenstärkungsgesetz mit AG-Zuschusspflicht, mit Förderbetrag sowie auch der zusätzlichen Freigrenze zur Krankenversicherung auf bAV-Renten deutlich hinzugewonnen. Sicherlich hat sich auch die Anlageempfehlung in Richtung fondsgebundener Tarife verlagert (bei Laufzeiten ab mindestens 20 Jahren). Und dort haben auch Versicherer ihre Produkte bezüglich Leistung, Kosten sowie innovativer Garantiemotoren nochmals deutlich überarbeitet.

Man muss aber auch hier mal erwähnen, dass die in 2022 wohl anstehende Garantiezinssenkung der bAV große Schwierigkeiten bereiten wird. Durch die aus der Gesetzgebung in der bAV definierten Normen benötigt man immer eine Beitragsgarantie zum Ablauf: außer beim Sozialpartnermodell. Aber diese Lösung fristet durch Unsicherheiten bei der Kalkulation für Arbeitgeber und Arbeitnehmer noch ein Nischendasein. Und eine 100-Prozent-Garantie mit 0,5 Prozent Rechnungszins ist an sich nicht mehr darstellbar bzw. sie macht die Produkte dementsprechend nicht attraktiver! Hier ist der Gesetzgeber gefragt. Aus meiner Sicht muss in der bAV (aber auch bei der Riesterförderung) der gesetzliche Haftungsrahmen von 100 Prozent zum Wohle aller abgesenkt werden. Sollte es dann Arbeitnehmer geben, welche trotzdem gerne 100 Prozent endfällige Garantie hätten, muss man eben nach Anbietern schauen, die das überhaupt noch darstellen können. Aber der Arbeitgeber sollte dann eben arbeitsrechtlich zum Beispiel nur noch für max. 70 oder 80 Prozent der Beiträge haften. Das wäre meines Erachtens nach Renditegesichtspunkten auch jedem klar verständlich zu machen.

Die Deutschen sind sehr sicherheitsorientiert. Würde durch niedrigere Garantien die Attraktivität für potentielle Kunden nicht weiter leiden?

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Andreas Seidl: Generell ist es aus meiner Sicht für die Wahrnehmung der bAV als attraktive Lösung für den Arbeitnehmer entscheidend, wie der sogenannte bAV-Faktor auf seine Nettoinvestition einwirkt. Gemeint ist, wie hoch sich die Nettoinvestition multipliziert (durch Steuer- und SV-Förderung und vor allem durch AG-Zuschüsse bzw. AG-Beiträge oder sonstigen Ausgleich über Sachbezug). Wenn ich zum Beispiel einem Mitarbeiter 15 Prozent gesetzlichen Zuschuss bezahle und zusätzlich zum Beispiel noch 20 Euro als Arbeitgeberbeitrag, ergibt sich hier schnell ein Faktor von 3,5 und mehr. Das heißt: Aus 30 Euro Nettoverzicht werden 115 Euro Beitrag für meine bAV oder bBU. Das ist für den Arbeitnehmer aus unserer Erfahrung genau der entscheidende Effekt! Das macht den Beitrag zur bBU eben noch günstiger bzw. steigert bei der bAV die Wahrnehmung als renditestarke Anlage!

Hinweis: Der Text erschien zuerst im Versicherungsbote Fachmagazin

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