Was können private Versicherer tun, um in einer Pandemie wie der jetzigen auch ihre Kundinnen und Kunden zu entlasten? Und verweigern die Versicherer gar dringende Hilfe, wenn sie nun nicht für Betriebsschließungen zahlen wollen? Das sind Fragen, denen sich Oliver Bäte, Chef von Europas größtem Versicherer Allianz, in der aktuellen Ausgabe des „Spiegel“ stellen muss (Nr. 15 vom 04.04.2020). Und er macht deutlich, dass eine solche Pandemie auch die Assekuranzen zu überfordern droht.

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“Beweisen, dass wir für die Kunden da sind“

Bäte wird im Interview gefragt, ob in der jetzigen Phase der Unsicherheiten und extremen Risiken die Stunde der Versicherer gekommen sei. Der Manager macht zunächst deutlich, dass nun auch ein Entgegenkommen gegenüber den Kunden gefragt ist. “Wir müssen beweisen, dass wir für unsere Kunden da sind, wenn sie uns brauchen. Wenn beispielsweise jemand anruft und sagt, er könne im Moment die Prämie nicht bezahlen, dann finden wir einen Weg, um Aufschub zu gewähren.“

Ob der Aufschub auch den Verzicht auf Verzugszinsen bedeute, darauf wollte sich Bäte mit Blick auf Deutschland nicht festlegen. Der Grund: Der Konzernchef fordert ein gemeinsames Vorgehen der gesamten Branche. In Italien habe man bei Kfz-Policen auf Verzugszinsen verzichten können, weil sich die Industrie abgestimmt habe. In Deutschland fehle ein solches gemeinsames Konzept noch.

“Wichtig sind Kollektivvereinbarungen“

Für den Interviewer ist Bätes Aussage Anlass, den Streit um Betriebsschließungsversicherungen (BSV) anzusprechen. Wieso zahlen viele Versicherer nun nicht, obwohl der Betrieb ruhe? Der indirekte Vorwurf: Die Versicherer lassen ihre Kundinnen und Kunden hängen.

Bäte äußert zum Teil Verständnis für den Ärger der Betroffenen. Die Produkte seien oft noch zu kompliziert, die Allianz habe aber begonnen, sie zu vereinfachen. „Wichtig sind aber auch hier Kollektivvereinbarungen. Wenn man etwa feststellt, dass Restaurants und Hotels ein Riesenproblem haben, dann sollte man sich in der Branche einigen, wie man das handhabt“, so der 55jährige.

Doch Bäte geht noch einen Schritt weiter. „Wir haben es mit einer gewaltigen Pandemie zu tun und, bedingt dadurch, mit einem Systemausfall. Das ist vergleichbar mit Katastrophen wie Erdbeben oder der Explosion eines Atomkraftwerks.“

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Für solche Situationen gebe es in vielen Staaten Kooperationen zwischen öffentlicher Hand und Privatwirtschaft, weil die Versicherungsbranche einen solchen Systemausfall nicht stemmen könne, führt der Allianz-Chef weiter aus. Die Versicherer haben „nicht genug Eigenkapital, um die Verluste, die entstehen, tragen zu können. Wenn statt 7 bis 8 Prozent der Autos 90 Prozent im Jahr einen Unfall hätten, dann wären die Versicherungsprämien in der Autoversicherung unbezahlbar. Wir versichern Zufälle in einem begrenzten Rahmen.“

...in solch einem Extremszenario wird privates Kapital nicht ausreichen

Der jetzige Lockdown aber sei „kein Zufallsereignis" gibt Oliver Bäte weiter zu bedenken, denn: "...das hat die Politik beschlossen. So etwas kann kein Unternehmen versichern, weil man das Risiko nicht berechnen kann (…) Wenn ein Unternehmen wie die Allianz in Schieflage gerät, weil sie alle Schäden bezahlt, die gar nicht versichert sind, dann ist niemandem geholfen.“

"Wenn wir Pandemiedeckung angeboten haben, werden wir zahlen"

Mit seinem Statement spricht Bäte auch die Forderung einiger US-Bundesstaaten an, die Privatversicherer zwingen wollen, Schäden aus Corona-Betriebsunterbrechungen zu zahlen: unabhängig von der konkreten Vertragsgestaltung. Obwohl die Allianz selbst nicht betroffen sei, bedeute dies für einige Versicherer den Weg in die Pleite. "Wir würden uns mit allen Mitteln dagegen wehren. Es ist nicht in Ordnung, wenn Versicherungskunden im Kollektiv für Schäden von Firmen aufkommen sollen, die keinen Versicherungsschutz bezahlt haben", so der Allianz-Chef.

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Ein solcher Zwang werde dazu führen, dass einige Risiken künftig grundsätzlich nicht mehr über den Markt versicherbar seien, gibt Bäte zu bedenken. Ob die Allianz nun für behördlich stillgelegte Betriebe zahle, macht er vom konkreten Vertrag abhängig. „Wenn wir Pandemiedeckung angeboten haben, werden wir die bezahlen. Pacta sunt servanda. Und wenn es unklar ist, ein neutraler Dritter aber sagt, es ist versichert, dann werden wir natürlich zahlen“.

Bäte fordert gemeinsamen Notfonds für Europa

Mit Blick auf kollektive Lösungen solle Europa eine gemeinsame Lösung finden, "weil wir eine Gefahrengemeinschaft sind", fordert Bäte. Die europäischen Versicherer sollen demnach einen gemeinsamen Fonds einrichten, der in Krisenzeiten angezapft werden könne: bei Pandemien oder schweren Naturkatastrophen. Hier seien auch öffentliche Mittel gefragt. „In einem Extremszenario wie einer Pandemie wird das private Kapital nie ausreichen, da brauchen wir immer eine Partnerschaft zwischen öffentlicher Hand und Privatwirtschaft“, sagt Bäte. Eurobonds lehnt der Manager hingegen ab, weil er dahinter eine Vergemeinschaftung von Schulden vermutet.

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Das eigene Jahresgeschäft bewertet Bäte als stabil - dämpft aber überzogene Erwartungen. "Gehen Sie mal davon aus, dass wir in diesem Jahr keinen Rekordgewinn erzielen werden. Dieses Jahr wird nicht zum Lachen. Aus den Aktiengeschäften haben wir zwar nicht mehr die schönen Wertpolster, die wir mal hatten, aber auch keine Verluste". Über das Geschäftsmodell der Allianz mache er sich keine Sorgen.

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