Das Thema Betriebsschließungsversicherung wird aktuell sehr heiß diskutiert. Auf Druck der bayrischen Staatsregierung wollen nun doch viele Versicherer ihre Gewerbekunden entschädigen, wenn sie ihren Betrieb infolge der Coronakrise dicht machen mussten. Auf die volle Summe können die Betroffenen aber nicht hoffen: Maximal sollen 15 Prozent der versicherten Tagessumme fließen, zudem auf 30 Tage begrenzt. Im Gegenzug sollen die Gewerbekunden auf weitere Ansprüche verzichten. Dieser Praxis haben sich neben den bayerischen Versicherern mittlerweile auch viele andere Unternehmen angeschlossen.

Anzeige

Das Bayerische Wirtschaftsministerium hatte die niedrigere Summe damit begründet, dass den Betroffenen ja noch auf anderem Wege geholfen werde. Im Hotel- und Gaststättengewerbe reduziere sich der wirtschaftliche Schaden der Betriebe bereits um 70 Prozent, da sie auch von staatlichen Hilfsangeboten wie Kurzarbeitergeld und Soforthilfen von Bund und Ländern profitieren würden. Zudem sparen sie Materialkosten ein.

Von den restlichen 30 Prozent würden die Versicherer ihren betroffenen Kunden gegenüber maximal die Hälfte - also insgesamt zwischen zehn und 15 Prozent des Schadens übernehmen. Die betroffenen Gastronomen und Hoteliers sind an diese Regelung nicht gebunden. Für die versicherten Betriebe könnte sich der Kompromiss als vergiftetes Angebot erweisen. Lassen sie sich darauf ein und verzichten auf rechtliche Schritte, bliebe auch ungeklärt, ob sie nicht doch Anrecht auf die volle Schadenssumme haben statt der gebotenen zehn bis 15 Prozent.

Anzeige

Da es sich um eine freiwillige Leistung der Versicherer handelt, könnten die Unternehmen auch Hilfen der Politik nutzen. In den vergangenen Tagen waren anderslautende Meldungen von Arbeitsagenturen versendet worden. “Falls eine Betriebsschließungsversicherung vorliegt, ist keine Gewährung von Kurzarbeitergeld möglich“, heißt es lapidar in einem Schreiben der Agentur für Arbeit Augsburg, das dem Versicherungsboten vorliegt. Dies soll ausdrücklich nicht für den Deal der bayrischen Staatsregierung mit den Versicherern gelten. Das bestätigte ein Sprecher des Bayerischen Wirtschaftsministeriums dem Fachportal "procontra". Demnach werde "im Falle der „bayerischen Lösung“ keine Anrechnung der Versicherungsleistungen auf das Kurzarbeitergeld erfolgen"

Anwälte raten zur genauen Prüfung

Ist das aktuelle Angebot der Versicherer eine Gute Lösung im Sinne der Gewerbekunden - oder eher fauler Kompromiss? Diese Frage müssen sich aktuell unter anderem viele Betreiber von Gaststätten, Hotels und anderen Firmen stellen. Während einige Anbieter den Virus in den Bedingungen komplett ausgeschlossen haben, müssten andere Versicherer bei nicht so eindeutigen und teilweise zweifelhaften Regelungen Versicherungsschutz zur Verfügung stellen. Generell müsse jeder Fall gesondert betrachtet werden, rät Tobias Strübing von der Kanzlei Wirth-Rechtsanwälte.

Martin Stolpe ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Versicherungsrecht.Stolpe RechtsanwälteDie festgeschriebenen Bedingungen seien oft recht allgemein gehalten. So sei regelmäßig eine Entschädigung für den Fall vereinbart, dass die zuständige Behörde zur Verhinderung der Verbreitung einer meldepflichtigen Krankheit den Betrieb schließt. Jedoch werde nicht konkret genannt, ob die Schließung aufgrund einer individuellen Schließungsverfügung, behördlichen Anordnung oder aufgrund eines individuell an den Versicherungsnehmer gerichteten Verwaltungsaktes erfolgen muss. Somit lösten auch Allgemeinverfügungen oder auch Verordnungen der Landesregierungen und Gesundheitsministerien oft den Versicherungsfall aus. „Auch hier gilt: Bei Zweifeln sind Versicherungsbedingungen zugunsten der Versicherungsnehmer auszulegen.“, mahnt Strübing.

Anzeige

Ähnlich sieht Martin Stolpe diesen Sachverhalt. Der Rechtsanwalt aus Leipzig vertritt, nach eigenen Angaben, eine Vielzahl von Versicherungsnehmern in Sachen Betriebsschließungsversicherung. Die meisten Versicherer hätten in ihren Bedingungswerken einen Verweis auf die Regelungen der §§ 5, 6 Infektionsschutzgesetz (IfsG). Zusätzlich hierzu seien die Erreger beziehungsweise Krankheiten nochmals einzeln in dem jeweiligen Stand des IfsG zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses aufgelistet. Da dieser teilweise recht weit zurückliegt, fehlt selbstverständlich die Nennung von SARS Covid-19. Am 1. Februar ist schließlich eine Aufnahme in das IfsG erfolgt.

Ergo müssten die Versicherer, wenn Sie auf das Infektionsschutzgesetz verweisen, eigentlich leisten. Das sieht auch Stolpe so und ist in stetem Austausch mit diversen Versicherungen. Aktuell lägen der Kanzlei bereits von mehreren Versicherungsgesellschaften Bestätigungsschreiben vor, wonach aufgrund der Verweise auf §§ 5, 6 IfsG auch Versicherungsschutz für die Corona-Pandemie bestünde. "Es ist daher dringend geboten, die Vertragsunterlagen zu prüfen, bevor man ein Abfindungsangebot zu einem Minimalangebot annimmt.", empfiehlt Stolpe deshalb.

Seite 1/2/

Anzeige