Netzwerke wie Xing „erleben gerade eine Renaissance“, schreiben Sie. Können Sie Zahlen nennen: Werden diese Netzwerke in Zeiten der Coronakrise (wieder) mehr genutzt? Und weshalb?

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Martin Müller: Wir merken in den letzten Wochen, dass in unseren Projekten bei Kontaktanfragen und/oder Empfehlungen von Zielkunden über XING die Reaktionen schneller und zahlreicher erfolgen als noch vor Monaten. Das führen wir darauf zurück, dass viele Menschen, vor allem auch Führungskräfte, nun durch die Arbeit im Homeoffice weniger Reisezeit und auch weniger Meetings haben und die gewonnene Zeit wohl dafür nutzen, in den beruflichen Business-Portalen zu agieren.

„In der Krise sind Netzwerke überlebenswichtig“, argumentieren Sie: und empfehlen Online-Networking im Homeoffice. Ganz banal gefragt: Warum ist Netzwerken gerade jetzt wichtig? Denken Sie dabei primär an den Austausch mit „anderen“ Experten und Berufsgruppen oder auch die Neukunden-Akquise?

Beides. Ein Netzwerk sollte man aufbauen, bevor man es braucht. Jetzt, wo man nicht mal eben den Kollegen im Nachbarbüro fragen oder bei der Mittagspause mit noch anderen Kollegen sprechen kann, braucht man halt nur in XING den passenden Kontakt ansprechen, per Nachricht, Email oder auch per Telefon. Dabei kann es um den Austausch mit anderen Experten genauso gehen wir die Neukunden-Akquise, die natürlich einfacher gelingt, wenn sie im bereits aufgebauten Netzwerk erfolgen kann und man nicht neue Kontakte direkt mit Akquise „belästigen“ muss.

Ein Aspekt bei Xing und LinkedIn ist die Kundenansprache. Dort sind vielfach Gewerbekunden und Freiberufler aktiv. Viele von ihnen dürften gerade existentielle Probleme haben: zum Beispiel steht laut einer Dehoga-Umfrage jeder dritte Gastwirt vor der Pleite. Sollten Vermittler diese Personen trotzdem ansprechen bzw. schreiben: auch als potentielle Kunden-Zielgruppe? Oder besteht die Gefahr, dass dies als pietätlos und unpassend empfunden wird?

Einfacher ist es im Moment in den Branchen zu akquirieren, denen es trotz Krise gut geht. Hier wird die Möglichkeit von Neuabschlüssen zumindest nicht aus Liquiditätsgründen kritisch. Beratungbedarf haben im Moment sicher aber eben auch die Branchen, die jetzt dringend neue Kunden benötigen. Hier ist im ersten Schritt zu prüfen, ob diese Branche in den Netzwerken XING und LinkedIn verfügbar ist und ob die Profile dort auch aktiv genutzt werden, um auf eine Direktansprache auch eine Antwort erwarten zu können. So sind Gastwirte selten in XING zu finden, während Mitarbeiter und Entscheidungsträger im Hotelgewerbe sehr gut vertreten sind. Die Kernfrage ist aber, ob sie aufgrund der aktuellen Lage überhaupt an einem kurzfristigen Beratungsgespräch interessiert sind. Hier raten wir, mit fachlichen Infos und Unterstützungsangeboten aufzufallen, damit die Expertenpositionierung funktioniert und die Anfrage kommt, sobald das Thema für den Kunden eine Priorität wird.

...und wie sollte man aktuell neue Kontakte knüpfen? Erfordert dies eine andere Ansprache als in Nichtkrisen-Zeiten?

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Eine Kontaktanfrage zu stellen und im gleichen Satz auf den Mehrwert hinzuweisen, den der Kontakt bringen wird, funktioniert heute genauso wie vor der Krise. Heute kann in der Ansprache auch ein Mehrwert oder ein Vorteil adressiert werden, der vielleicht mit der Krise zu tun hat und das aktuelle Problem des neuen Kontaktes lösen oder mindern kann. Es bestehen also mehr aktuelle Gründe für den Netzwerkausbau.

...Quantität und Qualität: auch eine Frage der Zielgruppe

Versicherungsbote: „Mehr Kontakte bedeuten auch immer mehr Kunden, bessere Kundenbeziehungen und schnellere Lösungen“, sagen Sie laut einem Pressetext. Einspruch: Geht Qualität nicht vor Quantität? Müsste man nicht sogar schreiben: „Bessere Kontakte bedeuten mehr Kunden, mehr Kundenbeziehungen und schnellere Lösungen“?

Martin Müller: Das hängt davon ab, was Sie anbieten. Wenn Sie eine sehr spitze Zielgruppe haben, dann reicht es durchaus, wenige Kontakte zu haben, die genau zu dieser Zielgruppe gehören. Wenn Sie eine breite Zielgruppe haben, dann ist ein großes Netzwerk sinnvoll. Ich selbst pflege ca. 20.000 Kontakte auf XING und ca. 10.000 Kontakte auf LinkedIn. Diese sind sicher nicht alle meine direkte Zielgruppe. Aber im Auftrag meiner Kunden stelle ich diesen die passenden potentiellen Kunden aus meinem Netzwerk vor. Der Vorteil liegt hier darin, dass es schon meine direkten Kontakte sind und daher der Vertrauensvorschuss zum Tragen kommt. Daher ist für mich ein großes Netzwerk sinnvoll. Ich selbst habe alle Kontakte in XING zum Teil mehrfach kategorisiert. Ein A-Kontakt kenne ich gut und lange, ein D-Kontakt hingegen noch gar nicht. B und C liegt dann dazwischen…

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Sie raten Vertriebsfirmen, gerade jetzt zu investieren statt Geld zu sparen. Wie investiert man denn in Zeiten der Coronakrise? Vieles ist doch dicht und auch die anderen sitzen im Homeoffice. Und weshalb ist es wichtig, gerade jetzt zu investieren?

Jetzt muss Geld oder Zeit investiert werden, um später damit mehr Geld zu verdienen. Selten führt ein neuer XING-Kontakt kurzfristig zu Umsatz. Wenn aber heute Kontakte zu Entscheidern in der Zielgruppe aufgebaut werden, haben viele mehr als sonst Zeit für ein Telefonat. Rufen Sie doch einen neuen XING-Kontakt mal direkt nach der Kontaktbestätigung an und fragen ihn, ob er gerade ein paar Minuten Zeit hat, um zu besprechen, wie man sich gegenseitig unterstützen kann. Die Wahrscheinlichkeit, dass es hier in diesen Tagen ein JA im Homeoffice gibt, ist weitaus größer als in normalen Zeiten im Büro.

Sie unterstützen auch beim Recruiting. Wie hat sich dies aktuell durch die Coronakrise geändert? Fällt es schwerer, Fachkräfte anzuwerben - und suchen die Firmen aktuell überhaupt nach Personal?

Wir unterstützen in erster Linie beim Recruiting von Fach- und Führungskräften. Diese werden weiterhin gesucht. Auch wenn die Anzahl der Einstellungen in der Krise sicher reduziert werden, so sind immer noch viele Stellen offen. Schwieriger ist es aber nun, Kandidaten von einem Wechsel zu überzeugen, die im Moment in einer guten Festanstellung sind. Hier ist der Wechselwille in der Krise geringer ausgeprägt als sonst.

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Die Fragen stellte Mirko Wenig

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